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Tiroler Festspiele: In eisigen Höhen

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Mit bulligem Ungestüm füllt Giulio Boschetti in der Titelrolle (li.) die Regie-Leerstellen bei der Erler „Guglielmo Tell“-Produktion – hier eine Szene mit Ferdinand von Bothmer als Arnold. Foto: Tiroler Festspiele Erl / APA-Fotoservice / Xiomara Bender
Mit bulligem Ungestüm füllt Giulio Boschetti in der Titelrolle (li.) die Regie-Leerstellen bei der Erler „Guglielmo Tell“-Produktion – hier eine Szene mit Ferdinand von Bothmer als Arnold. © Tiroler Festspiele Erl / APA-Fotoservice / Xiomara Bender

Erl - Gustav Kuhn inszenierte und dirigierte bei den Tiroler Festspielen in Erl Rossinis „Guglielmo Tell“. Lesen Sie hier die Premierenkritik:

Nie und nimmer passt das Ding auf Gemmys Kopf. Muss es auch nicht: Das wichtigste Requisit hängt als drohende, später auseinanderbrechende Kugel vom Schnürboden herab, ebenso wie das zweitwichtigste. Apfel und Armbrust sind hier Riesenspielzeug oder, was in der Opernregie ja eher wahrscheinlich ist, Riesensymbol. Feuert Rossini in der Partitur die Waffe ab, huschen Tänzer herein, gruppieren sich von Papa Tell Richtung Gemmy zur Reihe. Auch der Pfeil bleibt also eine gedachte Angelegenheit. Hübsch ist das und sehr endlich. Denn das war’s auch schon mit der Ambition in dieser Premiere, mit der die Tiroler Festspiele entlegenes Terrain erkraxeln.

Gioachino Rossini gab es in Erl zwar schon, allerdings „nur“ den Kassenschlager des „Barbier von Sevilla“. Ansonsten vertraut Gustav Kuhns Festival auf den alljährlichen „Ring des Nibelungen“ als Geldmaschine (für 2017 wird schon verkauft) und Stücktitel aus dem oberen Drittel der Hitliste. Doch „Wilhelm Tell“, der hier in der italienischen Zweitversion als „Guglielmo Tell“ gegeben wird? Ein Wagnis ist das. Prompt bleiben bei der Premiere im futuristischen Festspielhaus ein paar Plätze leer. Und prompt fängt auch der Prinzipal an zu schwächeln. Nicht im Graben, wo Kuhn mit dem Tiroler Festspielorchester dank seines locker ausgespielten Handwerks ein knallfreier, schmiegsamer, farbenreicher und eleganter Rossini glückt. Doch beim Blick auf die Bühne wird deutlich: Eine solch große Spalte zwischen Musik und Regie, die Kuhn wieder höchstselbst besorgte, hat sich sogar in Erl selten aufgetan.

Sehr weit oben muss Rossinis Oper hier offenbar spielen, in eisigen Höhen. Dort wo Chor nebst dem Gros der Solisten erstarrt sind und eigentlich nur noch Münder bewegen können. Dreieinhalb Spielstunden gibt es also symmetrieverliebte Arrangements mit wenigen szenischen Extras zu sehen, von denen eigenartig modellierte und verschiebbare Baum-Tänzer-Elemente (Bühne: Alfredo Troisi) noch die besten Schauwerte bieten. Gessler und Schergen formieren sich als böse Uniformträger, die Schweizer Eingeborenen tragen gern Sackleinen à la Tourneetheater Posen. Gewiss ist das dem beschränkten Budget geschuldet, sieht aber trotzdem hilflos aus – zumal dem Tiroler Festival schon Geschmackvolleres glückte. Oder war’s etwa doch eine Pointe?

Immerhin stellt sich Kuhn mit seiner Choreografin Katharina Glas den Anforderungen der Grand Opéra. Man spielt wesentlich mehr vom Stück als vor zwei Jahren die Münchner, wo sich die Partitur schwere Amputationen gefallen lassen musste. Ballett- und Opernszenen sind in Erl meist geschickt verschränkt, manchmal auch als Kommentar zu den Arien. Ferdinand von Bothmer zum Beispiel kommt das zupass, der schließlich mit dem Arnold die wildesten Vokalgipfeltouren unternehmen muss. Alle Extremtöne werden von ihm geliefert, auch agogische Feinheiten, doch wirkt sein Tenor manchmal wie verloren im Klanggetümmel. Bianca Tognocchi geht als Gemmy sympathisch beherzt vor. Und Persönlichkeiten wie Giulio Boschetti (Titelrolle) und Anna Princeva (Mathilde) können mit gestischem Singen ohnehin Regie-Leerstellen füllen. Er mit bulligem Ungestüm, sie mit stilbewusster Majestät. Wie das alles in der nächsten Aufführung klingt, weiß nur der Herr – Gustav Kuhn besetzt die Rollen wie immer doppelt bis dreifach.

Trotz der szenischen Probleme: Der „Tell“ passt ins Inntal. Nicht nur wegen der Bergkulisse, die man während der beiden Pausen von erhöhter Warte ausgiebig bestaunen darf, sondern auch akustisch. Rossinis letzter Beitrag zur Gattung, der trotz aller Filigranpuzzelei nach Weite drängt, kann sich im Haus entfalten, hat Luft, auch in den massiven Chorszenen. Vielleicht riskiert ja Kuhn, unter einigen veränderten Vorzeichen, die Wiederaufnahme. Werkstatt Erl, bei Wagner hat das gar nicht schlecht funktioniert.

Weitere Aufführung

am 22. Juli

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