Berlins neuer „Parsifal“: Eine andere Art von Zauber

Parsifal
Parsifal(c) imago/DRAMA-Berlin.de (imago stock&people)
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Weihevoll und langsam im Orchestergraben, nüchtern-pointiert in der Regie präsentiert sich das von Daniel Barenboim dirigierte Bühnenweihfestspiel Wagners im Schiller-Theater.

Nicht „Festspiele“, sondern „Festtage“ nennt sich Daniel Barenboims Berliner Festival um die Osterzeit. Bestritten werden sie von der Staatsoper Unter den Linden, die wegen des Umbaus nach wie vor im Schillertheater residiert. Diesmal kreisen die Konzerte – darunter ein Gastspiel der von Barenboim dirigierten Wiener Philharmoniker – anlässlich dessen 90. Geburtstag um das Schaffen des mit Barenboim eng befreundeten Pierre Boulez.

Im Schillertheater ist eine Wiederaufnahme von Wagners „Tannhäuser“ und eine Neuproduktion von dessen „Parsifal“ zu sehen, beides unter Barenboims Leitung.

Bei der dritten „Parsifal“-Produktion, die der GMD der Lindenoper während seiner Berliner Zeit realisierte, setzte er nach Harry Kupfer und Bernd Eichinger auf einen der jüngeren Shootingstars der internationalen Regieszene, den 45-jährigen Russen Dmitri Tscherniakov, in den vergangenen Jahren mehrfach als „Opernregisseur des Jahres“ ausgezeichnet und bekannt für seine unkonventionelle Herangehensweise.

Er machte seinem Ruf alle Ehre. Sein „Parsifal“ ist, was angesichts seiner bisherigen Arbeiten nicht überrascht, kein „Bühnenweihfestspiel“. Tscherniakov geht es nicht um eine Sichtbarmachung des Mythos, sondern um eine realistische Hinterfragung der Personen, die er in einer von ihm entworfenen Einheitsbühne – einen refektoriumsartigen Innenraum eines in die Jahre gekommen Gebäudes – auftreten lässt. Kalt muss es dort sein, die Gralsritter treten mit Mützen auf, tragen Vollbärte, Titurel (altersweise: Matthias Hölle) erscheint im langen Ledermantel.

Kundry erstechen? Entbehrliche Pointe!

Eine in sich geschlossen Männergesellschaft, offensichtlich von Hass auf Frauen erfüllt. Wie sonst lässt sich erklären, dass Gurnemanz (souverän: René Pape), dessen Erzählung die Regie als Diavortrag ablaufen lässt, am Ende Kundry ersticht? Der Pointe hätte es nicht bedurft. Sie führt manche kluge Personenführung fast ins Hintertreffen. Etwa die selten so gezeigte intime Beziehung zwischen Kundry (Michaela Schuster sprang in quasi letzter Minute für die erkrankte Anja Kampe ein, überzeugte, nicht immer gleich höhensicher, durch ihr intensives Spiel) und dem hier von Wolfgang Koch glaubhaft sein Schicksal verkörpernden Amfortas.

Gewagt, aber durchaus plausibel die (vokal unterschiedlichen) Blumenmädchen als Phantasmagorie des in die Jahre gekommenen, skurrilen sexuellen Schwerenöters Klingsor (untadelig: Tómas Tómasson) zu zeichnen, den Parsifal schließlich mit dem Speer so heftig ins Jenseits befördert, dass das Blut nur so spritzt.

Überhaupt ist der Darsteller des Parsifal, der diese Rolle auch in der nächsten Bayreuther „Parsifal“-Produktion, 2017, verkörpern wird, Andreas Schager, dank seiner jugendlichen Unbekümmertheit, Spontaneität und exzellenten stimmlichen Präsenz das umjubelte Ereignis dieses neuen Berliner „Parsifal“. Zusammen mit dem von Daniel Barenboim aufs Glänzendste vorbereiteten, beinahe makellos musizierenden Orchester, der Staatskapelle Berlin. Ihr verlangt er einen besonders weiten Atem ab, den er mit nie erlahmender Spannung zu verbinden weiß. Man spürt in jeder Phase dieses fünfeinhalbstündigen Abends, wie sehr gerade dieses Werk ihm ein Anliegen ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.04.2015)

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