Essen. . Noch nie führte das Essener Aalto-Theater eine Meyerbeer-Oper auf. Sonntag war Premiere. Die musikalische Leistung überwiegt in „Le prophète“.

Intendanten, die Werke Giacomo Meyerbeers auf den Spielplan brachten, wurden vor Jahren noch belächelt. Zu lang, zu aufwändig – also zu teuer, zu halsbrecherisch die Gesangspartien, ein stilistisches Sammelsurium und am Ende taucht noch Wagners Verdikt von der „Wirkung ohne Ursache“ auf.

Seit einigen Jahren setzen sich nicht nur Musikwissenschaftler, sondern auch die Opernhäuser mit dem Phänomen Meyerbeer auseinander – Starkomponist der Pariser, Schöpfer von „Blockbustern“ vor historisierenden Fassaden in den 1830/40er-Jahren.

Eine schillernde, detailsatte Partitur, die Meyerbeers „Le prophète“ am Aalto zu einem Ereignis macht

Am Essener Aalto-Theater steht jetzt erstmals in der fast 30-jährigen Geschichte des Hauses Meyerbeers „Prophet“ auf dem Programm. Ein Kraftakt vor allem mit musikalischen Verdiensten – am Pult der Essener Philharmoniker waltet umsichtig und informiert Giuliano Carella. Er gibt dieser schillernden Partitur mit ihren unzähligen Details dennoch den großen Atem, setzt auf die Wiedererkennungseffekte der Klangfarben und verlässt sich keineswegs auf bloße Effekthascherei der vielen, teils hochvirtuosen, Nummern. Ein echter Anwalt des Theatermanns Meyerbeer, so der denn einen braucht.

Mit der musikalischen Seite befindet sich die Inszenierung von Vincent Boussard selten auf Augenhöhe. Immerhin entgeht der Franzose der Versuchung, die Geschichte des Jean von Leiden (des „Propheten“) und der fanatischen Wiedertäufer, die im Münster der Reformationszeit eine kurze Schreckensherrschaft etablierten, nahöstlich-religiös zu aktualisieren.

Er zeigt einen Jean, den die Willkür einer Obrigkeit aus der Bahn wirft und der so anfällig für die Verführung, heute würde man sagen; für die Radikalisierung, durch die drei Wiedertäufer wird. Auf die Wände der häufig bemühten Drehbühne (Vincent Lemaire) projiziert man Schloss-Silhouetten, Regentropfen, den berühmten Sonnenaufgang. Die Bühnenmusik dreht da ebenso bei, wie die in bunte Kostüme (ebenfalls Boussard) gesteckten Chöre, die Jens Bingert und Patrick Jaskolka sicher einstudierten.

Die Oper braucht heutigen Zugriff - doch die Regie lässt manchem Einfall in der Andeutung stecken

Einige Einfälle bleiben angedeutet stecken. Der Geldtresor als Altar, den die Wiedertäufer noch schnell leerräumen, als sich das politische Blatt zu wenden droht, der als Jung-Rocker eingeführte Jean mit E-Gitarre – auch das Kreuz schwingt er später in dieser Rocker-Pose. Es wird viel gezeigt, manches angedeutet. Boussard bleibt dabei allzu oft im Beiläufig-Ungefähren oder gleitet ins Klamaukige wie beim Kurzballett mit zwei Ballerinen.

In Essen zeigt sich, wie sehr Meyerbeers Theaterästhetik und auch die sicherlich vorhandenen Leerläufe in der Musik – der Abend dauert immerhin viereinhalb Stunden – nach einem entschiedenen heutigen Zugriff verlangen. Das Zeug dafür bietet Meyerbeer allemal.

Mit Albrecht Kludszuweit, Pierre Doyen und Tijl Faveyts als Wiedertäufer bietet das Haus ein fabelhaftes Vokaltrio auf. Für die Titelpartie holte man den Amerikaner John Osborn, einen Tenor mit der nötigen Brillanz, differenzierten Schattierungen und Durchschlagskaft.

Starke Sänger stützen den langen Meyerbeer-Abend im Essener Aalto Theater

Im wahrsten Sinne raumgreifend kommt der dramatische und doch beeindruckend-bewegliche Mezzo von Marianne Cornetti als Fidès daher, während Lynette Tapia als Ber­the mit sichereren Spitzentöne und sanfter Linie überzeugt.

Musik und Musiker sind eindeutig der Star dieses Abends, der so hybrid daherkommt. Die Chance, diese kapriziöse Musik, deren Einflüssen sich bei aller Polemik auch Richard Wagner nicht gänzlich entziehen konnte, live auf gutem Niveau zu hören, sollte man sich nicht entgehen lassen.