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Gutenberg in Erfurt. Foto: Lutz Edelhoff
Gutenberg in Erfurt. Foto: Lutz Edelhoff
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Glatt, mit auf der medialen Hyperebene entsafteten Emotionen

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„Gutenberg“, Kritiker der Internet-Explosion – Uraufführung der Oper von Volker David Kirchner in der Oper Erfurt. Roland H. Dippel war beeindruckt.

Es lag Skepsis in der Luft des Theaters Erfurt. Trotz des satten, volltönenden Applauses für die einstündige Oper von Volker David Kirchner (geb. 1942), der „Gutenberg“ auf sein selbst geschriebenes Textbuch vertonte, und das Uraufführungsensemble. Skepsis als Selbstschutz angesichts der verklammernden Musiktheater-Performance „Digitale Revolution“ von Regisseurin Martina Veh im ersten Teil des Abends. Sie schlägt den Bogen vom revolutionären Durchbruch des Buchdrucks vor fünfhundert Jahren bis zur Turbo-Digitalisierung jetzt, stellt Fragen zu einer auf Faktenmaterial komprimierten Erinnerungskultur.

Als einer der ganz wichtigen Komponisten der neuen Musik behauptet sich Kirchner schon fünfzig Jahre. Jenseits von Gruppierungen, er war und ist präsent ohne Skandal-Spektakel. In seinen Opern stellt Kirchner immer wieder die Frage nach Gefährdungen von Zivilisation durch menschliche Hybris und Sinnhaftigkeiten des Fortschritts. Das zieht sich von „Belsazar“ (1986) als Reflex auf den Nato-Doppelbeschluss über die dramatische Ballade „Das kalte Herz“, von „Savonarola“ (2011) bis „Gutenberg“ in der Oper Erfurt jetzt.

Der Erfinder des Buchdrucks blickt aus der Gebrechlichkeit des Alters auf die Brüche und Blessuren seines Lebens. Das Gespräch mit Steven Jobs in einem postmortalen Epilog zeigt Gutenberg als Kritiker des Durchbruchs in die Galaxis des allverfügbaren Netzes. Einer Entwicklung, an deren Beginn er mit seiner Realisierung von Textvervielfältigung selbst steht. Jobs contra Gutenberg: Das ist die Frage nach Sinn und Nutzen – die Frage nach Verpixelung oder Vermessung der Welt im Humboldtschen Bildungsverständnis. Und damit ebenfalls ein dringlicher Erfurter Regionalbezug.

Kirchner setzt das in eine Folge von neun Szenen um einen dramatisch-charismatischen Bariton-Part. Er beginnt mit Gutenbergs Befangenheit in der Pflege durch eine Nonne/Krankenschwester. Weitere Stationen sind sein Schuldbewusstsein vor der Madonna, die Loyalität zur ihn finanziell ausbootenden Stadt Mainz, schillernde Begegnungen mit Randalierern, die Zuspitzungen zwischen den Konfessionen, sein nur sehr beiläufig von der Mitwelt wahrgenommener Tod. Zweifellos steht das in der Traditionslinie der Konfrontationen von Intellekt und Masse im Musiktheater seit Hindemiths „Mathis der Maler“.

Kirchner verdichtet den Orchestersatz mit starken Streicherkantilenen und glissandierenden Bläsern. Das ist stellenweise von epischer Schönheit im Wechsel mit rabiaten Interventionen. Er holt aus dem musikalischen Apparat eine Vielfalt schillernder Wirkungsakzente: Klagende Vorhalte bis aufheulende Tuttiwirkungen, rhythmische Agitation des Mobs und das Kirchenlied „Als Adam wob“. Kirchner beherrscht die musikalische Palette und das dramatische Fresko.

Die Partitur hat bis zum Ende einen monumentalen Zug und bietet szenische Entfaltungsmöglichkeiten. Auf schwarzer Spielfläche, mit heutigen Kostümen von Christl Wein und wenigen Zitaten der Vergangenheit. Video und Animation von Torge Möller und Momme Hinrichs (fettFilm) sind im permanenten Wechsel zwischen Jetzt und Renaissance, sind unerlässlicher Partner der Regie. Gutenberg wechselt von der Pflegeausrüstung mit der Krankenschwester mit der Sekundenschnelle eines Mausklicks in eine Renaissance-Virtualität, wird zum historischen Avatar seiner selbst. Das ist Panorama, Wissensverfügbarkeit und Geschichte für Nutzer im eigenen Wohnzimmer auf dem Monitor. Da braucht es keiner weiteren Rhetorik für Leid, Gewalt und Ratlosigkeit. Diese mediale Aufbereitung rückt existentielles Leid in Distanz, relativiert fast alles. Kirchners Musik wird in diesem Ambiente zur affektiven Kraftanstrengung und Kampfansage, sie tritt in reibungsstarke Opposition zur Szene. Das Gegeneinander befeuert.

Der südafrikanische Bariton Siyabulela Ntlale singt seinen großen Part expressiv, hat Wärme und Charakter. Die Akzentverfärbungen seiner Diktion im finalen Dialog schärfen diese Regeneration des Gewesenen durch Medien, Zeichen, Pixel.

In der Uraufführung zieht Martina Veh „Gutenberg“ also in eine Perspektive für die erste Generation nach Steven Jobs, die sie im ersten Teil mit Portionshandreichungen für Bildung im Netz vorbereitet. Es ist erstaunlich, wie Johann Sebastian Bach - hier sind es Ausschnitte aus der Johannes-Passion und der h-Moll-Messe - die kollektive Netz-Gesellschaft in eine zyklisch-metaphysische Ebene entführen. Gunnar Geisses Elektronik-Klänge gehen bei „Digitale Revolution“ nicht in Konkurrenz dazu, verweisen auf die vom Opernchor sehr robust skandierten Choräle zur kollektiven Selbstauslieferung an WWW und Kommunikationsgeräte (Leitung: Andreas Ketelhut). Da lümmeln – wenn sie keine Arien singen – Katja Bildt und Daniela Gerstenmeyer über Smartphones, eingeschmolzen in ihrer digitalen Welt. Dazu wird Bachs Klangkosmos zur Ballettmusik für Network-Assoziationen und stereotyp-parallele Kollektivbewegungen.

Samuel Bächli animiert mit kompaktem Zugriff das Philharmonische Orchester Erfurt zum grobkörnigen Marsch in die posthistorische Community. Mark Pohl ist im ersten Teil dafür der Seminarleiter, Guide, Propagandist – ein smarter Online-Guru mit Entertainer-Tiefgang. Als Steven Jobs zeigt er sich in der finalen Diskussion Gutenbergs Argumenten unzugänglich.

So endet der Abend: Glatt, mit auf der medialen Hyperebene entsafteten Emotionen. Gleichgültigkeit und Skepsis sind da erlebbar als Selbstschutz vor informeller Überfülle und modularer Kompaktlagerung, wer weiß…

Toll ist insgesamt, dass „Gutenberg“ mit diesem Prolog von Martina Veh ebenso wie die Produktion von „Lola rennt“ in Weimar zeigt, dass Oper mühelos auf Höhe der Zeit sein kann. Mit Nachdruck und zukunftsfähiger Relevanz.

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