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Der trügerische Schein

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Da schleicht der Intrigant: Carlos Álvarez vorne als Jago mit José Cura (Otello), Dorothea Röschmann (Desdemona) und Chor. Foto: Forster/ Festspiele
Da schleicht der Intrigant: Carlos Álvarez vorne als Jago mit José Cura (Otello), Dorothea Röschmann (Desdemona) und Chor. © Forster/ Festspiele

Salzburg - Bei den Salzburger Osterfestspielen bot sich Giuseppe Verdis „Otello“ im Edelboutiquen-Schick dar - lesen Sie hier unsere Kritik.

Eine traurige Nachricht habe man noch, hieß es zwei Stunden vorher im Pressebüro. Wieder eine Sänger-Absage? Nachdem ohnehin schon zwei Drittel des geplanten Protagonisten-Trios ausgetauscht werden mussten? Halb so wild: Christian Lacroix, Modeschöpfer und Opernteilzeitkostümbildner, wurde mit Zerrung entschuldigt. Kein Auftritt beim Schlussapplaus also, was schade ist. Ihm, vor allem seiner kostbaren Renaissance-Couture mit sorgsam geklöppelten Spitzenkragen, flauschig fallendem Samt-Ersatz und gülden appliziertem Desdemona-Umhangvorhang hätte man wirklich gern gehuldigt.

Lacroix, dazu sein ihm im Musiktheater ewig verbundener Regisseur Vincent Boussard und Bühnenmann Vincent Lemaire – dass die drei nicht schon längst zu Salzburgs Osterfestspielen geholt wurden, erstaunt dann doch. Für Giuseppe Verdis „Otello“ im Großen Festspielhaus liefern sie das, was man bei Buchung erwartet: kostbaren Edelboutiquen-Schick, geschmackvoll auf nur einige Ausstellungsstücke reduziert, der nicht stört und pures Plaisir bleibt. Dabei hatte das Festival doch gerade Anlauf genommen, sich aus der Konzentration auf den Mann im Graben zu lösen. Im vergangenen Jahr, als Philipp Stölzl beim Doppel „Cavalleria rusticana“/ „Bajazzo“ mit einer monumentalen, filmischen und perfekt getimten Zusammenschau paralleler Handlungsstränge verblüffte, sah sich Christian Thielemann plötzlich einem starken szenischen Partner gegenüber. Alles vorbei, alles wie in karajanesker Neanderzeit. Der Berliner Dominator hat den Sockel zurückerobert.

Dabei fremdelt Thielemann mit Verdis Spätwerk, das er vor Jahrzehnten letztmals als Kapellmeister-Vagabund in Bologna dirigiert hat. Die Dresdner Staatskapelle, gewiss, liefert das, was sie den meisten anderen Orchestern voraus hat: jene charakteristische Tinta, die das Intrigen- und Eifersuchtsdrama auch klanglich zum Nachtstück werden lässt. Dazu einige kostbare Details, vor allem aber Substanz und sämige Fülle, und all das wird nicht tranig, sondern mit großer Flexibiliät serviert. Das schleichende Gift der Partitur ist hier wohlschmeckender, umso trügerischer Trank. Trotzdem bleibt der Eindruck des „Gemachten“, weniger des aus Handlung und Augenblick Entwickelten. Erst im vierten Akt, wenn es ans Sterben geht, packt Thielemann den Klangzauberkasten aus und dockt mit seiner wundersamen Deutung ans Drama an. Eine seiner größten Tugenden wird an diesem Abend zum Problem: Im Bemühen, die Sänger nur ja nicht zu überfahren, fehlt seinem „Otello“ (abgesehen vom dankbaren Anfangssturm und den muskulösen Aktschlüssen) das Überspitzte, die Offensivkraft.

Doch mit diesem Trio lässt sich eben nicht mehr stemmen. Am besten (abgesehen vom schneidigen Benjamin Bernheim als Cassio) schlägt sich der zu alter Großform zurückgekehrte Carlos Álvarez als Jago: klanglich ganz viriler Knurrhahn, darstellerisch ganz souveränes Altherrenbiest, das Pfauenräder nicht mehr nötig hat. José Cura, vor einiger Zeit für den schwer erkrankten Johan Botha geholt, spielt – auch etwas lustlos – mit wettergegerbtem Tenor seine große Otello-Erfahrung aus. Inzwischen wird nicht mehr gegockelt, die Ausbrüche sind sehr dosiert, dafür zerdehnt er den Tod, sodass die Wirte der Altstadt ums Ausbleiben der Gäste fürchten müssen. Fehlbesetzt ist Dorothea Röschmann, die eine Desdemona fast ohne Seelentöne singt. In den großen Ensembles überfordert sie ihr lyrisches Organ und bietet insgesamt ein merkwürdiges Paradox: Alle Töne der Partie sind da, und doch bleibt der Eindruck, als versuche da jemand, eine Desdemona-Stimme lediglich darzustellen, ohne die Partie zu erfüllen. Ein paar Buhs für sie und Cura, das ist trotzdem hart.

Auch Boussard wird abgestraft, was bei einer Regie im neualten Osterfestspiel-Modus überrascht. Immerhin, da sind zwei, drei Extras. Ein stummer, schwarzer Todesengel geistert ständig durchs Bild, dessen Schwingen, wenn es ernst und endgültig wird, in Flammen aufgehen. Die Bühne bleibt karg und kühl: ein Riesentisch, mal Tresen, mal Altar, dazu ein enges, akustisch sängerdienliches Zimmer, eine krachend nach hinten kippende Wand, das war es eigentlich schon. Am subtilsten ist noch die Lichtregie von Guido Levi. Was Otello, Desdemona und Jago miteinander zu tun haben, erschließt sich kaum. Am Ende wird sie vom (übrigens nicht schwarz geschminkten) Titelhelden per Armdruck erstickt und schleicht sich als Vision davon.

Viel Raum bleibt für den hervorragenden Dresdner Staatsopernchor, der sich an der Rampe zum Oratorium gruppieren darf, mehr hat Präzisionsfanatiker Thielemann wohl nicht zugelassen. Der schönste Einfall: ein Vorhang, der sich zum Aufruhr der Elemente effektvoll Richtung Parkett bauscht und zugleich riesenhaft vergrößertes Symbol ist für jenes Taschentuch, mit dem Desdemonas angebliche Affäre „bewiesen“ wird. Dumm nur, dass die Sturmmusik schon nach fünf Minuten wieder vorbei ist.

Weitere Aufführung

am 27. März; Karten unter Telefon 0043/ 662/ 8045-361.

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