WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Kultur
  3. Bühne und Konzert
  4. Jacques Offenbach: „Hoffmanns Erzählungen“ in Madrid

Bühne und Konzert Offenbach in Madrid

Wie man aus einer Partitur ein Kaugummi macht

Freier Feuilletonmitarbeiter
Surreal-schläfriges Offenbach-Panorama mit nackten Damen: Rechts Anne Sofie von Otter als komische Alt-Muse mit Omahütchen und Eric Cutler als Hoffmann im weißen Bademantel Surreal-schläfriges Offenbach-Panorama mit nackten Damen: Rechts Anne Sofie von Otter als komische Alt-Muse mit Omahütchen und Eric Cutler als Hoffmann im weißen Bademantel
Surreal-schläfriges Offenbach-Panorama mit nackten Damen: Rechts Anne Sofie von Otter als komische Alt-Muse mit Omahütchen und Eric Cutler als Hoffmann im weißen Bademantel
Quelle: Javier del Real / Teatro Real
Jacques Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“ war die letzte von Gerard Mortier konzipierte Premiere in Madrid. Was ein melancholisches Künstler-Requiem hätte werden können, wurde ein sehr langer Abend.

Vorsicht, diese „Hofmanns Erzählungen“ am Teatro Real in Madrid sind keine Operninszenierung für Kulinariker! Was viele bei dem Werk trotz seines Torsocharakters – der Komponist starb darüber 1880 – immer noch erwarten. Mit Prolog und Epilog fünf Akte, große Stimmen, Ausstattungszauber, flirrend französische Musikequilibristik à la Offenbach, perlende Koloratursoprane, gurrende Mezzi, satte Bässe und ein strahlender Tenor. Der gefallene Dichter als nostalgischer Frauenheld zwischen Berliner Weinkeller, verspieltem Puppenkabinett der künstlichen Olympia, biedermeierlichem Sängerinnenzimmer der tuberkulösen Antonia und Giuliettas rassigem und sanft barkarolenumschwebtem Kurtisanen-Venezia.

So was mag der Regisseur und Musiker Christoph Marthaler gar nicht, und Gerard Mortier, der hier unlängst erst entlassene und dann an Krebs gestorbene Überintendant goutierte es noch weniger. Und deshalb wurde jetzt, was eigentlich nur als letzte Premiere seiner dritten, dabei ersten wirklich selbst verantworteten, bemerkenswert gelungenen Spielzeit in Madrid geplant war, Mortiers inoffizielles Requiem und ästhetisches Vermächtnis. Ein wenig fühlte man sich da freilich an die schrecklich misslungene, aber bösartig klarsichtig gedachte „Fledermaus“ von Hans Neuenfels als krakeelender Salzburgkehraus zum Finale seiner dortigen Direktionszeit 2001 erinnert.

Müder Glanz des Déjà-vu

Es war ein langer Abend, vier Stunden, die mit einem einzigen Vorhang, Buhs und Bravi endeten. Und es endete auch eine Ära: Denn hier standen viele der Getreuen der Mortier-Zeiten in Brüssel, Salzburg, an der Ruhr, in Paris und letztlich Madrid auf der Bühne. So manche abgesungene, verschlissene, im Lauf der Operngezeiten fahl gewordene Stimme war zu hören. Der Regiefunke mochte nicht wirklich überspringen – und auch im Orchestergraben war so mancher lähmend lethargische Moment auszumachen. Es war ein (später nach Stuttgart weiter wandernder, für Arte und DVD mitgeschnittener) Abend für Fortgeschrittene, kaum für die eher blasierte, gerne bis zu 380 Euro für das Recht der Premierenacht hinblätternde Madrilener Society.

Selbst der Kenner wurde allerdings nicht wirklich warm und glücklich. Wie Mehltau lag der müde Glanz des Déjà-vu von Haltung und Methode Christoph Marthalers sowie der inzwischen doch abgenutzten, von anderswo kopierten, anverwandelten und verdichteten Einheitsraumästhetik Anna Viebrocks über dem dann doch schwerfällig sich entfaltenden Künstlerdrama. Nicht einmal Sylvain Cambreling, der sonst gerade aus französischer Musik so fein das gallisch Subversive, Pikante, frivol Espritvolle herauszukitzeln vermag, konnte diesmal punkten. Dafür klang es zu leise, zu dröge, zu aufgeräumt konventionell.

