Holzhammer-Psychologie und Lyrismen

Lange nicht gespielt, erscheint jetzt Dvořáks «Rusalka» wieder in der Wiener Staatsoper. Die szenisch stark unterstreichende Produktion lebt von der Leistung der Protagonistin Krassimira Stoyanova.

Daniel Ender
Drucken
Ein verlorener Herrscher: der Wassermann (Günther Groissböck) in der Wiener «Rusalka». (Bild: Michael Poehn)

Ein verlorener Herrscher: der Wassermann (Günther Groissböck) in der Wiener «Rusalka». (Bild: Michael Poehn)

Naiv ist diese Sicht auf das Märchen zunächst einmal nicht. Die Welt der Wassernixen in Antonín Dvořáks «Rusalka» zeigt in der Wiener Staatsoper kein Meeresidyll. Kahl starrt der Raum, den der Bühnenbildner Rolf Glittenberg ersonnen hat, Baumreste und erfrorene Vögel liegen steif im Schnee. Die drei Elfen sind androgyne Geschöpfe; surrealistisch erscheinen sie zuerst als Männer mit Hüten und entpuppen sich erst langsam mit ihren amazonenhaften Gewändern und endlosen blonden Haaren, die auch den Wassermann (Günther Groissböck) schmücken. Er ist ein verlorener Herrscher im erkalteten Reich, klammert sich an eine mächtige Wurzel in der Mitte – ebenso wie Rusalka (Krassimira Stoyanova), die mit ihrem schwarzen Haar anders ist als ihre Schwestern. Dafür gleicht sie der Hexe Ježibaba (Janina Baechle), die von Marianne Glittenberg in ein rabenfarbenes Federkleid gepackt wurde und einer der Vogelleichen das Herz aus dem Leib schneidet, um ihren Zaubertrank zu brauen. Damit soll die Nixe in das Gebiet der Menschen eintreten, die hinter beschlagenem Glas als vermeintlich bessere Welt durchscheint.

Repertoiretauglich

Dass dies nur Trug sein kann, macht die Inszenierung von Sven-Eric Bechtolf von Anfang an klar. Illusioniert wird das Publikum hier keineswegs, dafür mit einer Reihe symbolistisch angehauchter Setzungen konfrontiert. Dort, wo im ersten Akt die toten Vögel liegen, verteilt Ježibaba im dritten Akt jene Messer, mit denen Rusalka ihren Prinzen (Michael Schade) töten soll, um in ihr Reich zurückkehren zu können. Sie bindet ihn schliesslich mit schwarzem Tuch an einen der Bäume, stillt damit seine Liebes- und Todessucht und zeigt ihre eigene Verwandlung, indem sie nun erblondet ist. Als Bauernopfer wird dem Küchenjungen (Stephanie Houtzeel) von der Hexe die Kehle durchgeschnitten, die sein Blut mit den Elfen genüsslich verspeist. Beinahe jeder der Regieeinfälle verweist auf den Text, auch die musikalischen Beziehungen – etwa Erinnerungsmotive für abwesende Figuren – werden optisch fortwährend gespiegelt. Der inszenatorische Holzhammer fördert sie hartnäckig zutage, doch bleibt die solcherart entstandene «Psychologie» der Gestalten merkwürdig zahnlos. Das gilt erst recht für den zweiten Akt, in dem sich Bechtolf für die volkstümliche Szene mit dem Heger (Gabriel Bermúdez) und dem Küchenjungen in groteske Überzeichnung flüchtet und dies durch die folgende Ballettszene – eine Studie über die Lächerlichkeit des Liebesakts – noch steigert.

Die Reaktionen auf die Neuproduktion des Stücks, das über zwanzig Jahre lang nicht mehr an der Staatsoper gezeigt worden war, gingen zwar mit der Regie teilweise hart ins Gericht. Sie liessen jedoch auch erkennen, dass kein Zweifel daran besteht, dass die Arbeit für das Repertoire «funktioniert» – was allerdings bei Bechtolf, der hier inzwischen fast routinemässig inszeniert, auch nicht weiter verwundert. Ebenso deutlich war die grosse Zustimmung für die musikalische Seite – nicht ganz zu Unrecht, auch wenn von einem Meilenstein in der Interpretationsgeschichte kaum die Rede sein konnte. Denn die Sängerinnen und Sänger erfüllten allesamt die Anforderungen ihrer Partien. Selbst wenn Monika Bohinec (als fremde Fürstin) gefährdet klang und Michael Schade als ihr angetrauter Prinz die heldischen Passagen in kluger Zurücknahme bewältigte – die lyrischen Linien sang er in alter Kultiviertheit –, fügte sich dies durchaus in die schemenhaften Rollenbilder.

Primat des Schönklangs

Konkurrenzlos blieb aber Krassimira Stoyanova als betörende Titelfigur: Sie sang souverän und gerundet, mit stets ausgeglichenem Timbre, vollendeten Phrasen, allerdings auch stets unter dem Primat des Schönklangs, der die Leiden der Gestalt nur bedingt vermittelte. Unter dieselbe Prämisse stellte auch der Dvořák-Spezialist Jiří Bĕlohlávek sein Dirigieren unter leuchtender Anteilnahme des Staatsopernorchesters: ein glanzvolles Unterfangen, doch frei von Sprödheit oder Wucht, frei auch von durchschlagener Kraft, stattdessen mit einem naiven Tonfall, der die Tragik des Stoffs – auf die es doch vor allem ankäme – ausblendete.