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Der nächste Traum kommt bestimmt

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Wohin mit den Gefühlen, wenn der Betreffende sie nicht haben will? Tatjana (Maria Kalesidis) verzweifelt an Onegins Abfuhr. ·
Wohin mit den Gefühlen, wenn der Betreffende sie nicht haben will? Tatjana (Maria Kalesidis) verzweifelt an Onegins Abfuhr. © Foto: Etter

Oldenburg - Von Nina Baucke. Gewohnheit als Ersatz für das Glück – solange der Champagner kalt ist und die Party läuft, eine durchaus akzeptable Lebensperspektive für Larina. Ihre Tochter Tatjana sieht das anders. Ihre romantischen Träume sind noch lange nicht ausgeträumt, ihre großen Emotionen noch lange nicht klein. Aber sie werden es sein.

Über zweieinhalb Stunden Opernspielzeit braucht es, um Tatjanas Träume zu sezieren und zu zerlegen, bis am Ende nicht mehr von ihnen übrig ist, als eine schale Erinnerung. Dennoch: Die mit viel Beifall belohnte Premiere der Oper „Eugen Onegin“ von Peter Tschaikowski am Oldenburgischen Staatstheater scheint trotz Gesangs in russischer Sprache und dem damit verbundenen gelegentlichen Blick auf die deutschen Übertitel nicht eine Minute zu lang oder langweilig, obwohl gerade die Langeweile den Ausgangspunkt der Handlung markiert.

Es ist Langeweile einer übersättigten Landgesellschaft, in der sich die Damen Larina (Linda Sommerhage) und Filipjewna (Helena Köhne) mit ihren elterlich eingefädelten und abgekühlten Ehen arrangiert haben und Romantik nichts weiter ist als graue Theorie. Auch Onegin (Paul Brady) ödet das Leben an, materiell gibt es nichts, was ihm fehlt, gefühlsmäßig ist er auf dem Nullpunkt. Auch der verhängnisvolle Flirt mit Tatjanas Schwester Olga entspringt lediglich seiner inneren Leere. Tatjana (Maria Kalesidis) und Olga (Geneviève King) wirken dagegen wie Fremdkörper in dieser Gesellschaft. Die eine träumt von der Liebe, die andere hat sie in Person des schwärmerischen Dichters Lenski (Daniel Ohlmann) gefunden. Aber natürlich werden auch sie am Ende auf dem Boden der Tatsachen ankommen: Onegin wird Tatjana mit der saloppen Bemerkung, der nächste Traum komme bestimmt, abweisen. Spätet tötet er Lenski im Duell.

Doch dann die Wende, eine wahre Umkehrung der Verhältnisse: Während das Gefühl der Romantikerin Tatjana in der kalten Wirklichkeit einer Vernunftehe mit einem anderen erfriert, entzündet sich unter der Frostdecke des nüchternen Realisten Onegin unvermutet doch noch Empfindsamkeit. In der Wiederbegegnung mit der gestern noch Verschmähten erwacht so etwas wie Liebe und Begehren in ihm.

Während sich die literarische Vorlage, Alexander Puschkins 1833 erschienener Versroman „Eugen Onegin“, um den namensgebenden Protagonisten dreht, fokussiert Tschaikowski die Handlung seiner 1879 entstandenen „Lyrischen Szenen“ auf Tatjana, Onegins weiblichen Gegenpart.

Die Oldenburger Inszenierung von Julia Hölscher setzt dabei voll auf die Präsenz von Maria Kalesidis. Denn ihrer Tatjana gehört vor allem in der ersten Hälfte, bis zum Eklat auf dem Ball, ganz eindeutig die Bühne. Zum einen wortwörtlich, denn bis auf einen kurzen Augenblick verlässt sie in der ersten Hälfte die Szenerie nicht einmal, zum anderen stimmlich und darstellerisch.

Tatjana will mehr vom Leben als Langeweile, sie verliebt sich, wird zurückgewiesen und endet dann doch wie schon ihre Mutter in einer Vernunftehe. Kalesidis macht diesen Weg spürbar und transportiert ihre Gefühle über die Bühne hinaus, unterstützt vom dynamischen, vollen und warmen Klang des Orchesters (musikalische Leitung: Thomas Bönisch). Das kumuliert in einer poetisch inszenierten Briefszene, die dramaturgisch sowie musikalisch den Dreh- und Angelpunkt der Oper darstellt.

Paul Brady zieht dagegen im ersten Teil etwas den Kürzeren, so in der Szene, in der Onegin Tatjana ihre Gefühle um die Ohren schlägt. Auch zu Beginn des zweiten Teils beim Duell ist Daniel Ohlmann gesanglich klar präsenter, doch spätestens beim Wiedersehen mit Tatjana gefällt Brady als unglücklich Verliebter.

Die schwerpunktmäßige Spaltung der Oper spiegelt sich in den Kostümen von Susanne Scheerer wider. Wirkt das Leben auf dem Land wie ein bunter, aber oberflächlicher Jahrmarkt, strahlt die Szenerie des Balls in St. Petersburg Strenge in Fünfziger-Jahre-Outfits aus. Auch die Ausstattung (Cora Saller) kommt mit wenigen Andeutungen aus (wobei sich allerdings die Luftballons im zweiten Teil für den Chor als Stolperfalle entpuppen) und wird dominiert von einer großen Spiegelfolie an der Rückseite der Bühne, die gleichzeitig Abbild, Traum- und Zerrbild des Geschehens ist.

Doch Einsamkeit bleibt Einsamkeit – steht zuerst die verträumte Tatjana abseits, so ist es am Ende Onegin, von der Petersburger Schickeria als Hofnarr verspottet, der zurückbleibt und nun mit seinen plötzlich existenten Gefühlen alleine klarkommen muss. Gewohnheit als Ersatz für das Glück wird am Ende zur fatalen Konsequenz nach der verpassten Chance und dem zerstörten Traum.

Weitere Aufführungen: 23. und 29. April sowie am 8., 14., 22. und 29. Mai; Großes Haus, Staatstheater Oldenburg

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