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Musiktheater
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Capriccio

Konversationsstück für Musik in einem Aufzug
Libretto von Richard Strauss und Clemens Krauss
Musik von Richard Strauss

in deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3 h  (eine Pause)

Premiere im Großen Haus des Südthüringischen Staatstheaters Meiningen am 16. Oktober 2015 


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Südthüringisches Staatstheater
Meiningen

(Homepage)

Klamauk statt Finesse

Von Bernd Stopka / Fotos: Staatstheater Meiningen

Mit Capriccio verabschiedete sich Richard Strauss von der Opernbühne. Auf die Frage nach weiteren Opern antwortete er „Ich kann doch nur ein Testament hinterlassen.“ – und gab ihm  damit eine ganze besondere Bedeutung. Ein durchaus ernstgemeintes Bonmot, denn in Capriccio vereinigt Strauss seine wichtigsten Gedanken und Erkenntnisse als Künstler in einem genialen Konversationsstück für Musik. Auf der Basis wagnerscher Leitmotivtechnik arbeitet er nicht nur mit musikalischen Motiven, sondern insbesondere auch mit Instrumentierungen, Tonarten und Harmonien als erinnernde Elemente und vereint Kammermusik, Sprechtheater, Ballett, orchestrale Musik und Oper in einem Werk. So kommt jede Produktion dieses Stückes einer Testamentseröffnung gleich – und das ist immer spannend. So auch in Meiningen, wo Capriccio zur Eröffnung der neuen Opernsaison und als Mittelpunkt der Feierlichkeiten zum 325-jährigen Jubiläum der Meininger Hofkapelle erstmals  auf dem Spielplan steht.

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Ernst Garstenauer (La Roche), Elvira Dressler (Violine), Oliver Schwieger (Cello)

Mitten in den Schrecknissen und Wirren des zweiten Weltkriegs machen sich Richard Strauss und der Dirigent Clemens Krauss in diesem Libretto Gedanken darüber, ob der Musik oder dem Wort der Vorrang gebührt, verankern diesen Hauptgedanken in der Zeit des Rokoko und stellen die Frage symbolisch als Entscheidung dar, die die Gräfin Madeleine zwischen dem Dichter Olivier und dem Komponisten Flamand treffen soll, die sie beide lieben und die sie beide liebt. Die Autoren sinnieren über Sinn und Unsinn der Künste, während um sie herum die Welt zusammenbricht. Nachdem seit Februar 1942 auch zivile Ziele in München angegriffen wurden, war der Weg zur Uraufführung am 28. Oktober 1942 ein besonderes Risiko.

Dieser Gedanke bildet den Einstieg in die Inszenierung von Anthony Pilavachi in den Bühnenbildern und Kostümen von Tatjana Ivschina. Richard Strauss probt ein Streichsextett, dessen Beginn durch einen Luftangriff verzögert wird. Sirenengeheul, Flugzeuge, Panzer, Granaten... – ein Feuersturm fegt über einen vom Krieg stark beschädigten, vornehmen Salon hinweg, den vom Hintergrund aus ein kolossales Monumentalgemälde mit Figuren der Rokokozeit dominiert und der ein wenig an die Kupferstiche von William Hogarth erinnert, deren einer als Vorbild für das Lever im Rosenkavalier diente. Nach Ende des Streichsextetts, dessen unruhigen Mittelteil der Regisseur als Angst vor Angriffen optisch inszeniert, schläft Strauss am Flügel ein, um als Theaterdirektor La Roche zu erwachen, wenn das Gemälde lebendig wird und die Figuren zu ihren Auftritten hinausschreiten. In ihren Rokokokostümen wirken sie fremd im kriegszerstörten Raum und der Anachronismus von Entstehungszeit und Inhalt soll wohl auf diese Weise dargestellt werden. Das wirkt aber doch ein bisschen klug-sein-wollend und bringt das Stück mit all seinen künstlerischen Fragen nicht weiter – es sei denn, man wolle die Unwichtigkeit dieser Fragen in Zeiten wahrhaft elementarer Probleme anprangern. Die künstlich eingefügte Pause wird aber dankenswerterweise nicht durch einen erneuten Fliegeralarm begründet, sondern folgt einfach auf die Ankündigung der Gräfin „Wir werden die Schokolade hier im Salon einnehmen.“

