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„Beckmesser, keiner besser!“Von Bernd Stopka / Fotos: Staatstheater MeiningenWenn man in Meiningen ist, hat man immer wieder den Eindruck, die Stadt sei um das Theater herumgebaut und jeder Meininger hat eine ganz persönliche Beziehung zu seinem Theater. Das Meininger Theater hat aber nicht nur eine besondere Bedeutung für die Stadt, sondern auch eine besondere Bedeutung für das Theater allgemein. Hier wurde ab 1866 unter Georg II, weltlicher Herrscher und gleichzeitig Theaterleiter (später zusammen mit seiner dritten Ehefrau Ellen), der Grundstein für das heute sogenannte moderne Regietheater gelegt – das damals allerdings etwas anders aussah, als wir es heute im Allgemeinen verstehen. Georg II wollte eine naturgetreue, detailreiche und gern auch üppige Bühnenausstattung zusammen mit einer natürlich wirkenden Personenregie – unter besonderer Betonung der philosophischen und dramaturgischen Elemente – zu einem Gesamtkunstwerk vereinen. Das gelang so eindrücklich, dass es überregionale Beachtung fand und das Ensemble immer wieder zu internationalen Gastspielreisen aufbrach. Seitdem zeigen sich die Theaterleitungen in Meiningen diesem Grundgedanken – der sich zunächst nur auf das Sprechtheater bezog – verpflichtet, sehen darin aber nicht die Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers (ein Zitat, das diversen Künstlern und Denkern zugesprochen wird). So auch der derzeitige Intendant Ansgar Haag, der in den Bühnenbildern von Bernd Dieter Müller und den Kostümen von Annette Zepperitz Richard Wagners Die Meistersinger von Nürnberg auf die Meininger Bühne gebracht hat. Ein Werk, das seinerseits Erneuerung und Neubefragung der Kunst zum Thema hat und damit auf ganz besondere Weise zu Meiningen passt. Walther von Stolzing (Ondrej Šaling), Meistersinger
In einem Beitrag
zum Programmheft erklärt der Regisseur (neben einigen überraschenden
Aussagen), dass er seine Inszenierung auf die Entwicklung Deutschlands in
den letzten 100 Jahren beziehen möchte und das Regelwerk des
Meistergesangs als politische Ordnung interpretiert. Da ist der Weg zur
Rezeptionsgeschichte nicht weit und die Befürchtung, dass die Meistersinger einmal mehr nicht nur
auf der Bühne, sondern auch auf dünnem Eis stehen
nicht ganz unberechtigt. Tatsächlich zeigt sich die
Umsetzung des Regiekonzeptes aber nur in zwei Szenen
deutlich. Da dann aber überdeutlich, erst lästig,
dann ärgerlich. Während des Vorspiels kommen
Soldaten des Ersten Weltkriegs über eine schräge
Spielfläche im Hintergrund durch reichlich
Bühnennebel (Giftgas?) auf die Bühne gehumpelt (wir
sind aber trotzdem in der richtigen Oper, auch wenn
das eher nach Tannhäuser aussieht). An ein
schräges großes Kreuz im Hintergrund wird ein Plakat
mit der Aufschrift „Nie wieder Krieg“ geklebt, das
von wütenden Söldnern schnell wieder abgerissen
wird. Frauen suchen unter den Verletzten nach
Vermissten, David verteilt Gesangbücher und so ist
zu Beginn des Chorals der Chor auf der Bühne. Eva (Camila Ribero-Souza), Stolzing (Ondrej Saling), Magdalene (Carolina Krogius), David (Siyabonga Maqungo), Sachs (Dae-Hee Shin)
Abgesehen
von diesen Bildern erlebt man eine lebendige,
detailreiche, brave, ja fast biedere
