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Zürich

Das Leben? Ein Spiel!

Zürich / Lesedauer: 4 min

Tschaikowskys „Pique Dame“ am Opernhaus Zürich in einer schlüssigen Neuinszenierung
Veröffentlicht:08.04.2014, 21:30

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„Tri carti, Tri carti“ und „Krasaviza!“ Auch wer kein Russisch kann, versteht diese Worte, sie bilden das Zentrum im Denken des spielsüchtigen Hermann: Sie stehen für die „drei Karten“, die sein Leben umkrempeln könnten, und die „Schöne, Geliebte“, die zunächst unerreichbare Lisa, die doch alles für ihn hingibt. Bereits in den wenigen Takten des Vorspiels von „Pique Dame“ erzählen die Musik von Peter Tschaikowsky und die Regie von Robert Carsen die ganze Geschichte: Der glücklose Spieler Hermann liegt tot am Boden, umgeben von entsetzten Männern. Auf leerer Bühne begegnen einander Hermann, seine Geliebte Lisa und die alte Gräfin – Blickwechsel, intensives Kammerspiel zu dunkel glühenden Klängen. Die vorletzte und neben „Eugen Onegin“ bekannteste Oper Tschaikowskys nach einer Puschkin-Novelle hatte am Opernhaus Zürich eine umjubelte Premiere.

Grün ist die Hoffnung – nicht so bei Robert Carsen und seinem Bühnenbildner Michael Levine: Hohe Wände mit rautenförmigen erhabenen Zellen, grüner Bühnenboden, Lampenschirme mit grünen Fransen machen die Bühne zur Spielhalle, in der Hermann wie ein bleicher Getriebener seine Kreise zieht. Selbst wenn junge Mädchen den Frühling besingen oder der Fürst ein Fest gibt, auf dem sich Zarin Katharina die Ehre gibt, öffnet sich die Szene nicht. Auch das große Bett der Gräfin und die Wässerchen in ihren Flacons sind so grün wie die eleganten Kostüme der Dienerinnen. Ansonsten dominiert elegantes Schwarz in den Abendanzügen der Herren und den individuell gefertigten Cocktailkleidern der Damen, Hermann geistert als Außenseiter in einem abgetragenen Mantel herum (Kostüme: Brigitte Reiffenstuel).

Auch wenn sich auf Dauer das Gefühl von Klaustrophobie einstellen mag, erzeugt diese szenische Lösung doch eine große Dichte. Denn Hermann ist ein Besessener, in der Liebe wie im Spiel: Als sich die angebetete Lisa mit dem wohlhabenden Fürsten verlobt, bedrängt er Lisa, droht, sich umzubringen. Als er die Geschichte der Gräfin und ihres Geheimnisses um die drei Karten hört, kreist sein Denken nur noch darum, wie er ihr es entlocken kann. Als er schließlich alles auf diese Karten setzt, ist die Katastrophe vorbestimmt.

Aleksandrs Antonenko, der lettische Tenor, der gerade am Opernhaus in Verdis „Aida“ zu hören war und die Partie des Hermann innerhalb von zehn Tagen übernommen hat, verkörpert diesen Getriebenen auf beklemmende Weise. Seine Stimme kann verzweifelt, warm beschwörend oder kalt berechnend mit metallischem Strahl klingen, er gibt sich voll und ganz hinein in diese Rolle und hat eine Fülle von Farben für seine Leidenschaften. Ideale Partnerin für ihn ist Tatiana Monogarova, die Russin, die in ihrer Liebe zum Tanz und zum Schauspiel große Bühnenpräsenz hat: ob zurückhaltendes Mädchen, melancholisch verschattet oder mitreißend in ihrer Hingabe verkörpert sie eine der großen Frauenfiguren Tschaikowskys mit farbenreicher Intensität.

Aus ihrer reichen Erfahrung als Sängerdarstellerin schöpft auch Doris Soffel als alte Gräfin: Erinnerungen an die glanzvolle Jugendzeit, Verachtung und Todesangst fließen in ihrer Interpretation zusammen, man glaubt ihr in ihrer eindringlichen Stimme und Gestaltung, dass die Gräfin immer noch Macht über die Männer und ihre Enkelin Lisa hat. Von Tschaikowsky auf die Rolle des etwas blassen, verlässlichen Verlobten reduziert ist Fürst Jeletzki. Der Amerikaner Brian Mulligan trumpft mit prächtigem Bariton auf, schade dass ihn Lisa nicht erhört und den finsteren Hermann vorzieht! Mit diesen Sängerdarstellern und einer Reihe von weiteren kleineren, gut besetzten Partien führt Robert Carsen, der vor neun Jahren auf der Bregenzer Seebühne eine ebenso spannungsreiche Version von Verdis „Troubadour“ entwickelt hatte, durch die tragische Oper.

Gesänge der Ostkirche

Was wäre „Pique Dame“ ohne den von Jürg Hämmerli einstudierten Chor! Ebenso spielfreudig wie ausgewogen im Klang verwandelt er sich in lebenslustige Spielernaturen, in junge Mädchen mit Volksliedern und in unterwürfige Dienerinnen, zum Begräbnis der Gräfin und nach dem Tod Hermanns erklingen herrliche liturgische Gesänge der Ostkirche. Mit den dunklen Bläserfarben und satten Streicherklängen formt der tschechische Dirigent Jiri Belohlávek dazu mit der Philharmonia Zürich einen glühenden Orchesterklang, der die auf der Bühne gezeigten Leidenschaften trägt und widerspiegelt. Tschaikowskys Spiel mit Leitmotiven und unheilvollen Ahnungen ist bei ihm in besten Händen.

Weitere Aufführungen: 11., 13., 16., 27. April, 3., 6., 11., 18. Mai, www.opernhaus.ch