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Bühne und Konzert „Otello“ in New York

Die Geschichte vom Mohr, der kein Mohr sein durfte

Freier Korrespondent
Weil man Tenöre nicht mehr schwarz schminken darf, tritt bei der Saisoneröffnung der New Yorker Metropolitan Opera ein weißer Otello auf. Das hat Folgen fürs Stück. Ein bisschen verlogen ist es auch.

Vor nicht allzu langer Zeit tobte in Deutschland ein Streit, ob man in Kinderbüchern älteren Datums das Wort „Neger“ durch die Bezeichnung „Schwarzer“ ersetzen soll. Hätten Amerikaner diese Debatte im fernen Europa wahrgenommen, wäre sie ihnen absurd vorgekommen: Was, bitte, gab es denn da zu diskutieren? Immerhin sind die Vereinigten Staaten jenes Land, in dem Schwarze noch weit bis ins 19. Jahrhundert hinein versklavt wurden. Selbstverständlich stehen in amerikanischen Kinderbüchern also keine Dinge, durch die Amerikaner afrikanischer Herkunft sich beleidigt fühlen müssen.

Im Zuge jener Debatte trat damals im deutschen Fernsehen ein witziger, kluger Literaturkritiker auf – ein Weißer, der leider die Dummheit beging, sich das Gesicht schwarz zu färben. In den USA wäre der Mann am Tag danach seinen Job los gewesen: Allzu deutlich hätte dieser Auftritt an die Tradition des „Blackfacing“ erinnert. Also an die Tradition, dass Weiße – nicht nur in den Südstaaten – sich das Gesicht mit Schuhcreme vollschmierten und dann kulleräugig und Fratzen schneidend Schwarze nachäfften.

In den Südstaaten wäre das alles nicht passiert

„Blackfacing“ ist im heutigen Amerika schlicht unmöglich geworden. Nur wenn die Verdi-Oper „Otello“ gegeben wird, schminken amerikanische Tenöre sich nach wie vor das Gesicht schwarz. Schließlich, so könnte man argumentieren, geht es in dieser Oper keineswegs darum, sich über dumme Mohren lustig zu machen: Otello ist ein venezianischer General, ein Edelmann, der vom teuflischen Jago in die Abgründe der Eifersucht getrieben und dazu verführt wird, seine weiße Ehefrau Desdemona zu erwürgen. In Alabama, Mississippi, Georgia wäre eine solche Tragödie naturgemäß nie passiert. Denn dort wäre eine solche Ehe noch vor zwei Generationen verboten gewesen: Rassenschande!

In Deutschland wird „Otello“ schon länger ohne schwarze Schminke gesungen, auch einen weißen Otello gab es schon. Die Metropolitan Opera hinkt jetzt mit einem „Otello“ hinterher, bei dem Bartlett Sher Regie geführt und Yannick Nézet-Séguin am Pult stand. Die Titelrolle spielt und singt ein Lette – der äußerst bleiche Aleksandrs Antonenko. Geht das? Geduld! Wir kommen gleich darauf zurück.

Es wogt das Meer, es wogen auch die Leidenschaften in der Menschenbrust wie die Wolken: Das Bühnenbild von Es Devlin ist grandios
Es wogt das Meer, es wogen auch die Leidenschaften in der Menschenbrust wie die Wolken: Das Bühnenbild von Es Devlin ist grandios
Quelle: Ken Howard/ Metropolitan Opera

Am meisten beeindruckt in dieser Inszenierung das Bühnenbild (das von der Engländerin Es Devlin stammt): Die Handlung spielt zwischen riesenhaften, durchsichtigen Plexiglas-Fertigbauteilen, die – mal hierhin, mal dorthin geschoben – an die Fassaden von Renaissancehäusern erinnern. Über ihnen dräut ein bewölkter Himmel.

Wenn Otello einen seiner Eifersuchtsanfälle hat, färben die Wolken sich zuverlässig giftiggelb; wenn von Mord die Rede ist, wird der Himmel schön dramatisch blutrot. Zum Auftakt jedes Aktes liegt ein Schleier über der Szenerie, auf den mit dem Projektor bewegte Wellenbilder geworfen werden – wir verstehen: So wogt nicht nur das Meer, so wogen auch die Leidenschaften in der Menschenbrust.

Die interessanteste Figur ist in dieser Oper – wie in Shakespeares Stück – gar nicht der edle Mohr, in dessen Seele sich die Eifersucht ätzt. Es ist Jago, der Teufel in Menschengestalt. Wir Heutigen haben verlernt, solche Figuren ernst zu nehmen; wir halten sie für unrealistisch.

Das Böse kann ja auch mal angeboren sein

Wir versuchen meist, das Böse mit irgendetwas Anderem zu erklären: mit einer schweren Kindheit, mit erlittenen Verletzungen, mit Erniedrigungen und Beleidigungen, mit den sozialen Umständen. Der arme Teufel konnte ja, nebbich, nicht anders! Ein Bösewicht, der einfach nur böse ist und im vollen Bewusstsein seiner Niedertracht zu seinem fiesen Charakter steht? Das geht eigentlich nur in dieser absurdesten, der am wenigsten wirklichkeitsnahen aller Kunstformen, in der Oper.

In der Metropolitan Opera singt den Part des Jago der serbische Bariton Željko Lučić. Er trägt einen Ledermantel wie ein Gestapo-Mann oder ein Agent des NKWD; er gestaltet Jagos Nihilismus, seinen Glauben an einen Gott des Hasses, der ihn beauftragt hat, hienieden Gewalt und Zwietracht zu sähen, psychologisch dermaßen plausibel, dass er in einer Szene spontanen Applaus und Bravorufe erntet.

