Lauwarme Aufgüsse

Mit Mozarts «Don Giovanni» und der Uraufführung von Marc-André Dalbavies Oper «Charlotte Salomon» sind die Salzburger Festspiele eröffnet worden. Die Eindrücke blieben durchwegs zwiespältig.

Peter Hagmann
Drucken
Höllischer Pulverdampf wie gehabt, wenn Don Giovanni im Salzburger Grossen Festspielhaus nach der «ultima cena» seinem Ende entgegengeht. (Bild: Michael Pöhn)

Höllischer Pulverdampf wie gehabt, wenn Don Giovanni im Salzburger Grossen Festspielhaus nach der «ultima cena» seinem Ende entgegengeht. (Bild: Michael Pöhn)

Am Kiosk zeigt eine österreichische Boulevardzeitung auf der Titelseite eine leichtbekleidete junge Frau und vermeldet dazu, dass es jetzt losgehe in Salzburg. Tatsächlich haben die Salzburger Festspiele 2014 angefangen: mit Mozarts «Don Giovanni» und Unterhosentheater der edlen Art. Statt ihren von Don Giovanni zusammengeschlagenen Masetto zu trösten, erfreut ihn die knackige Zerlina mit ihren Reizen. Was ein im besten Falle feinsinniges Déjà-vu bot – einen Anklang an jenen «Don Giovanni» von 2002, mit dem Peter Ruzicka die Nachfolge von Gerard Mortier als Intendant der Salzburger Festspiele angetreten hat.

Nachher ist vorher

Nicht nur die Inszenierung von Martin Kušej, nicht nur das Debüt von Anna Netrebko gab damals zu reden, sondern auch die musikalische Auslegung durch Nikolaus Harnoncourt, der in schroffem Gegensatz zu den Dogmen der von ihm selbst energisch vorangetriebenen historischen Aufführungspraxis auffallend langsame Tempi angeschlagen hatte. Auch diesbezüglich kam es zu einer Wiederbegegnung, stand doch auch dieser neuerliche Salzburger «Don Giovanni» im Zeichen der Langsamkeit – nur war es die Langsamkeit von gestern. Denn während Harnoncourts Tempi mit hochgradig differenzierter Ausformung verbunden waren, mit einer Artikulation und einer Phrasierung, die das Sprechende der Musik offenlegte, galten bei Christoph Eschenbach am Pult das ebenmässige Legato und die ausgleichende Kantabilität – Kennzeichen der Mozart-Interpretation bis in die siebziger Jahre. Die Wiener Philharmoniker beherrschen das noch immer ausgezeichnet, sie liessen im Graben des Kleinen Festspielhauses ihrem Singen freien Lauf. Indes wurde einem ob diesem Versuch, das Rad der Interpretationsgeschichte zurückzudrehen, die Weile da und dort doch etwas lang. Im Vergleich zum Reichtum des heutigen Mozart-Bildes wirkte diese Salzburger Produktion als ein Stück von der Stange.

Kommt dazu, dass Eschenbach kein wirklich dramatisch agierender Dirigent ist. So gab es, abgesehen von der Herausarbeitung einiger konzertanter Momente und der bisweilen erheiternden Begleitung durch das Hammerklavier (Enrico Maria Cacciari), wenig Interaktion zwischen Graben und Bühne. Immerhin herrschte Übereinstimmung zwischen dem Vokalen und dem Instrumentalen insofern, als auch auf der Bühne eine Ästhetik von gestern dominierte, als auch dort Schönklang und Legato im Vordergrund standen. Bei dem ehrfurchtgebietenden Commendatore von Tomasz Konieczny war das grossartig rollendeckend. Weniger gilt das für die übrigen Herren der Schöpfung. Mit seinem glänzenden Timbre und seiner umwerfenden virilen Ausstrahlung gehört Ildebrando D'Arcangelo gewiss zu den idealen Verkörperungen des Don Giovanni, doch bleiben sein Rollenporträt eindimensional und seine musikalische Auslegung monochrom. Einen zum Verwechseln gleichen stimmlichen Ansatz vertritt Luca Pisaroni – Leporello ist hier auch weniger Diener denn Alter Ego von Don Giovanni. Wenn nun aber auch Alessio Arduini als Masetto vokal in diese Kerbe schlägt, so wird das männliche Personal kurzerhand über einen Leisten geschlagen.

