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Così fan tutte - Foto: © Lutz Edelhoff
Così fan tutte - Foto: © Lutz Edelhoff
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Kein Sex ist auch keine Lösung – Mozarts „Così fan tutte" an der Oper in Erfurt

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Zum Schluss wird es doch noch todernst. Da wird aus Fiordiligi ein gefallener Engel. Im weißen Brautkleid. Mit großen metaphorischen Flügeln. So bricht sie zusammen. Der personifizierte Tod hatte sich eh schon immer Mal unter die auf Teufel komm raus zum Amüsieren entschlossene Gesellschaft gemischt. Sie zahlt einen hohen Preis für ihre Selbstüberwindung und die (Ent-)Täuschung in dem Spiel mit dem Treue-Test. Alle anderen sehen zu, dass sie Land gewinnen nach dem belehrenden lieto fine. Das gar keins ist. Zumindest nicht im Sinne von: jetzt sind wir alle klüger und machen so weiter. Sie flüchten, jeder für sich, in die zusammengeklappten Kulissenwände von Hank Irwin Kittel.

Dort beginnt es, schon während der Ouvertüre, mit einer Versammlung des ornamenttapeten- braven Vereins „Auf Liebe warten“, samt schriftlichem Versprechen „Kein Sex vor der Ehe“. Nach der Treue-Wette unter den Herren stellt das fingierte Auftauchen der exotisch aufgemachten, „anderen“ Männer inklusive Kamel und Gefolge die Welt der biederen jungen Frauen (sprich das Häuschen um das Zimmer der Schwestern) buchstäblich auf den Kopf. Schließlich landen alle in einem quietschbunten, mit Popart-Obszönitäten ausstaffierten Garten der Lüste unter der Discokugel. Was an die Bilder der yellowpress tauglichen Poolparties bei Playboy-Chef Hugh Hefner erinnert. Nur, dass es hier die Männer selbst sind, die als Bunnys rumstöckeln. Einmal auch der trotz aller Pfunde nicht nur stimmlich höchst bewegliche Don Alfonso Siyabulela Ntlale. Damit kommt ihm an diesem Abend die Palme für den größten Mut zum ausgefallenen Kostüm zu. Auch der wohltimbrierte Máté Sólyom-Nagy als Guglielmo und der markant auch die lyrischen Passagen treffende Won Whi Choi als Ferrando machen das durchweg toll. Könnte gut sein, dass sie der junge französische Regisseur Benjamin Prins nur mit dem Versprechen zu diesem Aufzug überredet hat, selbst zum Schlussapplaus auf die gleich Art Bein zu zeigen. Gemacht hat er es jedenfalls. …. 

Da Alfonso weiß, was kommt, lacht er sich schon eins, bevor es losgeht. Er inszeniert die ganze Verführungsshow zusammen mit seiner atemberaubenden Assistentin Despina und den beiden blondierten, Hotpants tragenden Assistenten. Dabei zieht er alle Register und lässt uns bei der Verfertigung dieses Theaters auf dem Theater zusehen. 

So demontiert er Schritt für Schritt die absurde, religiös aufgeladene Treuebehauptung des Anfangs. Raus kommt zunächst ein Crescendo aus Trashklamotte und Slapstick. Mit dem ersten Finale als Höhepunkt. Wenn Despina als Medicus verkleidet und mit gekonnt falscher Stimme mit einem Riesenhufeisenmagneten als „hochmodernem“ Therapie-Gerät aufkreuzt, dann zieht der so gut wie Alles an. Zuerst die Riesenbusen der Krankenschwestern-Hilfstruppen, dann sämtliche Protagonisten, Hilfskräfte, Scheinwerfer und sogar ein Steuerpult. 

Am Ende ist die Fallhöhe dann aber trotz allem Klamauk enorm. „Cosi fan tutte“ als pure Komödie wäre ein Missverständnis. Nach dem Motto: so (untreu) sind die Frauen eben. Doch es geht um die Gefährdungen, die auf Frauen und Männer warten. 

Obwohl sie in Erfurt die Kurve am Ende nicht ganz kriegen, fliegen sie doch nicht raus. Von der Anfangsszene taucht nur das Porträt eines moralinsäuerlich dreinblickenden „Kein-Sex-wir-sind-Amerikaner“-Gurus noch einmal auf. Die gouvernantenhafte Seminarleiterin freilich haben sie unterwegs vergessen. Und ein wenig auch die direkte szenische Antwort auf die Ausgangsthese. Allein, die Geschichte geht doch, auch für sich genommen, irgendwie auf. 

Zu einem Großteil ist das Fiordiligi zu verdanken. Überhaupt marschieren vor allem die weiblichen Protagonisten allesamt vorneweg. Daniela Gerstenmeyer holt sich als freizügige Despina sogar mal einen Mann aus dem Saal, steuert vom Rang aus ihre weiblichen Weisheiten bei und verschafft Dorabella obendrein Einblicke in andere Spielarten der Liebeslust. Für Sharon Carty wird alles zu einer Verwandlung von der grauen Maus mit Brille in eine scharfe Braut, die es am Ende sogar mit Despina aufnehmen kann. Margrethe Fredheim als Fiordiligi verführt (das Publikum) vor allem mit souveräner Höhe und imponierender Tiefe. Für sie hat der Regisseur die ernsthafteste Szene reserviert. Schon die vokal grandios absolvierte Felsenarie ist ein Kampf mit sich selbst. Sie wehrt den Griff des für sie plötzlich so verführerisch wirkenden Ferrando ab, nachdem sie gerade erst seine Hand an ihre Brust geführt hat. Sie sieht plötzlich ihren Guglielmo buchstäblich als Soldat sterben, als sie wild entschlossen den Männern in den Kriegseinsatz hinterher reisen will. Über ihr formen sich schließlich die nächtlich blinkenden Sterne zu einem GAME OVER Schriftzug, als sie sich in ihrer betörend intensiven Arie von ihrem ursprünglichen Geliebten verabschiedet, um sich dem Neuen zuzuwenden.

Die (optische) Ruhe dieser Szene macht sie als Kontrast zur sonst dominierenden Popart- und Kitsch-Opulenz zur stärksten des Abends! Damit steht Wandlung der Fiordiligi für das allgemein Gültige, zeitlos Menschliche der vielzitierten Operation am offenen Herzen. Für jene Verwirrung der Gefühle, die von der Anziehung herrührt, die vom Anderen ausgeht. Für sich genommen, jenseits einmal gegebener Versprechen. Ob nun wie bei DaPonte und Mozart als Kollision der Chemie der Gefühle mit einem schlichten Verlobungsversprechen oder wie bei Benjamin Prins mit einer irgendwie fundamentalistisch anmutenden Mode, die nicht nur im postfaktischen Reich der Donald Trump Wähler Urstände feiert. 

Dass Mozart allemal klüger ist, hört man in Erfurt auch, dank der vierten Frau im Bunde. Die GMD Joana Mallwitz dirigiert nicht nur einen zupackend, frischen Mozart, sie verlängert dabei zugleich das Verführungsspiel auf der Bühne mit ihrer inspirierend anmutigen Art die Musiker des Philharmonischen Orchesters, sehr präzise zu dirigieren, gleichsam mit Lust in den hochgefahrenen Graben.

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