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"Lohengrin" am Teatro Real
Solisten staksen breitbeinig herum

Regievagabund Lukas Hemleb arbeitet zwischen China und Paris und wechselt munter zwischen Oper und Theater. Am Teatro Real in Madrid hat er nun Richard Wagners "Lohengrin" inszeniert. Hätte doch noch der kürzlich verstorbene Gerard Mortier beratend beiseitestehen können.

Von Christoph Schmitz | 04.04.2014
    Gerard Mortier
    Ein Foto Gerard Mortiers war bei der Madrider "Lohengrin"-Premiere ausgestellt. (dpa / picture alliance / Kote Rodrigo)
    Die großen Opernhäuser Europas gedenken ihres einstigen Intendanten, des kürzlich verstorbenen Gerard Mortiers. In Paris etwa, in Brüssel am vergangenen Wochenende zur Uraufführung von Philippe Boesmans "Au Monde" und auch gestern in Madrid anlässlich der Premiere einer Neuinszenierung des "Lohengrin" von Richard Wagner. Ein Foto des freundlich und gewitzt schmunzelnden Mortiers stand neben zwei Kondolenzbüchern. Die Besucher trugen sich mit Danksagungen reihenweise ein, und die Sprecher des Hauses betonten, dass die Planungen Mortiers aus Respekt vor dessen genialischen Ideen von seinem Nachfolger Joan Matabosch in dieser und den nächsten Spielzeiten umgesetzt würden. Dass man Mortier gerade wegen seines für spanische Musiktheaterverhältnisse zu kreativen Wirkens kurz vor seinem Tod vor die Tür gesetzt hatte, daran wollte sich niemand erinnern. Nach den Erfolgen der Mortier-Ära wie mit Charles Wuorinens Oper "Brokeback Mountain" oder Glucks "Alceste" hätte auch aus dem "Lohengrin" etwas Besonderes werden können.
    Auf der Suche nach dem Kunstwerk der Zukunft
    Mit Wucht zieht einen die Einheitsbühne des Bildhauers Alexander Polzin unter die Erde, ins Gesteinsmassiv eines Berges. Die Leute von Brabant haben eine riesige Felsenhalle aus dem Massiv herausgeschlagen, wohl auf der Suche nach etwas. Ein paar notdürftige Öffnungen nach draußen sind zu sehen, Fenster, Durchgänge. Und ganz oben in der Mitte ist das Gewölbe der Höhle durchbrochen, als sei ein Monstrum von etwas, vielleicht ein Meteorit oder Ähnliches einmal hier eingeschlagen und hätte sich tief in die Erde eingebohrt. Das sieht spektakulär aus, zumal die Brabanter in ihren schmutzigen Arbeitskitteln auch künstlerische Ambitionen haben. Das unfertige Relief einer Riesenskulptur ist in die Hinterwand gemeißelt. Wie einst Richard Wagner begibt sich auch der Madrider "Lohengrin" auf die Suche nach dem Kunstwerk der Zukunft. Hartmut Haenchen am Pult geht es recht zügig und sehr frisch an. Ähnlich wie Wolfgang Sawallisch 1962 in Bayreuth braucht Haenchen insgesamt nur rund drei Stunden und zehn Minuten. Alles fließt, ist moderat temperiert, farbenreich, vor allem in den leisen Passagen. Haenchen verzichtet hier auf alle Fiebrigkeit und jedes Transzendenztremolo. Zugleich dreht er das Forte immer wieder kräftig auf und setzt auf ein Fortissimo noch mal ein f drauf, was dann aber zu grob und zu sehr auf Überwältigung aus ist und zu seiner sonst so subtilen und gelassen Haltung gar nicht passen will.
    Gerard Mortier wirkt nach
    Groß die Solisten, allen voran Catherine Naglestad als Elsa, Christopher Ventris als Lohengrin und Thomas Johannes Mayer als Friedrich von Telramund. Deborah Polaski als Ortrud und Franz Hawlata als König Heinrich hatten mit ihren Partien etwas zu kämpfen. Dennoch: Mortiers feines Gespür für passende Personenaufstellungen kommt zum Tragen. Zu kämpfen hat man als Zuschauer allerdings mit der Personenführung des Regisseurs Lukas Hemleb. Die hätte ihm der frühere Intendant wohl nicht durchgehen lassen. Die Chormassen führt Hemleb höchst konventionell, die Solisten dürfen breitbeinig herumstaksen, als Verlegenheitsgeste die Hand an den Mund führen, wütend oder verliebt grimassieren und überflüssigerweise den Wortsinn gestisch verdoppeln, etwa wenn Friedrich vom Schwan spricht und dabei die Arme ausbreitet und sie wie Flügel schlagen lässt. Hemleb spielt mit allen Bewegungs- und Mimikunarten eines schauspielfernen verstaubten Opernbetriebs. Dass es keinen richtigen Schwan gibt, sondern statt des Schwans ein mannshoher Eiskubus aus dem Felsboden steigt, da wo der Himmelskörper eingeschlagen sein mag, macht die Sache nicht viel besser. Auch nicht, wenn sich im Eis nach und nach eine Figur abzeichnet, deren Abbild am Schluss als abstrahierte Bronzeplastik hereingetragen wird. Ob Hemleb das Kunstwerk der Zukunft beschwört oder die Götzenanbetung des Menschen kritisiert, bleibt offen. Vermutlich hätte Mortier den Machern auch hier mit freundlichem Witz zur Seite gestanden. Vorbei ist vorbei. Im Mai geht’s trotzdem vielversprechend weiter mit "Hoffmanns Erzählungen" von Offenbach unter Sylvain Cambreling und Christoph Marthaler. Mortier wirkt nach.