Oldenburg - Warum verehrt Donna Leon den tatsächlichen Georg Friedrich Händel mehr als ihren fiktiven Commissario Brunetti? „Das ist wie mit Erdbeeren”, sagt die italienische Krimi-Autorin. „Wenn man sie einmal mag, kann man nicht mehr genug davon bekommen. Mit Händel wird man opernsüchtig.“

Warum werden die Oldenburger Opernfreunde Händel in dieser Spielzeit schätzen? Weil ihnen das Staatstheater eine bekömmliche Portion Erdbeeren serviert, sogar noch mit einem Schlag Sahne oben drauf: „Xerxes”, Händels drittletzte von 42 Opern, herzlich und ausdauernd gefeiert nach zweieinhalben Stunden Premiere im Großen Haus.

Schon die Spieldauer reiht sich bei den Vorzügen der Inszenierung von Jakob Peters-Messer ein. In Oldenburg ist das Verwirrspiel um Liebe, Ablehnung, Intrigen und Entwirrung geschickt gekürzt. Die Musik, in der Händel langatmige Dacapo-Arien meidet, fordert dazu auf.

Auch der Handlungsweg ist begradigt. Der Perserkönig Xerxes liebt Romilda, die aber nicht ihn. Ihr Herz gehört dem Königsbruder Arsamene. Den jedoch würde sich gern Atalanta krallen, die Schwester Romildas. In dieser Melange rührt noch Amastre herum, die eigentliche Braut von Xerxes. So geht eben Barockoper.

Peters-Messer belastet sein Publikum wenig mit verschlüsselten Botschaften oder aufgesetzten Kinkerlitzchen. Er gestaltet das Spiel zauberhaft einfach. Die Achterbahnfahrt der Gefühle behält den vollen Nervenkitzel. Elemente der ernst-albernen Commedia streifen die weiten Ebenen der Tragik und Verzweiflung. Inmitten von Parforceritten hält die Musik ergreifend inne.

Markus Erik Meyer hat eine Bühne entworfen, die einen an Shakespeare erinnernden Zauberwald vorgibt. Der öffnet sich auch für endlose Weite, in der Xerxes Feldzüge führt oder eine Flotte baden gehen sieht. Wenn der König Mensch wird, zieht er sich in einen Käfig der Einsamkeit zurück. Es stecken viele Fein- und wenig Grobheiten in der Inszenierung. Wenn am Ende die Gefühle gerade gerückt sind, geraten die Kulissen in Schräglage.

Händels lüsterne Handlungsträger lassen die Musik zwischen Seelenschmerz und Persiflage pendeln. Geglückt kehren die Sänger ihre Charaktere heraus, preschen letztlich unfallfrei durch die Koloraturen, fügen sich aber als Ensemble bestens zusammen: Yulia Sokolik (Xerxes), Leandro Marziotte (Arsamene), Hagar Sharvit (Amastre), Nina Bernsteiner (Romilda), Dana Marbach (Atalanta), Tomasz Wija (Hauptmann Ariodante), Aarne Pelkonen (Elviro, Arsamenes Diener).

Im Grunde wenden sich sogar leichte Mankos zu Stärken. Sokoliks nicht unbedingt barock-affiges Vibrato etwa verdeutlicht den Zwiespalt von Xerxes zwischen Ausspielen der Macht und Unterliegen gegen die Gefühle.

Jörg Halubek ist ein in barocken Affekten höchst erfahrener und inspirierender Dirigent, und das Staatsorchester ein in barocker Spielweise inzwischen ebenso versiertes Ensemble. Für die 23 Musiker wird zur Sinfonia vor dem zweiten Akt zur besonderen Wertschätzung der Boden aus dem Graben hochgefahren. Sie entfachen ein theatralisches Feuer, das Schlichtheit mit Raffinesse verbindet. Und Lamentos lassen die Streicher wundervoll tropfen. Diese Musik stammt von 1738, aber sie ist unerhört lebendig.

Wenn Spötter behaupten, Händels „Xerxes“ enthalte nur einen Hit, nämlich das „Ombra mai fu”, dann liegen sie falsch. Die Oper hat keinen besonderen Hit – sie ist komplett einer. Jedenfalls hier.