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Als die Ritter fliegen lernten oder Alles Baroque&Roll
Von Joachim Lange / Fotos von Dieter Wuschanski Die Oper in Chemnitz gehört bislang nicht unbedingt zu den Hochburgen der Pflege von Barockmusik. Das diese aber nicht nur mit Spezialorchestern oder bei den diversen Festspielen begeistern kann, ist jetzt bei Händels Rinaldo zu erleben. Das erstaunlichste daran ist, dass auch junge Opernbesucher hier vom Sitz gerissen werden, weil die Regie die barocke Ästhetik mit einem Trick reanimiert. Als Georg Friedrich Händel für seinen Wechsel nach London einen effektvollen Einstieg für seinen eigentlichen Karrierestart suchte, war sein Rinaldo genau richtig. Damit kam er 1711 in London groß heraus. Kobie van Rensburg und Felix Bender sind zwar in Chemnitz längst keine Unbekannten, aber mit ihrem Rinaldo geht es ihnen jetzt nicht anders.
Über den können versierte Händelfans staunen. Und wie die jungen, offensichtlichen Opern-Neulinge im Saal am Ende jubeln. Die Truppe, die sich auf der Bühne in die Heldenbrust wirft, um - abwechselnd - Jerusalem oder einen Liebhaber zu erobern oder standzuhalten, andere Leute zu behexen oder Zaubersprüche und Ungeheuer abzuwehren, Schiffe versenken oder versuchen, sich vorm Ertrinken oder vor im Wasser kurvenden Haien zu retten und alles mögliche andere bietet, was im Barocktheater an Budenzauber so in Mode war, zieht eine große Show ab, singt fabelhaft und hat obendrein Spaß dabei. Das fängt beim (längst in der Spitzengruppe der Zunft etablierten) ukrainischen Counter Youriy Mynenko als Kriegsheld Rinaldo an, geht weiter über dessen amerikanischen Stimmfachkollegen Jud Perry als Eustazio und gilt für alle Mitglieder des Ensembles - von Anna Harvey in der Hosenrolle des Kreuzritter-Anführers Goffredo und Franziska Krötenheerdt als dessen Tochter und Braut des Titelhelden Almirena, trifft aber auch für die Gegenseite zu.
Die wird angeführt von der auf Rinaldo versessenen Zauberin Armida (als Koloraturluder: Guibee Yang), den bedrängten König von Jerusalem Argante (Andreas Beinhauer). Der weiße Magier von Tiina Penttinen schützt die Eroberer mit seiner Magie vor den Zauberkräften der Einheimischen. Ein Beispiel für politische Korrektheit ist das alles nicht, wenn man es ernst nähme und von heute aus bewerten würde. Darum geht’s aber nicht. Eher um ein pragmatisches mit lauter Unwahrscheinlichkeiten und jähen Wendungen gespicktes Intrigen-Ping-Pong, wie es für die Libretti der Zeit so üblich war und in jeder gängigen TV-Serie von heute wiederzufinden ist. Alles ist hier Baroque & Roll, wie es im Abspann so schön und zutreffend heißt. Eher spielen hier Ritter mit Kokosnüssen und zaubern wie bei Harry Potter. Bei den Kostümen hat sich Kristopher Kempf jedenfalls davon inspirieren lassen.
Dass die Robert-Schumann-Philharmonie dabei mit Erfolg so tut, als wäre sie ein Barockorchester, ist der so präzisen wie inspirierenden Art zu verdanken, mit der der in diesem Jahr als GMD amtierende Dirigent Felix Bender das Feuerwerk auf der Bühne vom Cembalo aus anfeuert und von der Leine lässt. So, dass er einmal samt Instrument selbst durch die Luft fliegt…. Wie das geht? Der Clou dieses Abends ist die Regie des Südafrikaners Kobie van Rensburg (47), der in Chemnitz schon mit seiner La Cenerentola alle Gewissheiten über Oben und Unten beiseite geschoben hatte. Diesmal hat er die Verwendung von Videos auf die Spitze getrieben und das Ganze als Bluescreen-Werkstatt auf die horizontal zweigeteilte Bühne von Steven Koop gebracht. In der unteren Hälfte agieren die Sänger in ihren Kostümen vor einem blauen Hintergrund. Und oben gibt es die dann als Akteuere in einer historisch durchgestylten Computerspiel-Welt. Beide gleichzeitig. Doch was auf ambitionierten Schauspielbühnen mit viel analytisch assoziativem Tiefgang bis zum Überdruss praktiziert wird, das wird hier zum puren Vergnügen.
Da reitet Goffredo auf seinem Gaul und an der Spitze des Heeres auf die Mauern von Jerusalem zu. Drinnen fliegt Argante in einem Affenzahn mit dem fliegenden Teppich über die Dächer und Kuppeln dieser märchenhaften Stadt. Die böse Zauberin entfesselt den Feuersturm, von dem sie redet, tatsächlich. Und der Weg in den Unterwasserpalast geht hier wirklich mal durchs wogende Wasser mit Quallen und Haien. Die Schlacht um Jerusalem als ein Duell mit abgefeuerten Energiestrahlen zwischen den Heerführern ist ein ebenso witziger Einfall wie die mitunter launig heutigen Übertitelungen. Den Hit der Oper, das betörend klagende „Lascia ch‘io pianga“ der Almirena mal von einer gefesselten und kopfüber von der Decke hängenden Sängerin zu hören, das geht auch nur bei der Technik.
Kobie van Rensburg und Felix Bender begeistern in Chemnitz mit ihrer virtuellen Version von Händels Rinaldo. Das muss man einfach gesehen und natürlich gehört haben! Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
ProduktionsteamMusikalische LeitungFelix Bender
Inszenierung und Video
Bühne
Kostüme
Choreographie
Dramaturgie
Solisten
Rinaldo
Almirena
Armida
Goffredo
Argante
Mago
Eustazio
Sirenen
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