Personenregie, die die Geschichte eins zu eins
erzählt, angereichert mit ein paar seltsamen
Mätzchen (z. B. Kothners Kinderstühlchen in der
Singschule und Evas psychische Dekompensation zu
Beginn der Festwiese) und einigen geistreichen und
witzigen Ideen (z. B. wenn nach der Prügelfuge
Beckmesser allein auf der Bühne bleibt, sich die
Schuhe anzieht und ihm zum finalen Orchesterschlag
der Schnürsenkel reißt). Vom 100-Jahre-Konzept
erkennt man nur Andeutungen, die sich zeitlich
auch schon einmal vermischen. Die Singschule wird
aus der Unterbühne heraufgefahren und ist ein
Klassenzimmer mit Bücherregal nebst Wagnerbüste,
die Meister tragen Stresemann/Gehrock und Melonen,
die sie beim Aufruf ihrer Namen mehr oder weniger
erfolgreich auf Kleiderhaken werfen. Den
Bühnenbildrahmen bilden hellblaue, Häuserwände
stilisierende, bühnenhohe Gebäudeteile mit
verschieden großen Öffnungen, die im zweiten Akt
so verschoben sind, dass man wirklich den Eindruck
von verwinkelten kleinen Gassen bekommt. Rechts
steht Pogners Haus, der unten seinen Laden hat, in
dessen Schaufenstern reichlich Schmuck glänzt,
aber auch beim Öffnen eines Fensters sieht man
dahinter üppig goldene Spiegelrahmen. Dem
Goldschmied geht es gut, das künftige Erbe dürfte
beträchtlich sein. Eine gute Idee, das auf diese
Weise zu zeigen. Im dritten Akt ist Sachsens Firma gewachsen, expandiert weiter und wirbt mit „sensationellen Umbau-Angeboten“. Im Wintergarten vor dem nunmehr auch Schuhhandelsgeschäft könnte er auch Kaffee und Kuchen anbieten. Letzteren verspeist Stolzing allein und räumt als guter Gast auch den Frühstückstisch ab. Sachs reicht ihm dann auch noch Geschirrtücher und Spülmittel, bevor er das Preislied für Beckmesser zurechtlegt, der nicht zufällig vorbeikommt, sondern erwartet wird, um seine Rechnung zu bezahlen. Wir befinden uns irgendwo zwischen Wirtschaftswunder und Jetztzeit, auf jeden Fall ist alles reichlich bieder – auch auf der Festwiese, auf der reges Treiben in bunten Kostümen herrscht. Die Meister werben mit Trauben von bunten Luftballons, mit dem jeweiligen Handwerksnamen bedruckt. Die schräge Spielfläche vom Beginn des ersten Aktes wird zur Tribüne, aus dem Kreuz ist ein Antennenmast mit Satellitenschüsseln geworden. Das Sängerpodium ist üppig mit schwarz-rot-goldenen Schleifen und einem Lorbeerkranz geschmückt, Polizisten einer kürzlich vergangenen Zeit (in moosgrün/beige) ordnen und kontrollieren das Ganze. Der traurige Schluss ist oben bereits beschrieben. Hans Sachs (Dae-Hee Shin), Sixtus Beckmesser (Stephanos Tsirakoglou)
In der Charakterzeichnung fällt vor allem Beckmesser auf, der
hier nicht als pedantischer, korrekter und nach außen hochkontrollierter Stadtschreiber
gezeichnet ist, sondern als ein liebenswerter,
leicht tüddelig-trotteliger Bär, dem dauernd etwas
aus den Händen fällt und der mit dem Hinterteil
umreißt, was er mit den Händen aufgebaut hat. Und
das passiert ganz wörtlich genommen vor dem
Ständchen, wenn er umständlich einen Notenständer
aufbaut und ihn dann zweimal mit einem an seinen
verlängerten Rücken geschnallten einbeinigen
Melkschemel umwirft. Da sind wir dann auf
