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Bühne und Konzert „Brokeback Mountain“

Jetzt singen sie auch noch, die schwulen Cowboys

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So innig ist es selten zwischen den beiden Cowboys, die so gerne harte Männer sein wollen und sich trotzdem lieben: Tom Randle als Jack Twist in den Armen von Daniel Okulitch, der die Rolle des Ennis del Mar spielt und singt. Szenenbild aus der „Brokeback Mountain“-Oper von Charles Wuorinen, die in Madrid uraufgeführt wurde So innig ist es selten zwischen den beiden Cowboys, die so gerne harte Männer sein wollen und sich trotzdem lieben: Tom Randle als Jack Twist in den Armen von Daniel Okulitch, der die Rolle des Ennis del Mar spielt und singt. Szenenbild aus der „Brokeback Mountain“-Oper von Charles Wuorinen, die in Madrid uraufgeführt wurde
So innig ist es selten zwischen den beiden Cowboys, die so gerne harte Männer sein wollen und sich trotzdem lieben: Tom Randle als Jack Twist in den Armen von Daniel Okulitch, der ...die Rolle des Ennis del Mar spielt und singt. Szenenbild aus der „Brokeback Mountain“-Oper von Charles Wuorinen, die in Madrid uraufgeführt wurde
Quelle: REUTERS
Es war eines der ganz großen Leinwandmelodramen. Jetzt gibt es „Brokeback Mountain“ auch als Oper. Am Teatro Real in Madrid. Doch dort dominiert mehr der Buchhaltercharme als das große Gefühl.

Oper und Liebe, das ist eigentlich eine untrennbare Beziehung. Besonders wenn diese Liebe unmöglich ist, unsagbar, über Standes- und Landesgrenzen hinwegreicht, wenn sie Konventionen und Verhältnisse negiert. Dann lodern die Emotionen wild, dann schlagen die Gefühle Flammen, dann eben beginnen die Menschen zu singen.

Die Oper hat Göttern und Monstern zu Tönen verholfen, Schurken und Heiligen, Kurtisanen und Kastraten. Sie ist durchaus auch eine Kunst von und für Schwule. Sich liebende Männer sah und hörte man bisher allerdings nur selten. Meist versteckte man Geschlechterambivalenzen in Hosenrollen und intrigenumständlichen Verkleidungen.

Benjamin Britten aber machte mit „Peter Grimes“ und „Billy Budd“ einen noch unausgesprochenen Anfang, wurde schließlich 1973 in seiner Thomas-Mann-Adaption „Tod in Venedig“ deutlicher. Doch glücklich sind diese schwulen Liebesgeschichten nicht, genauso wenig wie der im vergangenen Sommer beim Santa Fe Opera Festival uraufgeführte „Oscar“ von Theodore Morrison über den vom Countertenor (!) David Daniels verkörperten Oscar Wilde und seinen Lord Alfred „Bosie“ Douglas.

Lauter verpasste Gelegenheiten

Jetzt wurde auch eine der berühmtesten schwulen Liebesgeschichten unserer Zeit vertont: Annie Proulx’ 1997 erstmals im „New Yorker“ erschienene, 2005 von Ang Lee verfilmter Short Story „Brokeback Mountain“. Und am Ende der am Madrider Teatro Real uraufgeführten Oper von Charles Wuorinen, zu der Proulx selbst das Libretto kondensiert hat, steht wieder ein verzweifelter Mann, der Cowboy Ennis, allein da auf einer schwarzen, leeren Szene und singt sich sein Unglück von der Seele: weil Jack gestorben ist, ebenfalls Cowboy und seine große Liebe.

Ennis presst sein eigenes Hemd, das er in einem Hemd von Jack versteckt in dessen Kleiderschrank gefunden und das ihm dessen Mutter überlassen hat, an sich und sieht dann zu, wie es, an einem unsichtbaren Kleiderhaken hängend, gen Bühnenhimmel schwebt – so wie viel früher die Hochzeitsroben seiner längst geschiedenen Frau.

Jetzt endlich schwingt sich Daniel Okulitchs wohltönend weicher, doch markanter Bariton auf, er singt sogar in Melismen, während hinten schemenhaft eine Bergsilhouette zu erkennen ist. Er singt davon, dass er kein Bild und keinen Brief von Jack hat, dass es sein Fehler war, zu spät zu lieben, dass er den Preis für sein Schweigen, sein nicht Annehmenwollen dieser Liebe gezahlt hat. Und er schwört, dass es für ihn keine andere Liebe mehr geben wird. Das Orchester, von dunklen Schattierungen umflossen, die die ungebändigte, ewige und unerschütterliche Natur Wyomings symbolisieren, bündelt sich zu einem letzten bläsersatten Akkord und bricht ab.

