„Wozzeck“: Wienerische Opernkür

(c) Michael Poehn / Wiener Staatsoper
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Alban Bergs Meisterwerk in exquisiter Besetzung, bis in die kleinste Rolle liebevoll modelliert, vom Duo Evelyn Herlitzius und Matthias Goerne sensationell dominiert.

Jetzt weiß man, warum das jüngste Wiener Gastspiel in der New Yorker Carnegie Hall Furore gemacht hat. Eine solch mustergültige Aufführung eines zentralen Werks der musikalischen Moderne bringt vermutlich kaum ein zweites Opernhaus zustande. An der 36.Aufführung von Adolf Dresdens nach wie vor reibungslos funktionierenden Inszenierung von Alban Bergs „Wozzeck“ stimmte jedenfalls vokal wirklich alles. Matthias Goerne, schon in New York umjubelt, sang erstmals im Wiener Haus am Ring den Titelantihelden.

Sang und sprach, müsste man in Wahrheit sagen, denn dieser Künstler beherrscht auch die von Berg minuziös notierten Zwischentöne aufs natürlichste. Penibel ordnet der Komponist an, wo mit ganzer, wo mit halber Stimme zu singen ist, wo gesprochen werden soll – auf präzise vorgeschriebenen Tonhöhen. Das ist schwer zu realisieren und noch viel schwerer wirklich natürlich über die Rampe zu bringen.

Goerne führt die deutliche Textdeklamation, die Berg vorschwebt, in ebenso deutliche, immer wieder hoch expressiv gefärbte Gesangskantilenen über. Warum man den Komponisten einmal den „Meister des kleinsten Übergangs“ genannt hat, wird in dieser subtil modellierten Interpretation hörbar. Und sichtbar: Auch wenn Goerne nicht singt, führt er die musikalischen Linien quasi fort, baut dramatische Ausbrüche stumm auf und bringt sie dann – etwa im Dialog mit Hauptmann und Doktor im Zentrum des Werks – förmlich zur Explosion.

Die Traumbesetzung der Marie

Ihm zur Seite eine kongeniale Marie: Evelyn Herlitzius durchlebt und singt ihre Partie intensiv: Vom zarten Großmutter-Lied bis zum ekstatischen Melisma, mit dem sie sich dem hinreißend eitlen, stimmlich völlig unerschrockenen Tambourmajor von Herbert Lippert in die Arme wirft, entwickelt auch sie ihre Partie bruchlos, erfüllt die Gesangslinie, wie Richard Strauss das einmal mit Bezug auf seinen „Rosenkavalier“ (den Berg ironisch zitiert!) formulierte, „mit roten Blutkörperchen“. Die warm und weich timbrierten ariosen Momente – voran das im behutsamen Volksliedton vorgetragene Wiegenlied – werden von dieser erfüllten Gestaltung ebenso in Erinnerung bleiben wie die filmreife Gestaltung der dialogischen Szenen.

Grandios fast alle der kleineren und kleinsten Partien: Der heldischen Strahlkraft des Tambourmajors setzt Wolfgang Bankl profunde Boshaftigkeit des Doktors entgegen, zynisch-überlegen neben der Karikatur eines Hauptmanns, wie sie Herwig Pecoraro hart am Rande der Knallcharge auf die Bühne bringt.

Norbert Ernst gibt einen geradezu belcantesken Andres, Monika Bohinec macht aus den wenigen Zeilen der „Frau Nachbarin“ Margret mit dunkel-schönem Mezzo beinah eine Hauptrolle. Charakteristisch die beiden Handwerksburschen von Andreas Hörl und Clemens Unterreiner wie der Narr von Peter Jelosits – altbekannte und neue Ensemblemitglieder vereinigen sich an diesem Abend zu einem unschlagbaren Team.

Das Orchester unter Einspringer Dennis Russell Davies, der am Nachmittag nach seiner ersten Linzer „Walküre“ nach Wien kam, brauchte ein wenig, bis es Tritt fassen konnte. Davies setzt eher auf klare Organisation denn auf dramatisch-psychologisierende Gestaltung. Nicht immer reicht das auch für höchste Präzision, doch bleibt den Musikern Freiraum, um vor allem in den Zwischenspielen die konstruktive Moderne Bergs in jenem hoch romantischen Tonfall zu servieren, den der Komponist von seinen zahllosen Stehplatzbesuchen im Haus am Ring als idealen Orchesterklang im Ohr hatte. Diese Mixtur beherrscht man nur in Wien.

Atemlose Spannung zum Finale

Insgesamt brillieren die Instrumentalsolisten, denen Berg viele Momente liebevoller Gestaltungkunst schenkt. Spätestens in Maries Bibelszene, von fragilen, ungemein wohltönenden Streicher- und Bläsertönen zart gestützt, verdichtete sich die theatralische Atmosphäre extrem – nach dem sich im Nirwana verlierenden „Hopp, hopp“ des kleinen Ruben Kastelic herrschte im Saal zunächst atemlose Stille – dann Jubel.

Weitere Vorstellungen: 27. und 30. März.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.03.2014)

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