Zirkusclown-Niveau angelangt. Ensemble Festwiese Dae-Hee Shin singt einen edlen, hochkultivierten und stimmschönen Sachs, wirkt aber irgendwie immer ein bisschen abwesend. Auch fehlt ein Stück des Charismas, das man sich für diese Rolle wünscht. Ondrej Šaling hat einen klaren strahlenden Tenor, den er geradlinig führt, solange er nicht forciert, was das Finale des ersten Aktes geradezu herausfordert. Im Preislied auf der Festwiese lässt er sich nicht dazu verleiten und singt es wunderschön. Artikulation und Diktion sind noch ausbaufähig, aber es ist schön, wieder einmal einen echten strahlenden Tenor in dieser Partie zu hören und keinen hochgepeitschten Bariton. Siyabonga Maqungo ist ein wunderbarer David, mit ganz hellem, ja, glasklarem, beweglichem und exakt geführtem, jungenhaftem Tenor. Sicher macht es Spaß, ab und zu mal mit der Stimme aufzutrumpfen, aber das hat er doch gar nicht nötig. Camila Ribero-Souza singt eine selbstbewusste Eva, kein naives Mädchen (auch, wenn sie ständig ihr Kleid am Schoß zusammenknüllen muss) und zeigt wunderschöne Klangfarben und Ausdrucksnuancen mit der richtigen Dosierung von Seele in der Stimme. Carolina Krogius singt eine klangvolle, souveräne Magdalene und komplettiert das geradezu überirdisch schön gelungene Quintett. Ernst Garstenauer dröhnt herrlich als Pogner und Marián Krejčík hinterlässt als Kothner guten Eindruck. Meiningens GMD Philippe Bach leitet das engagiert und leidenschaftlich mitgehende Orchester mit viel Elan und Sinn für Nuancen, beginnt gleich mit einem deutlich akzentuierten Meistersinger-Motiv und beherrscht den Spagat zwischen vollem Gesamtklang und Transparenz. Immer wieder lässt er Orchesterstimmen aufblühen und Details hören, ohne dabei den großen Bogen zu vernachlässigen. Ab und zu klappert es im Orchester, noch viel häufiger aber zwischen Bühne und Graben. Da sollte sich im Laufe der nächsten Aufführungen etwas mehr Einigkeit insbesondere über die Tempi und Einsätze einstellen. Zweimal hörte man in der Premiere den Ablauf gefährdet, aber man fand noch rechtzeitig wieder zusammen – und die Prügelfuge gelang geradezu vorbildlich. Ärgerlich war im ersten Akt ein knarzendes Nebengeräusch, das die Musik geradezu vergällen konnte. Ein mit Holzkeilen etwas notdürftig auf dem Dirigentenpodium befestigtes Dirigentenpult konnte als Ursache ausgemacht und in der Pause kräftig und erfolgreich geölt werden. FAZIT
Meiningen
ist immer ein Erlebnis, nicht zuletzt auch wegen der
exzellenten Akustik des Hauses. Sieht man vom Anfang
und Ende ab, erlebt man eine überwiegend lebendige
und ideenreiche Inszenierung, die die Geschichte in
stilisierten aber ästhetischen Bildern erzählt, wie
sie im Libretto steht. Das elanvolle Dirigat und
Stephanos Tsirakoglou als Beckmesser sind die
musikalischen Höhepunkte der Produktion.
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ProduktionsteamMusikalische Leitung Inszenierung Bühne Kostüme Choreographie Chor Dramaturgie
Meininger Hofkapelle Chor
und Extrachor Bürgerbühne Meiningen Statisterie
SolistenHans Sachs Veit Pogner Kunz Vogelgesang Konrad Nachtigall Sixtus Beckmesser Fritz Kothner Balthasar Zorn Ulrich Eisslinger Augustin Moser Hermann Ortel Hans Schwarz Hans Foltz Walther von Stolzing David Eva Magdalene Nachtwächter
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- Fine -