Beim Schafehüten begann es

In dieser Finalszene, wie auch im anfänglichen vorsichtigen Herantasten der beiden jungen Männer, die sich zwanzig Jahre früher in einem rauen Sommer beim Schafehüten getroffen, miteinander geschlafen und sich schließlich geliebt haben. Dabei ging die Initiative immer von Jack aus. Ennis folgte willig, wollte aber nicht darüber reden, weil ein schwuler Cowboy nicht in sein von der homophoben Umwelt geprägtes Männerbild passte. In der Finalszene also ist diese Oper groß und berührend. Weil sie Sentiment und Kitsch vermeidet, aus einer akademisch zeitgenössischen Klangkühle heraus einen eigenwilligen Tonfall findet.

Da grummelt und tost, atmet und seufzt die eigens im US-Bundesstaat abgefilmte Bergwelt im tiefsten Fagott und in den Bässen, als sei Wagners Fafner als amerikanischer Einwanderer wieder aufgewacht. Gleichzeitig entwickelt sich eine behende, helle Parlandogeläufigkeit, vom Klavier, dem Vibraphon und kurzen Bläsereinwürfen vorangetrieben, von Titus Engel mit seinem Orchester filigran ausgebreitet, obwohl eigentlich nur wenig geredet wird.

Aguirre (Ethan Herschenfeld), der Herr der Herde, sieht mit seinem schwarzen Stetson, Ledermantel und Boots wie ein schwules Cowboyklischee aus und gibt schnarrend die Regeln vor: „Kill everything that kills a sheep./ No whiskey./ No women./ No fights.“ Und Ennis und Jack (der tenorlautere, klarstimmige Tom Randle) reden nur über das Wetter, ihre Bräute, das Essen, die Kälte und die Coyoten, bevor sie als diskrete Schatten im Zelt voll unterdrückter Leidenschaft übereinander herfallen.

Die Schleusen öffnen sich nicht

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Doch wo 2005 in dem schlagzeilenträchtigen Hollywood-Film eine riesige Öffentlichkeit diese oscargekrönte Männerliebe im unerwarteten Milieu bestaunte, sich anrühren ließ von deren Verdruckstheit und unerwartet ausbrechenden Gefühlen, da bleibt ausgerechnet neun Jahre später, mitten in einer Diskussion um Homophobie in Russland, Partnerschaftsgesetze und Fußballer-Outings die Opernfassung, die erst recht die emotionalen Schleusen öffnen könnte, seltsam verhalten. Der pflichtschuldige Applaus offenbarte: im liberalen Madrid vermochte „Brokeback Mountain“ als Musiktheater kein Herz zu rühren, kein Auge feucht werden zu lassen.

Was am trotz stellenweise nüchtern poetischer Flüssigkeit immer noch zu ausführlichen Text, besonders aber am arg akademischen, ja buchhalterisch korrekten, auf Dauer ziemlich einschläfernden Tonfall von Charles Wuorinen liegt. Der 76-jährige US-Komponist mit finnischen Wurzeln, schon früh mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet und in Amerika einer der repräsentativen, mit über 200 Werken auch fleißigen Tonsetzer, ist im europäischen Musikbetrieb immer ein Außenseiter geblieben.

Seine Cowboys jenseits der Norm lässt er allzu nüchtern und umständlich in zwei pausenlos zweistündigen Akten zu je elf Szenen ihre Liebe erleben und kaum ausleben. Das undramatisch raffende Hin und Her der beiden zwischen ihren misstrauischen Gattinnen (wie das sehr gute Restensemble mit wenig Profilierungschancen: Heather Buck als biedere Hausfrau Alma und Hannah Esther Minutillo als taffe Texas-Chick Lureen) und dem Liebesrauschen in der Natur oder nur im Motelzimmer wirkt so umständlich wie eintönig. Da wächst nichts, keine Liebe und keine Vertrautheit, aber auch kein Unbehagen an diesen verlogenen Verhältnissen. Was ein relevantes Musiktheaterthema hätte werden können, bleibt eine Pflichtübung.

Wir warten weiter

Der Regisseur Ivo van Hove hält sich ebenfalls zurück, beschränkt sich in einer weißen Kiste auf verfremdete Naturvideos und zeigt die beiden Männer, die Wände sind inzwischen schwarz geworden, zwischen den verschiedenen, simultan aufgestellten Wohnungssets wechselnd wie in einer Möbelabteilung im Kaufhaus.

Der schwerkranke Teatro-Real-Intendant Gerard Mortier, der „Brokeback Mountain“, wie auch schon die im vergangenen Jahr in Madrid uraufgeführte Disney-Oper „The perfect American“ von Philip Glass eigentlich für seine dann nie angetretene Intendanz an der New York City Opera bestellt hatte, sprach kurz vorher noch davon, es gehe ihm in seiner gegenwärtigen Situation vor allem um die Relevanz der Kunst. Auf diese, in Gestalt der ganz großen, himmelhoch jauchzenden, zu Tode betrübten schwulen Liebesromanze, müssen er und die Operngemeinde also weiterhin warten.

Termine: 1., 3., 5., 7., 9., 11. Februar

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