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Oper "Brokeback Mountain"
Von der Liebe der Cowboys

Die Verfilmung der Kurzgeschichte "Brokeback Mountain" war bereits ein Oscar-prämierter Kassenschlager. Nun hat das Liebesdrama um zwei schwule Cowboys den Weg auf die Opernbühne gefunden. Komponist Charles Wuorinen und Regisseur Ivo von Howe begeistern in Madrid mit einer konsequenten Inszenierung.

Von Paul Ingendaay | 29.01.2014
    Großes Kino: Tenor Tom Randle (v.) und  Bassbariton Daniel Okulitch in der Opernfassung von "Brokeback Mountain"
    Großes Kino: Tenor Tom Randle (v.) und Bassbariton Daniel Okulitch in der Opernfassung von "Brokeback Mountain" (EPA/KIKO HUESCA)
    Wie ein Messer, das aus der Erde ragt, schroff, kalt, eine Landschaft, um darin unterzugehen und von wilden Tieren gefressen zu werden: Das ist Brokeback Mountain in der gleichnamigen Oper des zeitgenössischen amerikanischen Komponisten Charles Wuorinen, die jetzt in Madrid uraufgeführt wurde. Wer mit Erinnerungen an das schwule Cowboy-Drama von Ang Lee mit Heath Ledger und Jake Gyllenhaal die Madrider Oper betritt, wird sich die Augen reiben: Halbdunkel auf der Bühne. Über die ganze Rückwand ziehen Videobilder aus Wyoming. Tuba, Posaune und Paukenwirbel malen dazu eine feindliche Bergwelt, in der es auch deswegen zum Sex kommt, weil die Schafhüter sich irgendwie wärmen müssen.
    Der schweigsame Blonde und der quirlige Dunkle sind Männer, die um ihr wirtschaftliches Überleben kämpfen. Eher zufällig entdecken sie, dass sie anders sind, als sie dachten. Doch Ennis del Mar, der Konservative von beiden, traut sich nicht, danach zu leben. Daniel Okulitch, ein junger Bariton aus Kanada, singt und spielt die wichtigste Rolle des Dramas mit bewegender Innigkeit. Er ist der große Junge, der sein Leben verpasst. "Wer bin ich jetzt?", fragt er sich nach der ersten Liebesnacht im Zelt, und Jack Twist, gesungen von Tom Randle, versucht ihm zu antworten. Aber vergeblich.
    Bel-Canto-Opern haben mit schlechten oder sentimentalen Texten kein Problem, denn die ergreifende Arie macht vergessen, was da überhaupt gesungen wird. Hauptsache, etwas zum Mitsummen. Unzerstörbare Klassiker des Repertoires wie Lucia di Lammermoor oder La sonnambula saugen das Klischee geradezu auf.
    Bei "Brokeback Mountain", der dritten Oper des 1938 geborenen Wuorinen, ist es umgekehrt. Schon die Erzählung von Annie Proulx war ein kleines Meisterwerk, und das Libretto, das die Autorin im letzten Jahr erstellte, ist es auch. Annie Proulx bewahrt die asketische Poesie der Vorlage – in Wyoming seien die Sätze kurz, sagt sie, schafft aber neuen Raum für Gefühle, die fast widerwillig zu Worten werden. Die klare Regie von Ivo van Hove und das Bühnenbild verstärken den intimen Charakter dieser Tragödie. Wie Puppenhäuser stehen sie nebeneinander, die sorgfältig gebauten Familienwelten der beiden homosexuellen Männer, die über zwanzig Jahre hinweg aufeinander warten und für deren Leidenschaft der Berg als Kulisse dient. Dort oben wartet die große Freiheit. Aber sie ist zugleich eine Karikatur des Paradieses. Der Berg wird zum majestätischen Bild für den lebenslangen Aufschub, weil es zum Tabubruch nicht reicht. Während alles andere ineinandergreift, das konzentrierte Dirigat von Titus Engel, die durchgehend stark besetzten Gesangsrollen, bleibt die komplexe Musik von Charles Wuorinen dem Drama manchmal fern.
    Selbst in der Zwölftonmusik, die der renommierte Komponist seit einem halben Jahrhundert verteidigt, auch im Atonalen äußern sich Stille und Verletzlichkeit. Doch eine Musiksprache für das breitere Publikum kann Wuorinens abstrakt wirkende Vertonung nicht werden. Dass in Madrid nicht mit Country-and-Western kokettiert wird, außer durch Cowboyhüte und echtes Lagerfeuer, wird der Oper niemand vorwerfen. Doch vor allem das glasklare Libretto und die konsequente Inszenierung machen die Bühnenfassung von "Brokeback Mountain" zum Ereignis, zu einer modernen Tragödie ohne Zugeständnisse an politische Korrektheit.
    Die Liebenden finden nicht zueinander. Einer stirbt, und dem anderen bleiben als Erinnerung nur zwei blutverschmierte Hemden, die seit zwanzig Jahren auf dem Bügel hängen. Das Madrider Opernpublikum mochte sich darüber nicht erregen, sondern spendete Beifall. Ein Erfolg der zu Ende gegangenen Ära von Gerard Mortier, den man in Madrid noch einmal vermissen wird.