Puccinis "Turandot": Das Publikum tobte

(c) Oper Graz (Werner Kmetitsch)
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Oper Graz. Marco Arturo Marelli inszenierte "Turandot" packend, aufrüttelnd und auf allerhöchstem Niveau.

Nessun dorma?“ Keiner schlafe! Der energische Befehl der grausamen chinesischen Protagonistin erlangte am Samstag in Graz unerwartete Aktualität, denn nach der „Turandot“-Premiere war sowohl für Ausführende als auch für das Publikum an Schlaf nicht zu denken. Selten war dort eine so packende, musikalisch wie szenisch kongruente und in allen Phasen aufrüttelnde Aufführung auf allerhöchstem Niveau zu erleben gewesen.

Marco Arturo Marelli, bereits im Herbst an der Staatsoper mit Puccinis „Fanciulla“ erfolgreich, stellte einmal mehr unter Beweis, dass sich eine zeitnahe szenische Deutung und ästhetische Sensibilität nicht widersprechen. Puccinis Privatleben, archaische Opferrituale, raffinierte Chinoiserie, die Darstellung der Dekadenz der aktuellen Event-Society, der archetypisch tragische „Todeskampf zwischen den Geschlechtern“, stilisierte Commedia-dell'Arte-Kömödiantik und magisch-hexenhafter Exotismus – all dies wird vor einem in kühles Blau ausgeleuchteten Bühnenbild zu einer stringenten Erzählung verwoben.

Der Höhepunkt: Der Mondchor

Höhepunkt des Abends war der Mondchor: In verführerische, moderne Kostüme gekleidet rief der musikalisch wie darstellerisch phänomenale Chor in einem singulären Zusammenfall von blutrünstiger Perversion und musikalisch schwelgerischer Exuberanz jenen Vollmond herbei, dessen gleißendes Aufgehen die sofortige Enthauptung des persischen Prinzen bedeutet. Keine abstrakten Konzepte, keine Belehrungen oder verkniffenen „Lesarten“, sondern eine Erzählung, die auf Schönheit aus ist und dem Publikum dennoch Zwischenräume zu eigener Deutung anbietet, aber niemals aufdrängt.

Die Entdeckung: Tenor James Lee

Domingo Hindoyan ließ das bestens disponierte Grazer Philharmonische Orchester gelöst aufspielen, scheute keine dynamischen Extreme und fand weite Bögen für das Aufblühen des lyrisch-narkotischen Melos von Puccinis letzter, unvollendeter Partitur. Mlada Khudoley als Turandot war eine junonische Bühnenerscheinung, die den Wandel von zeremoniell-kalkiger Starre hin zur liebenden Frau überzeugend verdeutlicht. Bei „In questa reggia“ noch erfolgreich um kultivierte Piano-Nuancen bemüht, stellte die Rollendebütantin bei „Mai nessun m'avrà“ die durchschlagende Leuchtkraft ihrer Sopranstimme mühelos unter Beweis.

Als eine veritable Entdeckung erwies sich der junge südkoreanische Tenor James Lee als Calaf: Lyrischer Schmelz und eine hell strahlende, souveräne Höhenlage brachten am Schluss von „Nessun dorma“ das Grazer Publikum zu Recht zum corridaartigen Toben. Gal James als Sklavin Liù musste sich im ersten Akt zwar noch freisingen, fand aber in ihrer Lebensabschiedsarie zu ihrer gewohnten, beseelten Stimmwärme zurück. Ein Kabinettstück die schauspielerische und vokale Performance des Maskentrios Ping, Pang und Pong – was hier an Witz, feinsinniger Spielfreude und überlegener Selbstironie zum Ausdruck kam, war der ideale Kontrapunkt zur tragischen Haupthandlung in dieser exemplarisch geglückten Produktion.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.01.2014)

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