Vielleicht war auch die Erinnerung an Cambrelings und Marthalers genial radikale Bearbeitung des „Pariser Leben“ aus dem Jahr 1998 zu übermächtig. Wie hatte man damals bei den Wiener Festwochen im Burgtheater diesen wunderbar ostigen, frechen, respektlosen, liebevoll komischen Abend um ortlose Touristen und amüsierwillige Abenteurer in einer ehemals geteilten Stadt gehasst – und wie sehr hatte man ihn anschließend an der Berliner Volksbühne als deren aufwendigste Produktion überhaupt (so viele Musiker! Tänzer in Massen! Trash und Glamour der besonders kaputten Art!) geliebt.

Alles im Einheitsbühnenraum

Susanne Düllmann als schwedische Baronin, die nur „Knäggebröd“ sagen musste, Walter Raffeiner, der immer „Jetzt geht’s los, so richtig los“ murmelte und eben diesen Zustand nie erlebte. Und natürlich die erstmals als Diseuse glimmernde Sophie Rois, die Metallas Rondo vom tobenden Nachtleben verheißungsvoll rau hauchflüsterte.

Diesmal hatte es als Viebrock-Vorbild für den Einheitsbühnenraum den „Circulo de Bellas Artes“ getroffen, den zumindest im Café halböffentlichen Künstlerklub Madrids: ein weißer, hoher Raum mit Neonröhren, Kinogestühl am Rand, Tischgarnituren in der Mitte und einer verspiegelten Bar links hinten. Hier wird gleichzeitig ein Aktmalkurs abgehalten, der immer neue Frauen als nacktes Objekt sachlicher Pinslerbegierde entblättert, und der Fall Hoffmann wird verhandelt.

Das freilich nicht in einer irgendwie spannenden Bruchfassung, was der Fragmentcharakter des in mindestens vier offiziellen Versionen gültigen Werkes, aus dem sich jeder seinen „Hoffmann“ basteln darf, legitimieren würde – und was keiner so radikal exekutierte wie Peter Konwitschny 1992 ausgerechnet im Dresdner Semperoper-Schmuckkasten. Nein in aller, ziemlich ideenlosen Ausführlichkeit zieht sich diesmal der Offenbach-Kaugummi.

Fallsüchtige Kellner und bassschnarrende Bösewichter

Da beschwört die nur noch kleinstimmige Anne Sofie von Otter mit einer Leopardenfellmütze als Oma-Muse/Niklas die Geister des Weines und bleibt dann strikt die gar nicht so komische Alte. Währenddessen schiebt Marthaler-Urgestein Graham Valentine als Frankenstein im Ärztekittel den Chor als Besuchergruppe herum, die gleich die Absperrseile selbst mitbringt. Später krächzt der Schauspieler den Spallanzani, und wenn Marthaler nichts mehr einfällt, dann darf er, auch als Schluss-Running-Gag, mit einer Fernbedienung den Vorhang rauf- und runterlassen.

Anzeige

Zwischen dem irgendwie surreal sich spreizenden Personal samt fallsüchtigen Kellnern ist auch schon Hoffmann im Bademantel hereingeschlurft und singt sein Couplet vom zwergigen Kleinzack. Dem antwortet der für sämtliche Bösewichter, zunächst also für den Linddorf zuständige Vito Priante etwas zu kleinstimmig bassschnarrend. Auch der dramatisch verschlankte Christoph Homberger in den vier Dienerpartien hat nicht mehr sonderlich viele Vokalmöglichkeiten.

Die Muse als Seniorengefährtin

Mit denen kann dann wenigsten Ana Durlovski als Puppe Olympia auftrumpfen, die ein irgendwie zurückgeblieben kindliches Mauerblümchen geben muss. Als sich auf dem Podest der Aktmodelle unbeweglich im lila Kleid zu Tode trällernde Antonia wie auch als auf dem Billardtisch die Beine breit machende Giulietta hat Measha Brueggergosman kaum Charisma und noch weniger Verführungssingen zu bieten. Der Chor schaut trotzdem mit 3D-Brillen gebannt zu. Und zu guter Letzt schimpft dann die Schauspielerin Altea Garrido als letzte Hoffmann-Geliebte Stella, auf die hier alle warteten, in spanisch über die ängstlichen Europäer – was sich als hellsichtige Philippika von Fernando Pessoa aus dem Jahr 1919 entpuppt.

Bleibt für den ausgebrannten Hoffmann nur noch die Muse als Seniorengefährtin, die in der Apotheose, die Kraft der Kunst beschwört; was hier keiner mehr glauben will. Gerard Mortier war immer ein Pessimist, trotzdem hat er stets für die Oper weitergekämpft. An diesem so trüben wie unfreiwillig traurigen Abend fehlte sein inspirierender Geist jedenfalls schmerzlich.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema