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Oliver Zwarg (Holländer), Miina-Liisa Värelä (Senta), Chor und Extrachor des Theater Lübeck. Foto: Olaf Malzahn
Oliver Zwarg (Holländer), Miina-Liisa Värelä (Senta), Chor und Extrachor des Theater Lübeck. Foto: Olaf Malzahn
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Psychogramm einer Kuppelschau – „Der Fliegende Holländer“ in Lübeck

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Um das Spannende vorwegzunehmen, die Frage nach dem, ob Senta springt oder nicht, sei verraten, sie tut es nicht. Wohin auch. Das Theater Lübeck wartet zwar mit Richard Wagners beliebtem Seestück auf, mit dem „Fliegenden Holländer“, der letzten Produktion dieser Spielzeit. Aber von aufbrausendem Meer kann nicht die Rede sein. Und in einer Badewanne kann man nur schwer Erlösung finden.

Schauerlich

Wagners romantische Schauer- und Erlösungsoper verdankt bekanntlich ihren Ursprung einem Reiseerlebnis auf der Lübeck nahen Ostsee. Auf der Bühne steht allerdings lediglich eine Badewanne, zeitweilig eine weitere. Im Hintergrund imaginiert ein abstraktes Bild wild zerrissene Wolken mit einem Gesicht darin, in dem irgendwie Wagner zu erkennen ist. Wichtiges Element ist eine Waagerechte, die auf und ab bewegt, Seegang suggerieren soll. Zudem treten Daland und die männlichen Choristen in weißen Kadetten-Uniformen auf, was dann doch einigermaßen eindeutig Maritimes lokalisiert. Und auch der Bug des Totenschiffes wird hineinprojiziert. Mit zerrissenen Segeln und den hohlen Öffnungen für die Ankerketten sieht das wie ein wunderbar grausiger Totenkopf aus. Schließlich könnte der geneigte Besucher auch die Spielflächen auf dem Bühnenboden als Inseln deuten, die durch ein Leuchtröhrenband markiert sind.

Zeitgeist

Inszeniert und ausgestattet hat Aniara Amos, chilenisch-deutsche Regisseurin und Choreografin. Sie will viel, bemüht Symbolisches in Farbe und Form, nutzt die sinnliche Tanzkunst, ersucht den Zeitgeist sich einzustellen und die Psychologie, Erklärungen zu geben. Vor allem liebt sie, die Figuren zu doppeln, bei Erik und dem Vater, oder, wie bei Senta, gar zu vervielfachen. Die Jugend mit prägenden, leidvollen Erlebnissen soll einbezogen werden, psychologische Schützenhilfe bieten. Im Opernfinale spielt Aniara Amos dann auf Bedrückendes unserer Wirklichkeit an. So lässt sie Senta wie eine Selbstmordattentäterin handeln, wenn sie den umhergeisternden, sie nur wegen seiner Erlösung begehrenden Holländer, dann ihren Vater Daland, der sie wegen großen Profits an eben ihn verschacherte, mit einem Gewehr bedroht – oder erschießt, was nicht deutlich wird.

Bedrohte

Auch auf eine Reihe weiterer Bühnenfiguren richtet sie das Gewehr, bevor sie auf sich selbst zielt. Zu deuten ist das in diesem Kontext als ihre Suche nach Erlösung oder Rechtfertigung. Das Schießinstrument spielte bereits anfangs eine Rolle, wenn auch zur Ouvertüre Erik, der Jäger, als Kind mit einem Gewehr auftritt. Er wird bekanntermaßen später Rivale um ihre Gunst und bedrängt Senta drastisch mit operettenhaft schönen Melodien, ihn zu nehmen. Die Damen des Chores, die mit ihren pausbäckigen Halbmasken starr wie bieder wirken, müssen deshalb dran glauben, weil sie die immer schon rothaarige Außenseiterin quälten, was in anschaulichen Szenen bis zum Untertauchen in der Badewanne vonstattengeht. Es ist Aniara Amos also vor allem um Senta zu tun. Sie steht gleich mehrfach im Mittelpunkt des gesamten Verlaufs, als Siebenjährige und Vierzehnjährige und Ältere, sogar als Gallionsfigur für das Geisterschiff, das in den Schnürboden entschwebt. Was den jüngeren Inkarnationen geschieht, verweist auf ihre üblen Erfahrungen als Tochter eines herrischen Vaters, der sie missbraucht, vor allem indem er sie einem nur reichen, sonst ihm unbekannten Mann opfert. Der will auch nicht sie und ihre Liebe, nur seine Erlösung. So wird sie nur Objekt.  

Des Guten zu viel

Das ist alles nachvollziehbar, ließe sich plausibel einbauen. Nur will Aniara Amos mehr. Sie will unter anderem zeigen, dass die düster schwarze Welt des Holländers und die weiß aufgeputzte Dalans nur zwei Seiten eines männlichen Machtanspruchs sind und lässt den Holländer und ihren Vater eins werden, nicht nur einig. In der Ouvertüre ringen beide miteinander, verbünden sich dann mit dem Ziel, Senta zu missbrauchen. Das führt dazu, dass die gegensätzlichen Welten, die der Untoten auf dem Geisterschiff und die aus Dalans Umgebung, nicht mehr zu unterscheiden sind. Augenscheinlich ist das an der Figur von Dalans Steuermann durchgeführt. Mit einer Totenmaske tritt er auf, als wäre er beim Holländer angestellt. Auch die Szenen etwa im dritten Akt, bei dem die Verkupplung gefeiert werden soll, lassen nicht mehr erkennen, wer zu welcher Besatzung gehört. Es kommt der Regie also darauf an, in diesem Mysterienspiel ein Psychogramm vor allem Sentas zu zeichnen, ihre Verzweiflung zu motivieren. Helfen sollen dabei die drei Existenzen, tun es aber nur bedingt, weil sie austauschbar sind. Immer wieder müssen sie in die Badewanne steigen, allein oder mit anderen. Auch der Vater tut das und dirigiert aus rot angestrahlter zweiter Wanne, wie der Holländer die sich windende Senta zu verführen habe. Grotesk wird es, wenn Tänzerisches eingefügt wird. Bei dem Steuermann wirkt das, der auf hochhackigen Schuhen stelzt, auch bei den Matrosen und einigermaßen bei den Frauen. Aber Aniara Amos ist zu sehr Ballerina, um nicht auch andere Situationen tänzerisch zu gestalten. So gibt es ein Pas de deux von Holländer und Dalan, das später zu einem de trois erweitert wird, wenn der Steuermann mit einem roten Paddel vor dem grimmig zerzausten Holländer und dem eitlen Gecken Daland her tanzt.

Wie das klingt?

Es war die letzte Inszenierung, die der noch amtierenden GMD Ryusuke Numajiri dirigierte. Jüngst wurde er in seiner Heimat Japan mit Shiju hōshō, der Medaille am violetten Band, für „langjährige Verdienste für hochkarätige Opernproduktionen in Deutschland und Japan sowie sein Engagement für zeitgenössische Musik“ ausgezeichnet. Er hat ein gutes Gespür für Dramatik entwickelt. Feinheiten in den Schattierungen kommen allerdings manches Mal zu kurz. Auch die Präzision der Bläsereinsätze bei den sonst sich hervorragend einsetzenden Lübecker Philharmonikern war an diesem Abend auffallend schwach. Der Chor zudem (Einstudierung: Jan-Michael Krüger), sicher zwar bei den Männern wie Frauen, litt unter den zu geschwinden Tempi und musste ständig im Forte singen.

Als Senta war die Finnin Miina-Liisa Värelä verpflichtet worden. Ihr strahlkräftiger, zugleich schlanker Sopran fügte sich dem Inszenierungsstil sehr passend an. Als Mary, Sentas Amme, hatte Wioletta Hebrowska in Gesang und Spiel einen einmal wieder begeisternden Auftritt. Als Daland überzeugte Taras Konoshchenko, ebenbürtig als Partner dem Gast Oliver Zwarg, dessen leicht nasal gefärbter Bass zwar gut zum Holländer passte, der aber blass im Ausdruck blieb. Auch die beiden Tenöre, der Gast Heiko Börner als Erik, und der mit seinem schlanken Ton, immer strahlender werdende Daniel Jenz, waren gesanglich auf gleichem Niveau. Im Spiel allerdings vermochte nur Jenz zu überzeugen. Erik blieb ein schmalziger Liebhaber, der stark spüren ließ, wie Wagner sich bei dieser Rolle an die leichte Spieloper gebunden hatte.

Fazit

Es wurde viel gejubelt, noch stärker gebuht, vor allem als Aniara Amos zum Schlussbeifall auf die Bühne kam. Wagners leicht verdaulicher „Holländer“ enttäuschte in der überfrachteten Regie.

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