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Foto: Hans Jörg Michel
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Ein Flügel des Gesangs – Jona Kim inszeniert Schumanns „Genoveva“ in Mannheim

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Im Wesentlichen lag der Text zu „Genoveva“ 1847 vor. Das Schaffen Robert Schumanns wurde beflügelt vom revolutionären Prozess der Jahre 1848/49, den er als „Völkerfrühling“ begrüßte und den seine Familie in Dresden hautnah mitbekam. Umso bemerkenswerter erscheint, dass der Komponist an diesem unter den Bedingungen der Restauration und des gegängelten Theaters begonnenen Werk festhielt und nicht eines aus dem „Geist der neuen Zeit“ schrieb. Zur Uraufführung kam die auf eine Heiligenlegende zurückgehende Oper erst nach dem kläglichen Ende der Revolution und nur zu bescheidenem Erfolg. Bis heute leiden die „Genoveva“-Produktionen am Anachronismus von Handlung und Text. Dem steht aber die einst in vielen Details innovative und fortdauern reichlich wunderhorntönende Musik gegenüber.

„Genoveva“ gehört zum Kernbezirk der deutschen Ritter-Romantik. Verhandelt wird der Heilige Krieg gottgefälliger Christen-Raufbolde gegen die falschgläubigen Muslime aus al-Andalus, an dem sich Pfalzgraf Siegfried als Abteilungsleiter Karl Martells beteiligt. Vor allem aber geht es um die Nötigungen, Intrigen und Tortouren, denen die Titelheldin seitens des zu Hause gebliebenen und als Statthalter eingesetzten Golo ausgesetzt ist. Für das Libretto kompilierte der mit Robert Schumann befreundete Dichter Robert Reinick die „Genoveva“-Trauerspiele von Ludwig Tieck (1799) und Friedrich Hebbel (1841). Freilich veränderte der literarisch ambitionierte und versierte Schumann diese Vorlage so weitgehend, dass Reinick seine Namensnennung zurückzog.

Seit den 1980er Jahren fanden verschiedene Bemühungen um das als „missraten“ geltende Werk statt. Insbesondere setzte sich Nikolaus Harnoncourt vehement für „Genoveva“ ein (z.B. 2008 am Züricher Opernhaus mit Juliane Banse in der Titelpartie und Martin Kušej als Regisseur). Weil Schumann auf anderen Feldern des Komponierens – von den Klavier-Piècen und den Kunstliedern bis zur Kammermusik und großen Symphonie – weithin übereinstimmend die größten Kompetenzen zugesprochen werden, lockt immer wieder Versuch einer „Rehabilitierung“ dieses Schmerzensmusiktheaterkindes. Nun hat das Nationaltheater Mannheim Yona Kim mit einer neuen Deutung beauftragt.

In dekorativer Schönheit wartet ein nussbrauner Flügel aus der Schumannzeit einsam auf der leeren Bühne. Ein dreiarmiger Kerzenleuchter kündigt eher eine häusliche Szene bei kunstsinnigen Bürgern oder verbürgerlichten Künstlern an als eine Konzertsituation. Es für die nächsten drei Stunden bezüglich der Gemenge- und Problemlage des Werks bei dieser Installation zu belassen, wäre durchaus kunstradikal gewesen und hintersinnig hinsichtlich der Entstehungsgeschichte von Robert Schumanns „Genoveva“. Denn die leitet sich nur in kleinerem Umfang aus der deutschen Singspiel- und Musiktheater-Tradition her, mehr aus Geist und Macharten des „romantischen“ Kunstlieds.

Schon zur Ouvertüre wird ein später wiederkehrendes großes Gemälde des Hochwaldkönigs Hirsch und der treu ihm zu Hufen liegenden Hirschkuh vom Schnürboden herabgelassen – der Opernchor stellt sich dazu als adrett modern gekleidetes Museumspublikum ein. Dann aber mutieren die Passanten zu Teilnehmern einer biedermeierlichen Bibelstunde, die an die Stelle von Schumanns Kirchenszene tritt (n.b.: Dieses Tableau ist erkennbar aus Fromenthal Halévys „La Juive“ adaptiert und kehrt in leichter Variante als Introduktion zu Wagners „Meistersingern“ wieder). Die gesangbuchbewehrten frommen Christenleut schauen ungerührt zu, wie Hausmeister Drago einen geistig und körperlich behinderten Knaben quält. Ohne Schmusen oder Turteln beim Abschied von der Liebsten zieht Pfalzgraf Siegfried in den heiligen Krieg. Evez Abdulla tut es mit Stentorstimme und gebärdet sich so, dass der als Tenor etwas zu leichtgewichtige, dafür als Intrigant umso glaubwürdigere Andreas Hermann (Golo) recht behält mit der Feststellung, dass der Fürst sich auf die Liebe nicht verstehe.

Rasch fädelt die rote Amme Margaretha die Intrige zugunsten ihres Ziehsohns Golo ein, der auf die schutzlos zurückgelassene Genoveva scharf ist wie Nachbars Lumpi. „Ich will, ich muß sie küssen“, bricht es – zu einem in höchsten Lagen flirrenden Verminderten Septakkord – aus Golo hervor, als er die ohnmächtige Genoveva (die Gattin seines ziemlich allmächtigen, aber eben vorübergehend abwesenden Herrn), vor sich liegen sieht. Dann: Generalpause für den Kuss und acht Espressivo-Takte, bis die zum Leiden verurteilte Titelheldin die Augen aufschlägt und für einen „innigen“ (glücklichen!) Augenblick den Mann über sich für „ihren Siegfried“ hält. Aus der Substanz dieser mysteriös schwebenden Wendung der Streicher und Holzbläser gestaltete Wagner einen halben Aufzug. Ohnedies bediente sich der clevere Richard ausgiebig bei der „Genoveva“-Partitur, bei diversen Passagen, Motiven, Klangfiguren und vor allem Instrumentalgesten, und montierte sie zu seinem so eminent wirksamen Musiktheater.