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Daniel Szeili (Flamand), Ernst Garstenauer (La Roche), Marián Krejčík (Olivier), Camila Ribero-Souza (Gräfin)

La Roche/Strauss bleibt in seiner Alltagskleidung (mit der für Strauss typischen Fliege), was ihn nicht wirklich überzeugend vom Komponisten zum Theaterdirektor und Regisseur werden lässt. Problematischer ist der Auftritt des Souffleurs als im Keller versteckter Jude mit Davidsstern. Strauss erkennt ihn als alten Freund (vielleicht Stefan Zweig, der die ursprüngliche Idee zu Capriccio hatte) und begrüßt ihn herzlich. In die hier hinzugefügte Rahmenhandlung mag das passen, wird aber weder dem Stück noch der Souffleurfigur gerecht. Und der Auftritt der Diener als singende-swingende Pierrots oder Harlekine verpufft in sinnloser Albernheit. Der korrekt befrackte, leicht distinguierte  Haushofmeister, der staubwedelnd versucht, die Ordnung aufrecht zu erhalten, ist da ein echter Lichtblick. Nachdem die Akteure beschlossen haben, aus ihrem soeben erlebten Tag eine Oper zu gestalten, wandelt sich La Roche zurück in Richard Strauss und komponiert die Oper am Flügel zu Ende.

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Daniel Szeili (Flamand), Marián Krejčík (Olivier), Ernst Garstenauer (La Roche), Camila Ribero-Souza (Gräfin), Dae-Hee Shin (Graf,) Rita Kapfhammer (Clairon)

Mit der Rahmenhandlung kann man sich in gewisser Weise anfreunden. Die Idee, die Figuren aus einem Gemälde lebendig werden zu lassen, ist ganz wundervoll und bietet sehr stimmungsvolle Momente bis hin zum großen Schlusstableau. Das große Problem dieser Produktion liegt aber auf der Seite der völlig überzogenen Personenregie der eigentlichen Handlung. Strauss und Krauss haben dieses Werk auf hochintelligente, feinsinnige, subtile Weise gearbeitet. Da wird in einem vornehmen Rahmen mit aristokratischer Zurückhaltung und vollendeten Umgangsformen singend-parlierend nachgedacht, philosophiert, erörtert, geliebt und eifersüchtelt – aber es ist nie kitschig, albern oder grob. Doch genau das wird es in der Inszenierung von Anthony Pilavachi. Nicht umsonst haben die Autoren das Werk „Konversationsstück für Musik“ genannt und nicht komische Oper, Komödie und schon gar nicht Klamotte.  Der Graf ist sicher kein hochtalentierter Schauspieler – aber eben auch kein vollendeter Trottel. Flamand ist ein feinsinniger Musiker, kein poppig-wild gestikulierender Dirigent, der mit Olivier Arm in Arm um La Roche herumtanzt. „Der Schmerzensschrei ging der Sprache voraus!“ wird mit einem Tritt in den Hintern bebildert – um einen Tiefpunkt des Niveaus als Beispiel zu nennen. Dabei gibt es Momente, in denen man sieht, dass der Regisseur auch anders gekonnt hätte. Etwa, wenn die Gräfin leicht – aber eben nur leicht – hochnäsig kommentiert, dass Clairon „im Reisekleid“ vor ihr erscheint. Höchst bedauerlich ist auch, dass die Gräfin ihren Konflikt im großen Final-Monolog nicht allein mit ihrem Spiegelbild diskutieren darf, sondern ganz real zwischen La Roche/Strauss, Flamand und Olivier hin- und herschwankt, denen sie sich abwechselnd oder auch gleichzeitig zuwendet. Gewiss wird damit szenisch verdeutlicht, was sie bewegt und was sie singt, aber es wird eben gedoppelt, damit aber nicht intensiviert, sondern eher verflacht. Möglicherweise wird das Werk damit einem breiteren Publikum verdaulicher gemacht. Doch zu welchem Preis! „Gibt es einen [Schluss] der nicht trivial ist?“ fragt sich die Gräfin und Strauss antwortet augenzwinkernd mit den Worten des Haushofmeisters „Frau Gräfin, das Souper ist serviert.“. Gibt es einen trivialeren Schluss als „Das Essen ist fertig.“? Diese feine, hintersinnige Komik durchzieht das ganze Stück, doch – um im Bild des Soupers zu bleiben – ein fein gewürztes, raffiniert kombiniertes und filigran dekoriertes Diner wird hier mit Ketschup und Majo serviert. Schade.

