Ovids Metamorphosen gelten als eine der ersten erhaltenen Erzählungen von dem Bildhauer Pygmalion, der sich in sein Werk, eine Frauenstatue aus Elfenbein, verliebt. Während im Mythos eine Liebesgöttin in das Geschehen eingreift, wandelte sich der antike Stoff im Zeitalter der Aufklärung zu einer Gesellschaftstheorie, in welcher der Künstler zum bildenden Erzieher wurde. Mit der Adaption von Bernhard Shaws satirischer Mythenvariante Pygmalion schrieb Frederick Loewe gemeinsam mit Alan Jay Lerner 1956 am Broadway Geschichte – bis heute gehört My Fair Lady zu den wohl berühmtesten Musicals.

Sechzig Jahre nach der New Yorker Uraufführung mit Julie Andrews als einfachem Blumenmädchen Eliza und Rex Harrison als wortgewandtem Sprachprofessor gehört die moderne Version des Pygmalion-Mythos zum Repertoire am Nationaltheater Mannheim. In einer aufwendig ausgestatteten und bunt gefächerten Inszenierung von Helmut Baumann und revueartig aufgereihten Choreographien von Jürg Burth verliert die lehrhaft gefärbte Erzählung jedoch ihre gesellschaftskritische Dimension und mündet in einen symbolischen Pantoffelwurf.

Helmut Baumann und Jürg Burth folgen in ihrer Inszenierung den Bildern von George Cukors Verfilmung des Erfolgsmusicals von 1964. Katrin Kegler-Fritsch erschuf hierfür einen stimmungsvollen Bühnenraum, in dem große Nebelschwaden die Sicht auf den Vorplatz des Londoner Opernhauses in Covent Garden freigeben. Unter dem nächtlichen Schein der Straßenlaterne trifft die durch ihre grobe Umgangssprache auffallende Eliza Doolittle auf Henry Higgins, der sie zu Studienzwecken beobachtet hat. Während der Regen auf den Bühnenboden prasselt, wandelt sich die Szenerie zur einer Straßenecke mit Spelunke, in der Elizas Vater Alfred verkehrt. Durch eine große, eingefahrene Rückwand, die mit Büchern und Aufnahmegeräten bestückt ist, und die Hausdame Mrs. Pearce geraten die Räumlichkeiten des Professors in der Wimpole Street 27a nun zu einer Gegenwelt.

Der über einen großen, geschwungenen Aufgang zu erreichende Salon gerät zur gesellschaftlichen Erziehungsstätte, in der Eliza durch den Genuss von Pralinen zu einem Experiment verlockt wird, dessen grausame Maßnahmen im Vorbild der berühmten Verfilmung untergehen. Vor einem weit aufgespannten Bühnenprospekt, der einen mit Wolken überzogenen Himmel zeigt, versammelt sich die Londoner Gesellschaft schließlich in Ascot. Die von Uta Loher und Conny Lüders detailreich gestalteten Kostüme, ausladende Kleider und auffallende Hüte fügen sich nahtlos in die wandlungsfähige Kulisse ein.

Ganz im Stil der klassischen Operette, deren dramaturgischer Struktur My Fair Lady in der Figurenkonstellation von Sopran, jugendlichem Tenor und hohem Bariton folgt, wird der sich nun anschließende Befreiungsakt Elizas unter den überzeichneten Liebesschwüren ihres Verehrers Freddy Eynsford-Hill und den Revueeinlagen ihres Vaters Alfred P. Doolittle, der sie an Higgins verkauft hat, begraben. Gegen den Professor weiß sich das einstige Blumenmädchen nur zu erwehren, indem sie mit den Pantoffeln nach ihm wirft. Trotz eines Selfies machenden Botschafterpaares aus Asien und einer Anspielung auf die amerikanische Präsidentschaftswahl verschwimmt die satirische Analyse der britischen High Society, die ironische Schärfe, die sowohl in Shaws Theaterstück als auch in der Übertragung von Lerners Text durch Robert Gilbert gegenwärtig sind, im filmischen Blick.

Dieser Tiefe und Substanz vermissen lassenden Deutung stand ein glänzendes Dirigat von Matthew Toogood gegenüber; er führte das Orchester des Mannheimer Nationaltheaters mit viel Verve und Engagement. Dabei schuf er eine orchestrale Fülle, die nicht allein in „Es grünt so grün“ den Tango-Rhythmus spürbar werden ließ, sondern auf dem Diplomatenball im wuchtigen Dreivierteltakt des Walzers die Bühne zum Beben brachte. Katharina Göres verlieh dem Blumenmädchen aus armen Verhältnissen mit ihrem Berliner Dialekt Leichtigkeit, brach in die Welt des strengen Sprachwissenschaftlers ein, tanzte unbeschwert mit den Obsthändlern und wirkte in ihrer gezwungen höflichen Manier in der tristen Welt der gehobenen Gesellschaft sehr erfrischend. Während ihr Sopran in „Ich hätt’ getanzt heut’ Nacht“ in der Mittellage sehr sanft wirkte und sie zerbrechlich erscheinen ließ, war ihre Stimme im trotzigen „Tu’s doch“ in der Höhe besonders scharf und spitz. Axel Herrig legte Henry Higgins als einen einzig der englischen Sprache huldigenden Aufklärer an, dem menschliche Bedürfnisse äußerst fremd erschienen. Dabei offenbarte er mit seinem lyrisch geführten Bariton eine gefühlvolle Seite, die er letztlich in „Ohne dich“ gänzlich auszugestalten wusste.

In der Rolle des Hugh Pickering stand ihm ein im Sprechgesang sehr beweglicher Rolf Germeroth zur Seite, dessen gutherzige Bemühungen zu viel Situationskomik führten. Joachim Goltz zeichnete in der Partie des Alfred P. Doolittle eine vulgäre Vaterfigur nach, die in den Tanzeinlagen mit grobem Charme und wendigem Bariton zu begeistern wusste, und Opernstudio-Mitglied Pascal Herington verzückte in seinem Debüt als Freddy Eynsford-Hill mit jugendlich strahlendem Tenor und lebhaftem Spiel. Neben ihm und einem großen Ensemble von Solisten, Chor und Tänzern trug Petra Welteroth mit schön timbrierter Stimme und großer Präsenz als Mrs. Pearce zu einer gelungenen Repertoireaufführung bei.

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