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Die Prinzessin und das große Nichts
Von Roberto Becker / Fotos von Klara Beck
Es beginnt mit bzw. als Theater. Ein Schminktisch. Ein Bett. Brandmauern. Ein grün leuchtendes Notausgangs-Schild. Und ein nackter Modellathlet, der von sechs hilfreichen Frauenhänden mit roter Farbe eingeschmiert wird. Das sieht ganz nach einem modischen Als-Ob-Theater aus. Doch wenn die Musik einsetzt, ist sofort die Spannung zwischen den Figuren da. Auf der emotionalen Hauptachse des Begehrens. Zwischen dem Pagen und Narraboth auf dem Lotterbett. Dann zwischen Narraboth und Salome. Aber auch zwischen den beiden Soldaten und dem Pagen. Regisseur Oliver Py lässt da von Anfang an nichts aus. Im Palast des Herodes feiern sie ebenso intensiv, wie auf der anderen Seite die Vertreter der Religionen debattieren. Ein Jude, ein Orthodoxer, ein Protestant in Schwarz und ein Katholik in Kardinalsrot. Ein Imam fehlt auch nicht. Und schon ist Py bei den Moralaposteln, 'raus aus der jüdischen Falle und irgendwie drin in der Gegenwart.
Salome legt am Anfang ein Kostüm aus Federschmuck an. Eine Wilde, eine Squaw. Gäste aus dem Palast ziehen vorbei. Junge Yuppies von heute. Ein lebensgroßer Gekreuzigter liegt jetzt auf dem Bett. Wenn der Prophet endlich erscheint, gibt es den Theater-Coup dieser Inszenierung, den Ausstatter Pierre-André Weitz noch ein paar Mal wiederholt: Die komplette Rückwand fällt nach vorn, erzeugt einen Luftzug, der bis in die letzte Reihe des Theaters dringt, und die Geldscheine, mit denen sie vorher um sich geworfen haben, aufwirbelt. Plötzlich steht auf der Bühne ein Urwalddickicht. Wie in einem jener alten Bilderbücher, die diesen Ausflug ins Dreidimensionale boten. So wird aus der Kostümierung Salomes mit dem Federschmuck der Wilden eine nachvollziehbare Metapher. Py zelebriert das demonstrative Begehren, das Salome auf Jochanaan richtet, parallel als Begehren des Pagen, das dieser auf Narraboth richtet. Jochanaan wiederum nimmt für einen Moment die gleiche Pose ein wie die Figur des Gekreuzigten, die erst auf dem Bett und dann an der Seite abgelegt war. Wenn das Stichwort vom Todesengel fällt, dann schreitet taucht der, jetzt mit roten Flügeln und ansonsten nur mit roter Farbe "bekleidet", das erste Mal effektvoll durch die Szene.
Wenn der nicht nur im Vergleich dazu wirklich hässliche Jochanaan Salome donnernd verflucht, stürzt die Rückwand erneut nach vorn. Nun beherrscht eine glutrot leuchtende Metropolen-Skyline von heute die Szene, in der die Partygesellschaft des Herodes eine Jeder-mit-Jedem-und-Jeder-Party mit Anfassen und Ausziehen beginnt. Typisch Py und französisch locker. (In Deutschland würden sich da wieder ein paar Kritiker nach dem Motto 'muss das schon wieder so schwul sein' aufregen.) Jetzt regnet es Dollarnoten. Und der Jesus baumelt da, wo später der Kopf seines Propheten landen wird, mit den Füßen nach oben über der Szene. Mit dem Auftauchen von Herodes wird alles in ein kaltes weißes Licht getaucht. Mondlicht mit Todesengel. Kann gut sein, dass der Mond ist wie der Mond und sonst nichts. Aber wenn Herodes den Wind spürt, dann wird die Skyline durch einen schneebedeckten Gebirgszug abgelöst. Die Kälte, die der ausstrahlt muss freilich nur metaphorisch sein, denn die Partiegesellschaft lässt hinten komplett die Hüllen fallen, während vorne Herodes mit seinem Betteln um den Tanz der Salome von seiner Stieftochter im Grunde das gleiche erwartet. Dort marschieren die Gottesmänner zum Streiten geschlossen auf. Das Gezeter der Juden, hier als Streit zwischen den Religionen um ihren Gottesbegriff zu imaginieren, das bewährt sich als gewitzter Einfall.