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Marián Krejčík (Olivier), Daniel Szeili (Flamand)

Camila Ribero-Souza ist eine bezaubernde Gräfin, musikalisch differenziert, klangschön und ausdrucksstark gestaltend. Lediglich eine etwas bessere Textverständlichkeit wäre wünschenswert. Daniel Szeili verleiht dem Flamand mit angenehmem Timbre und wunderschön gesungenen Phrasen die geforderte Leidenschaftlichkeit. Über kleine Schwierigkeiten in der Höhe sieht man da gern hinweg. Marián Krejčik singt seinen Rivalen Olivier mit rundem Bariton. Dae-Hee Shin überzeugt als stimmlich kerniger Graf und Rita Kampfhammer als hochnäsige Schauspielerin Clairon mit volltönendem Mezzo. Ein besonderer Dank gilt Ernst Garstenauer, der den La Roche/Richard Strauss höchst beeindruckend spielt und trotz Indisposition in der Premiere auch sang, um die Aufführung möglich zu machen. Elif Aytekin und Siyabonga Maqungo sind ein köstliches italienisches Sängerpaar und Stan Meus ein nachdenklich stimmender Monsieur Taupe. Mikko Järviluoto ist ein angemessen würdevoll spielender und singender Haushofmeister. In ihrem Jubiläumsjahr zeigt sich die Staatskapelle von ihrer allerbesten Seite. Hochkonzentriert und mit großer Genauigkeit bringen sie die vielschichtig gearbeitete Partitur zum Klingen und folgen ihrem GMD Philippe Bach, der einerseits dezent, aber doch hörbar die vielen Fremd- und Eigenzitate des (in diesem Falle Dichter-) Komponisten herausarbeitet und andererseits auch die großen, schwelgerischen Momente wundervoll zum Klingen bringt.

FAZIT

Musikalisch sehr eindrucksvoll widmet sich das Theater Meiningen erstmals Richard Strauss’ hochweisem Alterswerk. Die Inszenierung betont einerseits die Entstehungsgeschichte, lässt die eigentliche Handlung aber ins Komödiantische abdriften und verschenkt so das ganz Besondere dieses außergewöhnlichen Werkes. 


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
GMD Philippe Bach

Inszenierung
Anthony Pilavachi

Bühne & Kostüme
Tatjana Ivschina

Choreographie
Julia Grunwald

Chor
André Weiss

Dramaturgie
Diana Ackermann

 

Meininger Hofkapelle

Statisterie
des Meininger Theaters


Solisten

Die Gräfin
Camila Ribero-Souza

Der Graf
Dae-Hee Shin

Flamand
Daniel Szeili

Olivier
Marián Krejčik

La Roche
Ernst Garstenauer

Clairon
Rita Kapfhammer

Monsieur Taupe
Stan Meus

Eine italienische Sängerin
Elif Aytekin

Ein italienischer Sänger
Siyabonga Maqungo

Der Haushofmeister
Mikko Järviluoto

Diener
Herren des Chores
des Meininger Theaters

Tänzerin
Julia Grunwald

Tänzer
Nikolay Korobko


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Südthüringisches
Staatstheater

(Homepage)






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