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Die bulgarische Sopranistin Sonya Yoncheva gibt dagegen eine engelhafte Desdemona, deren Unschuld zu Herzen geht. Im letzten Akt wurden die großen Plexiglas-Renaissancehäuser beiseite geräumt; übrig geblieben ist nur ein Bett auf der Bühne – darüber die Wolken, die mittlerweile die Farbe der Mitternacht angenommen haben. Auf dem Bett liegt Desdemona. Sie singt; sie betet; sie weint; dann kommt ihr eifersüchtiger Ehemann herein. Er ist in Schwarz gekleidet. Er greift nach einem Kissen, um sie zu ersticken, dann küsst er sie.

Das Böse ist immer und überall und vom Publikum wird es gefeiert: Alexandrs Antonenko (l.) wird vom herrlichen Jago des Serben Željko Lučić nach allen Regeln der Teufelei zum Mord verführt
Das Böse ist immer und überall und vom Publikum wird es gefeiert: Alexandrs Antonenko (l.) wird vom herrlichen Jago des Serben Željko Lučić nach allen Regeln der Teufelei zum Mord ...verführt
Quelle: Ken Howard/ Metropolitan Opera

Dann erklärt er ihr, dass er sie jetzt gleich töten wird. Sie fleht um ihr Leben. Als der Mord getan ist, dauert es nur wenige Minuten, ehe das Komplott himmelhoch auffliegt. Der Teufel Jago flieht in die Kulissen, er kommt mit dem Leben davon, weil das satanische Prinzip nun einmal nicht totzukriegen ist. Als Otello sich zu guter Letzt einen Dolch in den (gewaltigen) Bauch jagt und sich neben seinem Ehebett zum Sterben hinlegt, bleibt es einen Moment wunderbar still, ehe der Applaus einsetzt.

Verdis „Otello“ ist ein Alterswerk, man findet in ihm wenige der schlagerhaften Solonummern, durch die seine früheren Opern sich auszeichnen. Nézet-Séguin lotet die Tiefen wie die Untiefen dieser Musik gründlich und routiniert aus. Und Bartlett Sher hat eine solide Inszenierung auf die Bühne der gestellt. Am Ende gab es viel Applaus.

Wie aber sollen wir den bleichgesichtigen Otello bewerten? Zumindest an drei Stellen sorgt die Entscheidung, ihn nicht als Schwarzen zu spielen, für deutliche Irritationen. Die erste Station ist schnell markiert: Als Jago den grundguten Cassio (Dimitri Pittas) gegen Otello aufhetzt, singt er, es sei unerträglich, dass dieser „Barbar“ venezianische Truppen kommandiert. Was, bitte, rechtfertigt diese rassistische Äußerung, wenn Otello kein „Mohr“, kein Schwarzer, kein Außenseiter ist?

Die zweite Stelle ist subtiler. Jago hat einen Streit zwischen Cassio und seinem Freund Roderigo (Chad Shelton) angezettelt, sie haben ihre Schwerter gezückt, Roderigo ist verletzt. Otello kommt herein und singt, seine Untergebenen sollten sich gefälligst wie zivilisierte Menschen benehmen. Etwas – ein Moment der antirassistischen Ironie – geht verloren, wenn diese Aufforderung nicht von einem schwarzen Kommandeur kommt.

Drittens gibt es eine anrührende Szene, in der es Jago beinahe gelungen ist, Otello davon zu überzeugen, dass seine Frau ihn betrügt; und Otello fragt sich, ob ihr vielleicht sein „Mohrengesicht“ nicht gefällt. Warum (zum Teufel) quält ihn diese Frage, wenn sein Gesicht doch weiß ist?

Gewiss gibt es gute Gründe, auf schwarze Schminke zu verzichten – gerade in einem Land, das ein solch grauenhaftes Erbe des Rassismus mit sich herumschleppt wie Amerika. Allerdings kann man fragen, ob es nicht Wichtigeres gibt. Sollte man nicht erst einmal aufhören, schwarze Jugendliche drei Jahre lang ohne Anklage (geschweige denn Gerichtsurteil) unter unmenschlichen Bedingungen auf Riker’s Island festzuhalten (so geschah es einem gewissen Kalief Bowder), ehe man sich Sorgen über schwarze Theaterschminke macht?

Den Juden New Yorks gegenüber war die Met nicht so feinfühlig

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Ferner könnte man die Frage stellen, warum sich Peter Gelb – der Intendant der Metropolitan Opera – in dieser Hinsicht plötzlich so feinsinnig zeigt, nachdem es ihm im vergangenen offenbar überhaupt nichts ausgemacht hat, die Gefühle vieler New Yorker Juden zu verletzen, als er trotz deren Proteste die umstrittene Oper „The Death of Klinghoffer“ ins Programm nahm?

Vor allem aber lohnt sich der Hinweis, dass die Alternative „entweder ,Blackfacing’ oder ‚weißer Otello‘“ falsch ist. Schließlich gibt es da – nur so zum Beispiel – den wunderbaren Lawrence Brownlee. Ein schwarzer Amerikaner aus Ohio. Gut, der ist eigentlich lyrischer Tenor und kein Heldentenor, wie für „Otello“ erforderlich. Aber für die Metropolitan Opera könnte er ja noch mal umschulen. Eines ist jedenfalls sicher: Hätte die Met jemanden wie Brownlee engagiert, hätte man im Publikum bei der Premiere unter all den weißen ein paar mehr schwarze Gesichter gesehen.

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