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Bühne und Konzert „Parsifal“ in Berlin

Blut mit Weihwasser ist der Cocktail der Stunde

Der Erlöser hat sein Päckchen zu tragen: Andreas Schager (Parsifal) und Anja Kampe (Kundry) in der neuen Staatsopern-Inszenierung Der Erlöser hat sein Päckchen zu tragen: Andreas Schager (Parsifal) und Anja Kampe (Kundry) in der neuen Staatsopern-Inszenierung
Der Erlöser hat sein Päckchen zu tragen: Andreas Schager (Parsifal) und Anja Kampe (Kundry) in der neuen Staatsopern-Inszenierung
Quelle: FOTO: Ruth Walz
Wenn’s der Wahrheitsfindung dient: Der Berliner „Parsifal“ von Dmitri Tscherniakov lässt die Finger von aller Wagner-Abstraktion und macht so allen Grals-Mumpitz vergessen.

Parsifal, ein Rucksacktourist. Ist denn früher keiner darauf gekommen?! In kurzen Hosen, frisch eingekleidet vom Tramper-Versand, hat der Reisende sein Mountainbike nur ganz kurz an die Seite gefahren, um ortsansässigen Schwänen nachzustellen. Die Gralsgemeinschaft derweil, ein hoffnungsloser Haufen ungewaschener Pudelmützenträger, hat ihr Kirchlein in einem missionsähnlichen Nonagon-Schuppen aufgeschlagen. Der sieht aus wie das entrümpelte Beisl im dritten Akt von Otto Schenks „Rosenkavalier“-Inszenierung. Man sieht: Hier geht einer vorsichtig, gralsdienlich, zahm zu Werke.

Dmitri Tscherniakov ist es, der russische, einst von Daniel Barenboim entdeckte Regisseur, den weiland Patrice Chéreau rundheraus als Genie bezeichnete und der in Berlin in Gestalt der „Zarenbraut“ von Rimski-Korsakow eine meisterliche Inszenierung schuf. Seither ist Tscherniakov die Wunder-, ein bisschen auch die Ausputzerwaffe für Barenboims schwere Fälle.

Da dieser mit Bernd Eichingers Berliner Vorgänger-„Parsifal“ in Wirklichkeit nicht so zufrieden war, wie er vorher immer gesagt hatte, musste Tscherniakov nicht lange überredet werden. Er übernahm ein Werk, dessen robuste Feierlichkeit sich immer schon gegen allzu verwegene Deutungen zu verwehren wusste. Denn das ist das Wundersame an Wagners „Parsifal“: Er ist immun gegen halbgare Interpretationen.

Blutzufuhr haben alle dringend nötig: Wolfgang Koch singt Amfortas lakritzschwarz
Blutzufuhr haben alle dringend nötig: Wolfgang Koch singt Amfortas lakritzschwarz
Quelle: FOTO: Ruth Walz

Die Privatrituale in Tscherniakovs Gralsmannschaft haben merkwürdige Formen ausgeprägt: Zur Enthüllung des heiligen Kelches steigt Titurel (back in business: Matthias Hölle) zum Probeliegen schon einmal in einen Sarg. Aus Amfortas’ bluttränender Wunde wird roter Vampirsaft abgezapft, um ihn – vermischt mit Weihwasser – als Trank der Runde zu kredenzen.

Klingsor wiederum (zubeißend: Tómas Tómasson) hat in seinem Garten offenbar ein Mädchenpensionat aufgemacht. Voll herzig geblümter Glockenröcke (Kostüme: Elena Zaytseva). Der Lump selbst: ein alter Oberlehrer-Sack in Strickjacke und mit Sardellenscheitel, auf deren schmierige Striemen er mächtig stolz ist. Bei diesem Ex-Schurken braucht Parsifal keine großen Tricks anzuwenden, um den Speer zurückzugewinnen. Guck, noch mal guck, und weg war er …

Warum dem Toren Parsifal von Kundry ausgerechnet eine Spieluhr in Gestalt eines springenden Porzellan-Rössls verehrt wird, bleibt ungeklärt. Offen zutage dagegen liegt, dass das von Tscherniakov selbst entworfene Bühnenbild – zum Nachteil der Berliner Staatsoper muss es gesagt werden – zehn Meter gegen den Wind schreit: „Achtung, Bühnenwerkstätten!“

Woher soll die Frische kommen?

Wo Wagner in der Endlosschlaufe produziert wird wie an den beiden größeren Berliner Opernhäusern, da muss die musikalische Motivation anderswoher kommen. Barenboims flächiges, zuweilen flaches, grummelig raunendes, hier und da stumpfes „Parsifal“-Dirigat hat man schon inspirierter gehört bei ihm. Im Fall von René Pape ist sogar eine Schlüsselrolle des Werkes mit dem Sänger der Vorgängerproduktion identisch besetzt. Wie soll da Frische aufkommen?!

Freilich singt Pape einen überirdisch eloquenten, die Gralserzählung als Diavortrag so hinreißend gestaltenden Gurnemanz, dass man darüber allen Gralsmumpitz vergessen kann: ein heiliger Brummbär, ganz wunderbar! Wolfgang Kochs schwarzgewichster Bariton leiht den Leidenstönen des Amfortas lakritzblanke Schwere. Andreas Schager singt seinen Parsifal mit heißem Atem, indem er mit dem dünnen Stahl seines Tenors agil wedelt. Er wedelt sogar bedrohlich. Optisch erscheint er dabei als eine Mixtur aus Siegfried Jerusalem und Atze Schröder.

Das Leid des Herzens: Anja Kampe singt Kundry mit einem Mahler-Impetus
Das Leid des Herzens: Anja Kampe singt Kundry mit einem Mahler-Impetus
Quelle: FOTO: Ruth Walz

Der Erfolg eines „Parsifal“ hängt nicht unbedingt von Kundry ab. Anja Kampe wurde als indisponiert angesagt. Mit brüchigem, in der Höhe inexistentem, aber vorerst rauchzartem Organ entlockt sie der Rolle im zweiten Aufzug so zwielichtig ungewohnte Herzeleide-Töne, wie man sie gern öfters hören würde. Barenboim dämpft und drosselt hier zugunsten seiner in Nöte geratenden Solistin. Sodass diese Wagner mit einem Mahler-Impetus singen kann. Es sind die berührendsten Momente der Aufführung.

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Deren Randverdienst dürfte sein, im dritten Aufzug eine bereits in sich zerfallene, zerrüttete und demoralisierte Gralsgesellschaft zu zeigen. Gurnemanz, plötzlich rauschebärtig, gleicht einem ins Pennerlager hinübergewechselten Wildecker Herzbuben. Die Erlösung mithin kommt zu spät. Zumindest so verspätet, dass Verzückung und Taumel beim wiedergekehrten Speer kaum noch von Wahn und Paranoia zu unterscheiden sind. Kundry, als neue Versuchung für den geheilten Amfortas, wird von Gurnemanz erstochen.

Die Aufführung, ins Gegenständliche gewendet und aller Wagner-Abstraktion abhold, gibt sich vergleichsweise loyal gegenüber der Vorlage. Zumindest landet sie am Ende wieder exegetisch ganz beim Stück. Wenn das die neue Werkbezogenheit ist, die bisweilen herbeigeredet wird: Warum nicht? Es gibt Schlimmeres.

Termine: 31. März, 3., 6., 12. und 18. April

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