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Foto: Heiko Sandelmann
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Psychokiste: Richard Wagners „Der Fliegende Holländer“ am Stadttheater Bremerhaven

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Eigentlich reden alle eher verzweifelt aneinander vorbei. In Richard Wagners „Der fliegende Holländer“ (1841/43) liebt die Kapitänstochter Senta nicht den Holländer, sondern sein Bild und ihre neurotische Vision, ihn zu erlösen: ein pubertäres Mädel in schwarzen Hosen, T-Shirt und Pferdeschwanz. Der Holländer liebt nicht Senta, sondern die Möglichkeit seiner Erlösung von seinem Fluch, lebenslang auf dem Meer fahren zu müssen: schwarzer romantischer Fantasie-Anzug und schwarz umränderte Augen. Sentas Vater Daland liebt nicht seine Tochter, sondern erzwingt eine vergewaltigende Kindeshaltung, er verkauft das Mädchen gegen viel Geld: er zappelt recht unsicher, aber gleichzeitig immer siegesgewiss. Der Jäger Erik ist vielleicht noch der einzige „normale“ in dieser Konstellation, doch seine Liebe zu Senta erstickt an seiner Unfähigkeit, Senta gehen zu lassen: er im korrekten schwarzen Anzug. Nichts also ist verstellt durch historisierende Kostüme.

Dies alles hat der Regisseur Matthias Oldag in seiner gut angenommenen neuen Inszenierung des Werkes in eindrucksvollen und berührenden Bildern zum Ausdruck gebracht. Großartig gleich die erste Szene, in der mit dem Hintergrund der wütenden See die Toten an Land gespült werden (Bühne Anna Kirstein). Oldag betont nicht das mögliche Historische, also zum Beispiel die Ausbeutung der Schiffsbesatzung durch den Holländer, der vom kolonialistischen Eroberungsweg nach Indien kommt, sondern entwarf eine Psycho-Kiste für alle, die allerdings insgesamt mehr in die Tiefe gehen könnte.

Senta ist keine Kunstfigur, sondern ein sehr reales junges Mädchen, die gegen ihre Gesellschaft rebelliert und entsprechend von den Frauen in der Fabrik (ansonsten die Spinnstube) gemobbt wird – auch hier liegen Tote. Sie reagiert mit epileptischen Anfällen: Agnieszka Hauzer ist da noch mehr körperliche Intensität zu wünschen, das wirkt alles ein bisschen steif. Und gesanglich hat der Gast aus Kiel neben wunderbaren Momenten – im Duett mit dem Holländer – leider auch viel allzu Forciertes anzubieten. Am Ende übergießt sie sich mit Benzin und verbrennt als eine Feuersäule. Joachim Goltz als Gast vom Nationaltheater Mannheim ist als egomaner Holländer immer nur mit sich selbst beschäftigt, musikalisch überzeugt sein Rollendebut restlos. Und Leo Yeun-Ku Chu zeigt den Daland in einer sehr menschlichen Ambivalenz – wunderbar gesungen, nur leider passte seine eher intime Stimme so gar nicht zu der Stimmgewalt von Goltz. Tobias Haaks als Erik kämpft eindrucksvoll um seine ehemalige Liebe – aber schmerzhaft vermisst man seine sehnsuchtsvolle Lyrik. Es war alles überlaut und damit kommen wir zum Problem des Abends, an dem eigentlich alles Orchestrale nur so knallte.

Marc Niemann setzte mit dem Orchester mit extremen Tempi durchaus gekonnte und aufregende Akzente, Orchestervirtuosität war garantiert, aber er kam eben auch nie runter, so dass Zwischentöne durchgehend fehlten. Die Orchestersprache des Holländer ist eben auch durch jene Zerrissenheit charakterisiert, mit der Wagner den „Opernstil“ überwinden wollte. Fabelhafte Sprachbehandlung: nahezu jedes Wort konnte man verstehen. Trotzdem erscheint mir das Fehlen von Übertiteln ärgerlich: Man kann einzelne Wörter noch so gut verstehen, den Sinnzusammenhang versteht man nicht. Nicht zuletzt: Eine große Oper für den Chor, der im 2. und 3. Akt, wenn die beiden Mannschaften feindlich aufeinandertreffen, von Oldag überaktiv gestaltet war, während die gestrandete Daland-Mannschaft vom Anfang in Unterhosen nur rumstand.

Die nächsten Aufführungen: 05.11., 19.11., 23.11., 16.12. 2016 und 8.1., 26.1., 11.2. und 26.2. 2017 um 19:30 Uhr.

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