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Kein Fachwerk. Nirgends. – Richard Wagners „Meistersinger von Nürnberg“ in Meiningen

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Das Geheimnis für eine gelungene „Meistersinger“-Inszenierung sind definitiv nicht die eingekauften Stars der Branche. Die eh überall zu hören sind. Das Geheimnis ist die Melange aus Komödie und Deutschstunde. Es kommt darauf an, den komödiantischen Witz, den Wagner hier mit shakespearscher Lust entfaltet, aufzuspüren und die Reflexionen über das, was Deutsch und Echt für Antworten oder zumindest für Fragen zu nutzen, die uns betreffen.

Genau das gelingt Ansgar Haag bei der ersten Meistersinger-Inszenierung in Meiningen nach 23 Jahren (damals lud August Everding ein paar Jahre nach der Wiedervereinigung auf die Festwiese) beides. Sogar überraschend gut!

Gemeinsam mit „seinen“ Künstlern und der sich zu einer beglückenden Selbstverständlichkeit und Klangpracht ohne Protzerei steigernden Hofkapelle unter ihrem GMD Philippe Bach. Der vor allem die Streicher wunderbar beredt herausarbeitet. Und immer alles zusammenhält. Dass sich Sachs oder Walther auch mal mit Wagners Wortgedrechsel vertun, ist geschenkt – das passiert auch Interpreten für die Deutsch die Muttersprache ist. In Meiningen bleiben sie allesamt in ihrer glaubwürdigen menschlichen Ausstrahlung immer auf dem Kurs ihrer Rolle.

Dae-Hee Shin ist mit seiner noblen Eloquenz und Erscheinung ein souveräner Sachs. Einer, der weiß, dass sich was ändern muss, wenn alles so bleiben soll, und dass sein Nürnberg von kreativen Zuwanderern wie Walther nur profitieren kann. Dieser Sachs ist durchaus ein ernsthafter Kandidat für Evchen, aber klug genug, nicht in diese Falle zu tappen. Zugleich ist er – ganz menschlich – manchmal auch der Spitzbube, für den Beckmesser ihn sowieso hält.

Als Walther von Stolzing betört Ondrej Šaling nicht nur mit einem schönen, strahlenden Timbre in den Preisliedern. Ihm gelingt es auch, seine schmächtige Erscheinung und den leichten Akzent in Sympathiepunkte für einen Zugereisten umzumünzen. Mit frischem Selbstbewusstsein verfolgen Camila Ribero-Souza als Eva und Carolina Krogius als Magdalena ihr Lebensglück.

Wie Siyabonga Maqungo als David mit lyrischer Emphase und klar artikuliert dem Walther die Regeln erklärt, ist eine Lehrstunde für genau das, was er da gerade erklärt. Außerdem ist er trotz seiner Pfunde ein durchweg sympathischer Darsteller, der zur Selbstironie fähig ist. Wenn er und der vorbildlich artikulierende, stets mitdenkende, gleichwohl ebenfalls stämmige Beckmesser Stephanos Tsirakoglou im Trubel der Prügelszene wie die Sumoringer aufeinander losgehen muss und darf man wirklich lachen. Und nicht nur da.

Ansgar Haag gelingt eine Figurenzeichnung im Detail, die durchweg ergreift, immer durch die Musik beglaubigt wird und ohne Firlefanz auskommt. Allein wie Beckmesser nach der Prügelei bei Hans Sachs vorbeischaut und dabei in einer wunderbaren unaufgesetzt natürlichen Choreografie sein missglücktes Ständchen vor Evas Fenster und die folgende Prügelei körperlich noch einmal durchlebt, ist ein Kabinettstück. Wie auch sein mit Slapstick-Häppchen gespickter Auftritt auf der Festwiese, wo von Zylinder bis Brille alles schiefgeht, was nur schiefgehen kann. Und er dennoch nicht denunziert wird. 

Diese Würde mit Witz gelingt aber auch, wenn die Sänger mal nur dastehen wie beim Quintett „Selig, wie die Sonne meines Glückes lacht.“ Danach gab es bei der Premiere - ganz wagnerungewöhnlich - sogar mal einen Zwischenapplaus. Und wenn unter den Meistern Ernst Garstenauer den Pogner, Marián Krejčík den Kothner singen und Roland Hartmann, Alexander Günther, James Moellenhoff oder André Eckert mit von der Partie sind, dann ist auch diese Truppe im szenisch komödiantischen Dauereinsatz, ganz gleich ob sie selber singen, oder nur auf die anderen reagieren. 