Tatsächlich sucht Sven-Eric Bechtolf, auch das ein nicht eben taufrischer Ansatz, das Prinzipielle zulasten des Individuellen hervorzuheben. In dem neureichen Schloss, das Rolf Glittenberg dem Regisseur auf die Bühne gestellt hat, gibt es jederzeit ausreichend Zimmer für die schönste Tätigkeit auf Erden. Und damit, bitte sehr, auch ein Bezug zur Gegenwart ersichtlich wird, finden sich ebenfalls jederzeit Augenpaare, die das Intime zum Öffentlichen machen. Die Akzentsetzung des Regisseurs geht vorab zulasten der Frauen, die im Stück sehr unterschiedlich angelegt sind, hier aber alle gleichermassen flach wirken. Lenneke Ruiten ist eine anämische Donna Anna, zu welcher der näselnde Don Ottavio von Andrew Staples ausgezeichnet passt, während Annett Fritsch als Donna Elvira glücklicherweise nicht die Hysterische gibt, aber auch nicht über die nötige Sicherheit in den Koloraturen verfügt. Valentina Naforniţa dagegen ist keine Soubrette, vielmehr wertet sie mit ihrem wohlfundierten Sopran die Zerlina stimmlich wie sozial bedeutend auf. Im Übrigen erzählt der Regisseur die Geschichte als Wiederkehr des Ewiggleichen. Sein eher grobkörniges Handwerk erlaubt ihm jedoch nicht, über die Klischees hinauszugehen und jene szenische Intensität zu erreichen, die Stéphane Braunschweig bei gleichem Ansatz vor einem guten Jahr in Paris erzielt hat.

Kommt dieser «Don Giovanni» gewissen Erwartungshaltungen perfekt entgegen, so geht «Charlotte Salomon» von Marc-André Dalbavie in eine ähnliche Richtung. Endlich wieder einmal eine neue Oper, vor der niemand das Weite suchen muss. Die vielmehr einen bemerkenswerten Stoff bietet und sich musikalisch angenehm ins Ohr fügt. Dalbavie stammt aus dem Umfeld der französischen Spektralisten, die ihre konstruktiven Grundlagen in den Obertonreihen finden und auf dieser Basis farbenreiche Klänge evozieren. Die Salzburger Festspiele versuchen denn auch, diesen Ansatz als den dritten Weg der neuen Musik zu vermitteln – einen Weg jenseits der Antagonie zwischen der überholten Tonalität und der durch das serielle Denken gebändigten Atonalität. So einfach ist es aber nicht. Weder wird diese Sicht der historischen Komplexität gerecht, noch entspricht die neue Oper Dalbavies, seine zweite nach dem 2010 in Zürich aus der Taufe gehobenen «Gesualdo», den qualitativen Vorstellungen, die mit solchen Ankündigungen verbunden sind. Mit ihrem Zitieren und Anverwandeln wirkt die Musik des 1961 geborenen Franzosen vielmehr als lauwarmer Aufguss im Zeichen der längst ad acta gelegten Postmoderne. Und an ihren schimmernden, von innen her bewegten Klangflächen wie den anhaltenden Orgelpunkten hat man sich bald satt gehört – die vom Komponisten am Pult des Salzburger Mozarteum-Orchesters geleitete Uraufführung hat es nur zu deutlich gemacht.

Eine eigenartige Harmlosigkeit angesichts eines Stoffs, der es fürwahr in sich hat. Charlotte Salomon, 1917 geboren, war eine junge Frau aus gutbürgerlichen jüdischen Kreisen Berlins. Ihrer Herkunft wegen konnte sie die Ausbildung zur Malerin nicht absolvieren; sie musste nach Südfrankreich fliehen, wurde 1943 aber nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Im Exil hat sie die Geschichte ihres Lebens – eines durch die politischen Entwicklungen wie durch zahlreiche Suizide in der Familie belasteten Lebens – in Bildern und Texten niedergelegt, die erhalten blieben. Die Schriftstellerin und Malerin Barbara Honigmann hat diese im Grunde unerträgliche Lebensgeschichte zu einem raffiniert kunstvollen Libretto geformt, in dem das Geschehen zugleich erzählt wie gebrochen wird, in dem Deutsch und Französisch ebenso direkt nebeneinanderstehen wie Kultiviertheit und Grauen. Ebenso ist die Hauptfigur zweigeteilt, sie wird von einer Sängerin (Marianne Crebassa) und einer Schauspielerin (Johanna Wokalek) dargestellt, was die Möglichkeiten der Informationsvermittlung erweitert und den Grad der Emotionalität erhöht. Mit dem erst im Lauf der Probenarbeit hinzugefügten Ende, es führt die beiden Hauptfiguren zusammen und zeigt die Befreiung Charlottes von ihrer Lebensgeschichte, kommt es dann aber zu einer Verklärung, die gegenüber dem Vorangegangenen als opernmässig abfällt.

Virtuose Synchronität

Mit dem Grundton D von D-Dur, mit dem es angefangen hat, endet das Stück. Dazwischen liegt eine Inszenierung, die sich dem Stoff mit blendender Virtuosität nähert und über weite Strecken kompensiert, was die Musik verpasst. Johannes Schütz hat die Breite der Bühne in der Salzburger Felsenreitschule mit einer Zimmerflucht ausgefüllt, wie sie in der von Charlotte Salomon geschilderten Wohnung an der Berliner Wielandstrasse existiert haben mag. Und Luc Bondy, der den durchwegs hervorragend singenden Darstellern packende Ausdrücklichkeit abgewonnen hat, nutzt die szenische Anlage für den Ausbau jener Synchronität, die im Libretto angelegt ist. Vieles läuft hier stumm auf Nebenschauplätzen ab und sichert den Geschehen damit bedrückende Gegenwärtigkeit. Auch zu diesen Eindrücken bildet der säuselnde Wohlklang von Dalbavies Musik einen eigenartigen Kontrast.