Golo bedrängt Genoveva sexuell. Sie weist ihn als „Bastard“ zurück. „Das Wort, das traf“, heult er auf. Doch die Worte von Schumanns Libretto trafen, anders als dann die in ähnlicher Kostümierung einherschreitenden Texte Wagners, nach 1849 gesellschaftliche Kernfragen nur wenig. Mit dem, was sie an Mittelalter-Projektionen, an heldischer Gebärde und teutscher Frauen-Tugend versammelten, setzt sich Yona Kim ansatzweise auseinander; nicht aber damit, dass noch nicht einmal ein leiser Nachhall des heftigen gesellschaftlichen Gärens der 1840er Jahre in „Genoveva“ zu vernehmen ist. Die Regisseurin bezieht Schumanns verspätetes musiktheatralisches Gesellenstück auf die finale Ehekrise der Schumanns und die Geisterwelt, die den kranken Komponisten am Ende einholte. Sie lässt die von Geisteskrankheit angehauchten „Geistervariationen“ durch den Raum geistern und Golo am Ende, während er vom Ritt in die Freiheit singt, in der Zwangsjacke abführen und an den Flügel schleppen.

In manchem knüpft Yona Kims Inszenierung auffällig an Martin Kušejs Züricher Inszenierung von 2008 an – z.B. bei der Hexenspiegel-Szene des 3. Akts, durch die die mit spätromantischen Zauberkräften ausgestattete zwielichtige Margaretha den Pfalzgrafen vom ehebrecherischen Treiben seiner treuen Gattin überzeugen will – und kann. Was für Genoveva das Todesurteil bedeutet: (die wüsten Landsknechte Caspar und Balthasar werden mit der Vollstreckung des Mordauftrags betraut und lassen sich lange Zeit von den Bitten der im tiefen Wald Gemarterten so wenig rühren wie von ihren Gebeten. Erst als die vier Hörner aus der Ferne aufklingen und der Sehnsuchtston näher dringt, suchen sie rasch das Weite.)

Im vierten Akt bestimmt der Rettungs- und Sieges-Sound den Luftraum über der Szene – muss aber noch einmal für längere Zeit gegenüber dem protestantischen Choral und der Verkündigung der rechten Zuversicht im rechten Glauben Platz machen. Es ist schon eine Crux mit dem historisch kontaminierten Plot und dem ideologisch so stark imprägnierten Text dieser Oper, der am Ende die nochmals vollzogene Eheschließung von Siegfried und Genoveva bejubelt. Yona Kim verweigert die positive Darstellung dieser erpressten Versöhnung. Sie zeigt, wie sich die Neuvermählte geistesabwesend in der schwarzen Erde eingräbt, in der sie nach der Enthauptung ihre letzte Ruhe hätte finden sollen. Längst war die Sopranistin Astrid Kessler – wie alle anderen Sänger Mitglied des Ensembles – zur herausragenden Leistungsträgerin avanciert. Zäh hält sich die zierliche Frau im größten Elend aufrecht und trotzt mit starker Stimme, ruft Gott und das Mitleid mit überzeugender Inbrunst an.

Yona Kims Produktion zeigt durchaus die Werkzeuge der kritischen Dekonstruktion. Aber ihre Problematisierung stößt nicht bis zu den Schlüsselproblemen des Werks vor – zu den Ehr- und Ordnungsbegriffen und deren historischen Gefälle vom Jahr 750 übers frühe 19. Jahrhundert bis zur unserer Gegenwart. Der gesellschaftliche Paradigmenwechsel in den Jahren der Entstehung der „Genoveva“ und während der Wartschleife vor der Uraufführung ließ das Werk von Anfang an als Anachronismus erscheinen. Das stellt alle Wiederbelebungsversuche auf eine harte Probe. Aber die Aufgabe, deutsche Ideologie im reichbestickten Musiktheatermantel szenisch zu konterkarieren (und ggf. zu kritisieren), scheint nicht unlösbar. Erst recht nicht die handgreiflichen Knackpunkte: Es werden in „Genoveva“ ja Fake News, mediale Täuschungen und die Anstiftung zum Ehrenmord verhandelt. In Mannheim bleibt es bei einem halbherzigen Ausflug zum Schmuddel- und Besudeltheater.

Die Leistungen des Sänger-Ensembles in Gänze, insbesondere aber auch des von Alexander Soddy geleiteten Mannheimer Orchesters stellten die kompositorischen Qualitäten unter Beweis, die dem Werk tunlichst nicht abgesprochen werden sollten: Schumanns Gratwanderung zwischen Anklängen an den gerade in Leipzig noch nachhallenden „Volkston“ Albert Lortzings (der zwölf Jahre in Leipzig als Theaterkapellmeister gedient hatte) und dem Aufbruch zum Avancierten, den Richard Wagner vorexerzierte – im benachbarten Dresden (wohin die Familie Schumann umgesiedelt war). In der Hinwendung zum „Seelendrama“, die sich in einer über weite Strecken „durchkomponierten“ Partitur und symphonischer Dichte niederschlug, kündigt sich die Vorstellung des gerade auch unterm Eindruck von „Genoveva“ entstandenen „Kunstwerks der Zukunft“ an. Das Unglück für das Werk war und blieb, dass es bezüglich Stoff und Text zu sehr in Vergangenheiten hängenblieb.

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