Also: Kein Fachwerk. Nirgends. Aber Schaulust pur. Immer und überall!

Ansgar Haag beschränkt sich aber nicht aufs Menscheln in der imaginären Nürnberger Idylle. Auch wenn er das täte, bliebe es ja bei der absurden Idee, einen Menschen zum Preis für einen Sänger-Contest auszuloben, bei der institutionalisierten Ausgrenzung von Außenseitern, bei der latenten Gewaltbereitschaft der Biedermänner, die ausbricht, wenn auch nur einer unterm falschen Fenster singt, und einem nationalistisch gepfefferten Bekenntnis zur Tradition, das der Oberreformer dieser utopischen Gesellschaftsidylle am Ende abgibt. Ohne, dass es im Ganzen aufgesetzt wirkt, setzt Haag einen historischen Rahmen in dem er die Komödie spiegelt. Noch während der Ouvertüre wird auf der fröstelnd kargen Bühne von Bernd-Dieter Müller ein riesiges windschiefes Kreuz sichtbar, um das sich Soldaten, Verwundete und Witwen sammeln. Ein junger Mann klebt das berühmte „Nie wieder Krieg“ Plakat der Kollwitz (aus dem Jahre 1924) an das Kreuz. Es dauert nicht lange, bis ein Soldat es wieder abnimmt und zerreißt. Die Atmosphäre hat etwas von einem Feldgottesdienst und plötzlich bekommt das auf Jesus bezogene Wort „Opfertod“ einen militanten Klang.

Dieses Auftakt-Bild, das sozusagen aus der Tiefe des Raumes und der Kälte der Vergangenheit kommt, korrespondiert mit dem Schlussbild. Dazwischen genügen stilisierte Fassaden. Am Ende formiert sich die Festgemeinde (der von Martin Wettges einstudierte Chor in Hochform!) in einer jüngeren Vergangenheit und verweist auf die Gefahren unserer Gegenwart und Zukunft. Nachdem Walther die Meisterehre verweigert und mit Eva das Weite sucht, und Sachs sich in seine Schluss-Ansprache steigert, rückt die bunte Festwiesengesellschaft (Kostüme: Annette Zepperitz) auf bedrohliche Weise zusammen und beginnt plötzlich (wieder einmal) im Gleichschritt zu marschieren. Dabei rennen sie ohne Hemmung die bis vor kurzem hochrespektierten und mit Jubel begrüßten Meister über den Haufen. Jetzt sind es nicht mehr die harmlosen Luftballons mit den Namen der Gewerke, sondern die Losungen von „Multi Kulti stoppen“ über „Ihr seid nicht das Volk“ bis „Ausländer raus“, die die Lufthoheit über den Köpfen haben und wohl in manchen Köpfen stecken. Wenn sich alle zerstreut haben, helfen die Meister (einschließlich des zurückkehrenden Beckmesser) dem zu Boden gegangenen Hans Sachs wieder auf die Beine. Und teilen sein Entsetzen über diese eigentliche, wirklich gefährliche Prügelszene. Während die Polizisten, die anfangs die Festwiese geordnet hatten, sich abwenden und in aller Ruhe eine rauchen.

Es gehört zur politisch-dialektischen Pointe dieser Inszenierung, darüber nachzudenken, worüber sich die vereinzelten, aber energischen Buhrufer eigentlich empört haben. Und wem gegenüber sie Sympathie oder Antipathie ausdrücken wollten. Für oder gegen die Losungen? Oder für oder gegen das Aufzeigen der tatsächlichen „üblen Streiche“, die uns dräun? Gegen die handwerkliche oder gar musikalische Qualität dieser Meininger Meistersinger kann es nicht gegangen sein. Die war nämlich exzellent. Und erntete begeisterte Ovationen.

Zum Programm der Festwochen in Meiningen bis 17.4. u.a. mit einem Konzert mit Teodor Currentzis siehe: www.meininger-staatstheater.de

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