Staatsoper: Der schlauen Füchsin später Wien-Besuch

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Leoš Janáčeks zauberische Tieroper erlebte in einer Regie Otto Schenks ihre erste Inszenierung im Haus am Ring. Unter Franz Welser-Mösts Leitung wurde dieses Debüt zum märchenhaft unzeitgemäßen Schau- und Hörerlebnis.

Nun wird man uns bestimmt wieder erklären, dass so etwas heute einfach nicht mehr tragbar ist. Da müsse man doch hinterfragen, da ginge es doch um das, was zwischen den Zeilen steht. Es ist schon so, alles, was früher das Publikum machen durfte (nämlich sich selbst seine Gedanken) wird ihm in unseren besachwalteten Zeiten von den Regisseuren abgenommen. Da gilt es als restlos altmodisch, ein Stück einfach zu erzählen, wie es geschrieben ist. Das ist wohl auch der Grund, warum Otto Schenk seit einem Vierteljahrhundert nicht mehr gebeten wurde, in seinem Haus zu inszenieren. Jetzt feierte er ein Comeback und riss das Publikum zu Begeisterungsstürmen hin. Er brachte „Das schlaue Füchslein“ auf die Bühne. Und zwar wirklich. Nicht seinen Kommentar dazu, keine dramaturgischen Fußnoten zum Thema „Das Tier auf der zeitgenössischen Bühne“, keine psychologischen Bachelorarbeiten über Seelendifferenzen zwischen dem menschlichen und dem füchsischen Annäherungsprozess.

Da muss man keine Programmheftaufsätze lesen, da genügt es zu schauen und zu lauschen, um ein Märchenspiel zu sehen und zu hören. Leoš Janáček hat sein Füchslein einst als Comic-Strip in einer mährischen Zeitung kennen und lieben gelernt. Und er hat es auf der Opernbühne unsterblich gemacht.

Man kann den Wald förmlich riechen

Schenk ließ sich nun von Amra Buchbinder ein Bühnenbild schaffen, das so realistisch wie möglich das Umfeld für die putzigen Erzählungen vom munter-unschuldigen Waldleben bietet, das dem traurig-desillusionierten Vegetieren der Menschen als Zauberspiegel entgegengehalten wird. Wovon die Menschen nur träumen, das leben die Tiere aus. Sie sind eins mit der Natur, die sich immer wieder erneuert.

Eine solche Geschichte erzählt man am besten, wie sie ist. Als Märchen für Erwachsene. Wer sich wenigstens einen Restbestand von ehrlicher Freude an der Kunst erhalten hat, wer sich als Theaterbesucher nicht wie ein Proseminarist in der Ausbildung zum Psychoanalytiker oder Politikwissenschaftler fühlen möchte, sondern sich noch an einer mit Animo erzählten Geschichte erfreuen kann, der darf sich diese Produktion nicht entgehen lassen.

Wenn der Vorhang aufgeht, meint man förmlich, den Waldboden atmen zu spüren. Die Sänger stecken in aufwendigen Kostümen, die jedem Hollywood-Film Ehre machen würden. Und vor allem: Sie agieren wie die Tiere, die sie darstellen sollen. Wie gern wäre man bei den Proben dabei gewesen, als Otto Schenk dem Frosch erklärt hat, wie er hüpft, der Mücke, wie sie zusticht, der Libelle, wie man mit den Flügeln schwirrt . . .

Den Höhepunkt erreichen die animatorischen Künste, wenn sich alle Waldbewohner zum Ballett vereinigen. Zum mährischen Walzerrhythmus findet jeder sein Tempo, auch die Igel und die Schnecke wiegen sich; jeder seinem Naturell gemäß, aber doch alle irgendwie im Takt. Es geht da, man begreift es, um eine höhere Harmonie.

Es surrt und zirpt und tiriliert

Genau die besingt Janáčeks Musik, aus dem Naturlaut geboren surrt und summt, raunt und tiriliert es, alle Spielarten des riesig besetzten, aber tausendfach aufgefächerten Orchesters werden genutzt: flautando, sul ponticello, Flageolett – manche Begriffe kommen sogar im Text vor, auf Deutsch besingt man den „Kontrapunkt“, obwohl das tschechische Original gesungen wird. Mit der guten Tradition, dem Publikum das Wort- und Pointenspiel in der Landessprache zu bieten, ist es im neuen Janáček-Zyklus der Staatsoper leider vorbei. Es stimmt schon: Dieser Komponist hat seine Motive aus der Sprache gewonnen. Es würde freilich genügen, wenn das Orchester die poetisch-zarten wie die kraftvollen Akzente so beredt setzt, wie es das unter Franz Welser-Möst tut, wenn es sie beherzt zum vielgestaltigen Waldweben verknüpft, wenn es quakt, zirpt und (mit Heinz Zedniks Hahn!) kräht, um – apropos – den Begriff Kontrapunkt neu zu definieren als göttliches Durcheinander, das ja doch das herrlichste Miteinander ist, wenn zuletzt das kleine Füchlsein und der Förster Arm in Arm den Sonnenaufgang erleben. Eine grandiose Ensembleleistung bieten die Sänger. Nur Chen Reiss als Titelheldin und Hyuna Ko singen mit edlen Stimmen ein geradezu belcanteskes Liebesduett – und Gerald Finleys Förster verströmt seinen Bariton wunderbar beim Hymnus auf die Natur. Der Rest ist Rezitativ – und zwingt das Publikum fortwährend, die Untertitel mitzulesen, statt sich ungestört dem hinreißenden Bühnenspiel zu widmen. So viel Verbeugung vor dem Zeitgeist muss wahrscheinlich sein.

Reprisen: 21., 24., 26. und 31. Juni

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.06.2014)

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