Starke Interpretin: Mlada Khudoley als Turandot.

Foto: Werner Kmetitsch

Graz - Begeistert reagierte das Publikum Samstagabend in der Grazer Oper auf die Premiere von Turandot und akklamierte neben der verlässlichen Ensembleleistung die dynamische Stabführung von Domingo Hindoyan, der nicht der Versuchung erlag, das fernöstliche musikalische Kolorit zu Kitsch erstarren zu lassen. Marco Arturo Marellis Theaterpranke servierte einen opulenten Augenschmaus, ein fesselndes Spektakel mit Akrobaten, Ballett, beeindruckender Lichtregie und hinreißenden Kostümen seiner Frau Dagmar Niefind-Marelli.

Freilich sind Marelli, der die Inszenierung 2013 für die Oper Stockholm schuf, auch die Widersprüche des Werks bewusst; er teilt sie, ganz konkret, auf verschiedene ineinandergreifende Interpretationsebenen auf. Die sensationslüsterne Menge, schwankend in ihren Sympathien, findet sich auf der farbigen Ebene des Theaters, der Show, der ironischen Commedia dell'Arte. Eine riesige Tür mit chinesischer Dekoration führt zu Turandot und damit in die vorliterarische, die zeitlose Welt des Märchens. Und schließlich gibt es von Anfang an die Metaebene von Puccinis Arbeitszimmer, ein Traumraum mit Klavier und der Spieluhr, durch die er sich zu "chinesischer" Melodik inspirieren ließ.

Marelli thematisiert Puccinis Schaffensprozess, indem er die Figur des Kalaf in zwei Personen spaltet, in den ungestümen Tatarenprinzen und in den Komponisten selbst. Der koreanische Tenor James Lee meistert die Partie mit heldischem Timbre. Als starke Interpretin der Titelfigur steht ihm Mlada Khudoley gegenüber, die sich um eine differenzierte Ausformung des Wegs, den Turandot innerlich zurücklegt, bemüht. Dass dieser eine kulturgeschichtliche Entwicklung beleuchtet, war das Dilemma, das Puccini wohl erkannte, an dessen Auflösung er aber scheiterte.

Er kontrastierte die Prinzessin aus Eis mit der gefühlvollen Liù, die Gal James mit makellos blühender Stimme ausstattete, doch das von einiger Gewalt begleitete Kräftemessen zwischen Turandot und Kalaf kann eben nicht ohne weiteres in ein Happy End münden. Marelli lässt das Stück mit einer Andeutung enden - die sich aber dem bombastischen Alfano-Finale widersetzt: Am Schluss sitzen eine Frau und ein Mann, in der Gegenwart angelangt, einander am Küchentisch gegenüber. (Beate Frakele, DER STANDARD, 21.1.2014)