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Premierenkritik "Hänsel und Gretel" in Wien

Obwohl Humperdincks "Hänsel und Gretel" zu den vorweihnachtlichen Rennern schlechthin zählt, war das Werk an der Wiener Staatsoper zuletzt 1944 zu erleben. Nun hatte Christian Thielemann sich eine Neuproduktion gewünscht - und sie bekommen.

Hänsel und Gretel Wiener Staatsoper Thielemann | Bildquelle: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Bildquelle: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Premierenkritik

"Hänsel und Gretel" in Wien

So schön ist Engelbert Humperdincks Musik, wenn Christian Thielemann am Pult steht und die Musiker des Wiener Staatsopernorchesters, alias Wiener Philharmoniker, im Graben sitzen. Die bedeutendsten Komponisten-Dirigenten wie Gustav Mahler oder Richard Strauss haben sich für Aufführungen von Engelbert Humperdincks "Hänsel und Gretel" eingesetzt, Strauss hat sogar die Uraufführung in Weimar 1893 geleitet - und ohne Christian Thielemann wäre die Wiener Staatsoper wohl auch weiterhin "Hänsel und Gretel"-los geblieben.

Thielemanns traumhaftes Dirigat

Und dabei ist die Oper, die oft so als Kinderzeug unterschätzt wird, ein wirklich bedeutendes Werk der Opernliteratur - wenn sie so dirigiert wird wie bei der Premiere. Humperdinck hat ja ganz in der Wagnerschen Tradition komponiert und auf diesem schmalen Pfad zwischen purer Bombastik und feiner Schlichtheit bewegt sich Christian Thielemann genial. Es ist wirklich ein wahrer, fein nuancierter Genuss, der einem da im Orchestergraben geboten wird.

Inszeniert hat Adrian Noble. Er stellt eine ganz und gar märchenhafte Produktion auf die Bühne, mit der er Jung und Alt ansprechen will. Seine Geschichte beginnt während der Ouvertüre am Weihnachtsmorgen in einem gutbürgerlichen Haus mit einem geschenkten Filmprojektor, mit dessen Hilfe die Kinder eine fantastische Reise antreten, die sie in Hänsel und Gretels Häuschen führt, in den Wald und schließlich zur Knusperhexe. Kurzum: Sie verfolgen die Geschichte wie durch ein Kaleidoskop mit. Sehen Sandmännchen und Taumännchen, begleiten die 14 Engel mit ihren weißen Luftballons und mischen sich zum Schluss unter das Volk, wenn es heißt: Die Hexe ist tot. Die Bühne von Anthony Ward ist ein stilisiertes Märchenland, in dem alles notwendige unverkennbar vorhanden ist: der Wald, der Käfig, der Ofen, das Lebkuchenhäuschen. Alles wird per Schiebebühne oder Versenkung auf die Bühne gebracht und wieder wegtransportiert. Eine große Rolle spielen die Videoinstallationen von Andrzej Goulding.

Kein Fest der großen Stimmen

Die Endproben der Produktion waren durch Sängererkrankungen geschüttelt, und so gab es am Premierenabend zwei Einspringer: Ileana Tonca als Gretel und Clemens Unterreiner als Besenbinder. Der war bei seinen Auftritten unhörbar, so wie der ganze Abend nicht gerade ein Fest der großen Stimmen war. Auch für den Rest des Ensembles war es ein wohltuendes Glück, dass Christian Thielemann derart nuanciert, ja wenn die Stimmen dabei waren, geradezu zurückhaltend dirigiert hat - und das Staatsopernorchester ihm auch gefolgt ist. Der Rest des Ensembles war wie geplant: Janina Baechle als Gertrud, Daniela Sindram als Hänsel, Annika Gerhards als Sand und Taumännchen und Michaela Schuster als charmant-grusige Hexe.

Das Resümee eines durchaus umjubelten Abends: im Orchestergraben ein Traum, Hänsel und Gretel erfrischend junge Erscheinungen, denen man die Kinder auch abnimmt. Die meisten Stimmen unterdimensioniert, der Text nahezu unverständlich. Für jemanden, der ihn nicht auswendig kann, war es ein Glück, dass man ihn mitlesen konnte.

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