Auch der, dass es für den Tanz vom kalten Gebirge geradewegs in einen üppigen sakralen Raum geht. Aus dessen Boden erblühen scheinheilig die weißen Lilien der Reinheit. Durch die tobt erst der nackte Engel und tanzt dann Salome. Die legt dabei aber nicht nach und nach sieben Schleier ab, sondern ihr folgen nach und nach sieben Männer, die jede ihrer Bewegungen imitieren. Dass hier der Todesengel dem Herodes auf den Fersen ist, ist dabei ebenso effektvoll und (über-)deutlich wie die Attacke der Männer auf Herodias, die mit ihr eine Runde Steinigen "spielen". Wenn es schließlich um den Kopf des Propheten geht, ist die Bühne von den Flammen der Hölle gefüllt. Salome als Höllenrose sozusagen. Damit wird wieder eine neue Seite in diesem spannenden Buch über Liebe und Tod aufgeschlagen. Der imaginäre Todesengel ist jetzt - ohne seine Flügel - zum Henker geworden, der in die Tiefe des Orchestergrabens hinabsteigt. Und von Salome dorthin zurückgestoßen wird, als er versucht, seinem Auftrag zu entkommen. Wenn er dann doch mit dem Kopf in der Hand auftaucht und ihn der Prinzessin übergibt, die ihn für ihren makabren Dialog am Seil aufhängt, wandelt sich die Bühne erneut. Zum letzten Mal. Der Henker bleibt nach getaner "Arbeit" nackt auf den Stufen liegen, die wie ein Weg ins Nichts wirken. Die letzte Seite in diesem Bühnenbilderbogen ist gleichsam das Ende der bekannten Welt. "GOTT IST TOT" steht da - aus Sternen geformt - am Firmament, das gleich oberhalb der Riesenfreitreppe beginnt. In Menschenschrift ins Universum geschrieben, kann das eigentlich nur eine Art von Selbstironie Gottes sein. Ob der Befehl des Herodes, dass man dieses Weib töten solle, befolgt wird, weiß man nicht. Die entschwindet nämlich in Richtung des gotteslosen Nichts. Die letzten Schläge aus dem Graben klingen da wie das Echo einer ganz grundsätzlichen Flucht.
Oliver Py ist ein origineller, ziemlich opulenter Zugang gelungen, der gleichwohl auf die konkreten optischen Zutaten für die Zeit der Handlung oder der Epoche der Entstehung verzichtet. Dafür zaubert er Bilder aus der Theater-Trickkiste und verbindet sie mit einer Personenregie, die den Spuren der Obsessionen folgt. Szenisch ist das auf packende Weise gelungen. Auch Constantin Trinks lässt sich im Graben auf die stückimmanente Beziehungsspannung ein. Zaubert Stimmungen und die schwüle Atmosphäre des Begehrens, wie des drohenden Unheils. Der vokale Lorbeer freilich gebührt nicht der Prinzessin und dem Propheten, sondern Herodes und Herodias. Wolfgang Ablinger-Sperrhacke und Susan Maclean versehen die beiden mit passgenauer Eloquenz und exzellenter Wortversändlichkeit mit königlichem Charisma. Ebenso mustergültig sind Julian Behr als schmachtender Narraboth und der dunkel markante, androgyn verführerische Page von Yael Raanan Vandor. Die Finnin Helena Juntunen spielt ihre Salome als bleiche Eigensinnige, hat für ihren Schlussmonolog auch leuchtende Höhen aufgespart, bleibt aber insgesamt deutlich hinter einem echten Salome-Ereignis zurück. Auch dem Jochanaan von Robert Borck fehlt das Balsamische, das seinen Wortbildern den rechten Glanz verleihen würde. Alle anderen Rollen sind respektabel, vor allem auch darstellerisch passgenau besetzt.
Der opéra national du rhin, Oliver Py und Constantin Trinks ist eine opulente Salome gelungen, für die, trotz kleiner vokaler Einschränkungen, die Reise an den Rhein lohnt. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Licht
Solisten
Salome
Herodes
Herodias
Jochanaan
Narraboth
Ein Page der Herodias
Erster Nazarener
Zweiter Nazarener
Erster Jude
Zweiter Jude
Dritter Jude
Vierter Jude
Fünfter Jude
Erster Soldat
Zweiter Soldat
Ein Kappadozier
Eine Sklavin
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