Auf diesem Weg nach Walhall dürfen Opernfans glücklich sein

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Halbzeit im ersten Wiener "Ring des Nibelungen"unter Jeffrey Tate. Der Brite erfreut mit ökonomischer Zeichengebung ohne Schnelligkeit und Schweißperlen. Das Orchester kann sich bestens entfalten.

Jubelstimmung in der Staatsoper: Zweimal ist in diesen Wochen der „Ring“ zu erleben – und urteilt man zur Halbzeit des ersten Zyklus, so dürfen sich Wagner-Freunde die kommenden Termine getrost als Feiertage im Kalender anstreichen. In erster Linie legten das die immer wieder herrlichen Klänge nahe, die aus dem Graben strömten, wo das hoch motivierte Staatsopernorchester jene Freiräume zu nutzen wusste, die ihm Jeffrey Tate bot: Der Engländer, am Pult dem strengen alten Klemperer nicht unähnlich, beschränkt sich auf höchst ökonomische Zeichengebung, teilt jedoch nicht nur seine eigenen Kräfte klug ein, sondern differenziert auf Grundlage merklicher Probenarbeit mit sicherer Hand auch Farben und Klangvolumen – und zwar in kohärenten Tempi.

Temperament und Größe, erfährt man da, sind nicht eine Sache von Schnelligkeit und Schweißperlen, sondern von Verhältnissen und Entwicklungszeit; Interpretation erwächst aus bescheidenem Zurücktreten und treulichem Streben nach den Vorschriften der Partitur. Nach einem weitgehend ungetrübt schillernden, vielversprechenden „Rheingold“ gab es dann allerdings in der „Walküre“ einige Wackler, die auf mangelnde Vorbereitung schließen ließen.

Ein wenig nach der Decke strecken musste man sich freilich auch bei der Besetzung. Tomasz Konieczny hat sich neben dem Alberich, zu dem er in einem Jahr unter Simon Rattle auch in Wien zurückkehrt, längst alle drei Wotan-Partien erarbeitet. Das hängt jedoch weniger mit seinen stimmlichen Fähigkeiten zusammen als damit, dass das Heldenbaritonfach international Nachwuchs braucht. In der ironisch gebrochenen „Rheingold“-Welt, von der Regisseur Sven-Eric Bechtolf lange Zeit in heiterem Märchentonfall erzählt, findet sich Konieczny als junger, impulsiver Göttervater noch besser zurecht – zumal ihm dort im eigentlich lyrisch fundierten Jochen Schmeckenbecher ein auf Mitleid zielender Alberich gegenübersteht, von dem er sich im Klang ausreichend unterscheidet. In der „Walküre“ bleibt dagegen unübersehbar, dass Konieczny viele der verlangten Gänge und Gesten noch nicht verinnerlichen konnte. Sängerisch besitzt er zwar auch im Parlando kernige Töne für den großen Monolog und kann sogar im Feuerzauber noch genug Kraft mobilisieren, doch neigt er immer noch zu starken Vokalverfärbungen und Unebenheiten im Vortrag, die der Verschmelzung von Wort und Ton erheblich im Weg stehen: ein Achtungserfolg.

Großartig: Kulman, Gun-Brit Barkmin

Mit welcher Eindringlichkeit, Plastizität und Unmittelbarkeit des Ausdrucks erfüllten dagegen Fricka und das Wälsungenpaar ihre Rollen! Bei einem klugen Sängerdarsteller wie Peter Seiffert stört kaum, dass ihm für den Siegmund die satte Tiefe fehlt, sein Tenor etwa bei den lang gehaltenen Wälserufen schon zum Tremolieren neigt und er Hilfe aus dem Souffleurkasten braucht. Denn er agiert nicht nur mit Saft und Kraft, sondern kann seinem schweren, aber nicht schwerfälligen Tenor mit unvermindert wendiger Phrasierungskunst auch innig-lyrische Töne abgewinnen: ein differenziertes Porträt, das Gun-Brit Barkmin mit ihrer ersten Wiener Sieglinde großartig ergänzte. Zunächst mit edlem Pathos, dann mit immer mehr rückhaltlos ausgelebten Emotionen bis an die eigenen Grenzen erfüllte sie die Partie trotz nicht immer ideal erblühendem Klang mit lodernder Intensität. Noch besser, weil in jeder Hinsicht souverän, gelang Elisabeth Kulman die Fricka: zunächst als verführerische, auf ihren Vorteil bedachte, die Machtpolitik der Männer jedoch nicht durchschauende Frau, dann als tief verletzte Gattin, die ihre Karten mit sprachlich-sängerischer Subtilität auszuspielen weiß. Gerade im Vergleich zu diesen Kolleginnen nahm sich Linda Watson wie ein Fremdkörper aus: Kurzfristig für Nina Stemme eingesprungen, blieb sie eine bloß passable Brünnhilde ohne stimmliche Glanzlichter oder darstellerische Poesie.

Rundherum Erfreuliches gibt es aus dem Ensemble zu berichten: Norbert Ernsts aufgeweckter Loge, Janina Baechles hellstimmig kultivierte Erda, Sebastian Kohlhepp als nobler Froh, Ain Anger als Fafner und sängerisch fast über Gebühr brutaler Hunding, gute Rheintöchter und Walküren.

Fortsetzung: 5.6. „Siegfried“, 8.6. „Götterdämmerung“; „Ring“ II: 19., 22., 25., 29.6.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.06.2014)

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