Wien wagt den heiklen Mozart-Dreisprung

((c) Staatsoper Wien (Michael Poehn)
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Alle drei Da-Ponte-Opern in rascher Folge – das hat es seit sehr langer Zeit nicht mehr gegeben. Das Wagnis wurde zur Demonstration der neu erstarkten Ensemblekräfte und Anlass für eine Art unzeitgemäßer Opernbetrachtung.

Man ist ja heute schon froh, sagt mein Sitznachbar, wenn das Bühnenbild jenen Schauplatz zeigt, an dem die Oper laut Libretto spielen soll. Roberto de Simones Inszenierung von „Così fan tutte“, gut zwanzig Jahre alt, bietet tatsächlich nach wie vor den hübschen Rahmen, in dem begabte Singschauspieler die Tragikomödie anrührend gestalten können.

Auch wenn anlässlich der direkten Konfrontation aller drei Da-Ponte-Opern, die sich die Staatsoper vorgenommen hat, dem aufmerksamen Betrachter nicht entgeht, wie viel feinsinniger die Intrigen in Jean-Louis Martinotys „Figaro“- und „Don Giovanni“- Inszenierungen gesponnen sind. Derlei Hintergründigkeiten gehen in Wien nicht gut – man bevorzugt ganz offenkundig auch aufseiten der Rezensenten simplere Arrangements, wie sie de Bosio einst für Riccardo Muti im Theater an der Wien entworfen hat: Im entscheidenden Moment der bei Mozart so raffiniert geknüpften musikalischen Verstrickungen stehen die Sänger dann doch mit Blick auf den Maestro an der Rampe.

Doch funktionieren immerhin szenische wie musikalische Vexierspiele auf der Staatsopern-Bühne derzeit reibungslos. Die Abendspielleiter haben die drei Opern offenkundig souverän im Griff. Souveräner als die drei Maestri, die aufgeboten werden.

Ungleiche Ritter des Taktstocks

Hier erlebt man in Abstufungen höchst unterschiedliche Koordinierungsgrade zwischen Szene und Orchester: Im von Jérémie Rhorer geleiteten „Figaro“ wackelte es immer wieder, auch bei Patrick Lange, wenn auch deutlich bestimmter in seinen Gesten, saß in „Così fan tutte“ nicht alles am Platz. Vor allem an kapellmeisterlicher Sicherheit in Sachen Sängerbegleitung haperte es hie und da: Benjamin Bruns sang „Aura amorosa“ in schmeichelweichen Phrasen, subtil differenziert – und die Musiker wussten offenbar nicht recht, ob sie dem Tenor oder doch lieber dem Dirigenten folgen sollten.

Hier wird die Frage nach der viel zitierten Wiener Mozart-Tradition virulent. Die war über lange Zeit unterbrochen, weil nach Karl Böhms Hinscheiden ein Vakuum eintrat, das niemand zu füllen imstande war. Mehr noch, in der diesbezüglich desaströsen Ära von Claus Helmut Drese und Claudio Abbado beschränkte man die Mozart-Dirigate auf den in diesem Fall nicht eben prägenden Generalmusikdirektor einerseits – und auf Nikolaus Harnoncourt andererseits.

Der hatte glückhaft schöne Momente, wenn er sich um den wienerischen Tonfall im Neujahrskonzert, bei Schubert oder sogar bei Alban Berg kümmerte, erteilte aber bei Mozart der gewohnten Harmonie eine totale Absage. Widersprochen hat später nur Riccardo Muti, doch der war selten greifbar. Mit dem Erfolg, dass viele der jüngeren und jüngsten Musiker mittlerweile den Anschluss an jenes „Gewusst wie“ verloren haben, das hiesige Mozart-Aufführungen früher grundsätzlich auszeichnete. Dieses wiederzugewinnen wäre eine dringliche Aufgabe. Franz Welser-Möst, der feder- bzw. dirigentenstabführend sein könnte, hat sich aus welchen Gründen auch immer davon absentiert.

Dennoch verläuft die singuläre Leistungsschau der Staatsoper höchst erfreulich. Die Philharmoniker tun, was sie können – mit Alain Altinoglu finden sie im Verlauf des „Don Giovanni“ sogar zu höchst intensiven Verdichtungen der Atmosphäre und gestalten eine atemberaubende Höllenfahrt.

Dergleichen gelingt, weil die Darsteller in den meisten Fällen Spitzenleistungen vollbringen und, noch erfreulicher, zu einem erheblichen Teil aus dem Ensemble kommen. Womit ein erster, wichtiger Schritt in die richtige Richtung getan wäre. Ich glaube nicht, dass es ein zweites Haus in der Welt gibt, das imstande ist, mit Kräften, die fix oder mit Residenzverträgen dem Haus attachiert sind, die zentralen Partien dieser drei Prüfsteine des Repertoires zu besetzen.

Illustre Besetzungen aus dem Ensemble

Von Adam Plachetkas mustergültigem Don Juan und der rundum grandiosen „Figaro“-Besetzung war schon die Rede. In „Così fan tutte“ glänzten neben Bruns vor allem die mit satt schönem Mezzo begabte, wendige und wie alle Beteiligten spielfreudige Margarita Gritskova als Dorabella und die quirlige Sylvia Schwartz mit silberhellem Sopran als Despina neben Pietro Spagnolis sonorem Don Alfonso.

Ganz besonders nahm der Guglielmo des jungen Italieners Alessio Arduini für sich ein, der seinem eleganten Bassbariton auch alle nötigen zynischen, bissigen Nebentöne in staunenswerter Eloquenz abgewann.

Sodann ereignete sich der bedauernswerte Fall, dass Barbara Frittoli, die als Solistin der ersten Stunde unserer „Così“-Produktion wie ein Fels in der Brandung der Jungen hätte stehen sollen, just während der „Felsenarie“ von einer Indisposition befallen wurde. Zur Pause erschien Direktor Dominique Meyer und verkündete, sein Ensemble sei gottlob so gut bestückt, dass auch eine erstklassige Ersatz-Fiordiligi bereitstehe.

Tatsächlich sprang Caroline Wenborne ein und sang das höllisch schwere E-Dur-Rondo sicher und klug phrasierend. Auch das ein Beweis dafür, dass man im Haus am Ring mit dem Aufbau eines neuen, schlagkräftigen Ensembles schon ziemlich weit ist.

Was nun noch fehlte? Eine Integrationsfigur wie einst in Zeiten des legendären Wiener Ensembles, die für die künstlerische Koordination sorgte – kein Böhm, kein Muti, sondern einer, der da ist und sich am Dirigentenpult wie am Korrepetitorenklavier wohlfühlt. Erinnern wir uns an Josef Krips?

DIE DA-PONTE-OPERN IM JÄNNER

Die Staatsoper zeigt dieser Tage alle drei Mozart-Opern nach Texten von Lorenzo da Ponte: „Le Nozze di Figaro“ steht noch heute, Mittwoch, auf dem Programm (Dirigent: Jérémie Rhorer); „Don Giovanni“ folgt am 18. und 21. Jänner unter Alain Altinoglu; „Così fan tutte“ ist am 16. und 20. Jänner zu sehen (Dirigent: Patrick Lange).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.01.2014)

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