„Fliegender Holländer“: Der Klang einer versehrten Seele

(c) Michael Poehn / Wiener Staatsoper
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Eine mitreißende Saisoneröffnung in der Wiener Staatsoper: Wagners „Fliegender Holländer“ wird vor allem durch die Wucht von Bryn Terfels nuancenreichem Gesang zum Ereignis.

„Die Frist ist um“: Die Wiener Staatsoper läutet ihre neue Saison ein – und zwar mit musikalischen Sturmglocken. Im „Fliegenden Holländer“ unter Leitung des Hausdebütanten Yannick Nézet-Séguin stellte sich eine fast durchwegs neue Besetzung vor, angeführt von Bryn Terfel in der Titelrolle, der damit endlich erstmals im Haus am Ring eine Wagnerpartie sang: Vor der umjubelten Wiederkehr als Scarpia in der letzten Spielzeit war er ja tatsächlich sieben Jahre nicht hier aufgetreten – aus hiesiger Sicht ein Schicksal nicht unähnlich dem von Wagners verfluchtem Kapitän.

Das Warten hat sich freilich gelohnt. An Terfels im klassischen Sinne Furcht und Mitleid erregendem Holländer ließe sich studieren, welch unbändige szenische Wucht purer Gesang vermitteln kann – fernab allen stereotypen Händeringens, das ja oft genug als vermeintliches Allheilmittel gegen stimmliche Schwächen herhalten muss. Nicht etwa, dass der hünenhafte Waliser seine darstellerischen Fähigkeiten vernachlässigt hätte. Aber: Wenn er seinen Auftrittsmonolog mit größter innerer Spannung, doch ohne sichtbare körperliche Anstrengung absolviert, wenn er seine Qualen vielmehr mit einem bis ins letzte Extrem ausgefeilten Vortrag schildert, dann ist das kaum intensiver denkbar. Sinkt er später doch noch mit schmerzlich lautem Stöhnen einmal in die Knie, besitzt das umso größeres expressives Gewicht.

Bewundernswert, über welch breite Palette an immer auf das Wort bezogenen Ausdrucksmitteln Terfel souverän verfügt: Die gallige Bitterkeit des Outcasts findet bei ihm in manchmal bewusst grellen, flachen, herben Tönen ihren Widerhall, ebenso kalkuliert setzt er breite, höhnisch anmutende Portamenti ein („wenn alle Toten aufersteh'n“) – und doch läuft er niemals Gefahr, ins Deklamatorische abzugleiten. Kein Zweifel, dieser Holländer singt, singt in allen Lagen kernig und versehrt zugleich, macht den ganzen Abend über mit differenzierten Zwischentönen den Text plastisch – und kann sogar zarte Verinnerlichung beschwören: Träumt er vom „gepries'nen Engel Gottes“ oder erklärt er zuletzt die Bedingung seiner Erlösung, dann gewinnen diese Phrasen aus dem Zusammenhang eine bewegende Schönheit, die der Klang, für sich genommen, eigentlich gar nicht vermitteln könnte. Dass er bei all dem ein-, zweimal eine Spur überbeansprucht wirkt, tut wahrlich nichts zur Sache.

Sentas brave Biederkeit

Neben einem im doppelten Sinne überragenden Darsteller wie Terfel fällt freilich noch stärker auf, dass Ricarda Merbeth als neue Senta zwar über die nötige Höhensicherheit verfügt, Mittellage und Tiefe aber weniger tragfähig klingen, und sie vor allem in der Textbehandlung und auch darstellerisch abfällt: Da bleibt doch mehr als nur ein Hauch von unpassend braver Biederkeit spürbar bei einer Figur, die in Christine Mielitz' zugespitzter Inszenierung doch einen fatalen Drang zum Ausbruch aus dem bürgerlichen Käfig zeigen sollte. Den verkörpern mit sonoren Tönen Peter Rose als ein Daland mit sympathischeren Zügen, als es die Regie einst vorsah, sowie Norbert Ernst, der sich erstmals am Erik versuchte: vorerst keine zwingende Partie für den geschätzten Charaktertenor. Das neue Ensemblemitglied Carole Wilson wirkte dagegen, als habe sie die Mary schon immer hier gesungen, und Benjamin Bruns ließ als Steuermann manch lyrisch schöne Wendung hören, auf die der Staatsopernchor vor allem kraftvoll antwortete.

Am Pult des etwas ungleichmäßig agierenden Staatsopernorchesters ließ Yannick Nézet-Séguin keinen Zweifel an seinem Ruf als Ekstatiker aufkommen – auch wenn er das in ihm lodernde Feuer zu bändigen weiß: Der junge Kanadier versteht die Kräfte im Graben wenn nötig zu drosseln, schlägt auch vernünftige Tempi an, ohne zu schleppen. Die Elemente tobten also mitreißend, obwohl so manche Details und vor allem der Geisterchor im dritten Akt noch einiger Nachjustierung bedürften: Die Folgevorstellungen lassen hoffen, groß war der Jubel schon jetzt.

Noch am 6., 9., 12. September, 19.30 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.09.2014)

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