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Von der Hure
zur Heiligen
Während Jules Massenets Thaïs in Frankreich heute durchaus noch
zum Standardrepertoire der Bühnen gehört, kennt man hierzulande eigentlich nur
noch die berühmte "Méditation" aus dem zweiten Akt. Zu groß scheint die Furcht
der Regisseure zu sein, bei einer Inszenierung in ein verkitschtes Rührstück
über ein Frauenschicksal abzudriften, zumal Massenet und sein Librettist den
humoristischen und teils kirchenkritischen Ton der Romanvorlage von Anatol
France trivialisiert haben und somit das Verhalten der beiden Hauptfiguren
schwer nachvollziehbar erscheinen lassen. Dennoch wagt sich das Theater Lübeck
an eine szenische Umsetzung des Stückes und stellt unter Beweis, dass Massenets
Meisterwerk durchaus seine Meriten fernab der "Méditation" hat.
Athanaël (Gerard Quinn) hat eine Vision von Thaïs (Michaela Meyer) und ihrem Leben in Sünde.
Erzählt wird die Geschichte des Zönobiten-Abtes Athanaël und der Kurtisane Thaïs.
Bevor Athanaël Mönch wurde, wäre er beinahe den Reizen dieser jungen Frau erlegen.
Auch jetzt muss er noch an sie denken und beschließt, sie aus ihrem frevelhaften
Leben zu befreien und in Gottes Arme zu führen. Folglich kehrt er nach
Alexandria zurück und findet sie bei seinem Jugendfreund Nicias. Thaïs ist hin- und hergerissen
zwischen der Leere und Sinnlosigkeit ihres Lebens im Luxus und der himmlischen
Liebe des ewigen Lebens, die Athanaël ihr verspricht. Nach langem inneren
Kampf beschließt sie, Alexandria zu verlassen und sich von Athanaël in ein Kloster in der Wüste bringen zu lassen.
Während Thaïs dort den Wandel zur Heiligen vollzieht, erkennt Athanaël, dass es immer noch die fleischliche Lust
ist, die ihn zu dieser Frau hinzieht, und während Thaïs in eine andere Welt entrückt
wird, schwört er seinem Glauben ab.
Athanaël (Gerard Quinn) versucht, Thaïs (Lea-ann Dunbar) zum Glauben zu bekehren.
Roy Spahn hat ein recht nüchternes Bühnenbild entworfen, das aus zwei leicht
gebogenen hohen Bühnenelementen aus hellen Holzgittern besteht, die gedreht
werden können und somit schnelle Szenenwechsel ermöglichen. Ein kreisrundes
Podest, das den Mönchen als Tisch und Thaïs als Bett dient, macht den
Konflikt zwischen himmlischer Liebe auf der einen und fleischlicher Lust auf der
anderen Seite deutlich. Ansonsten wird größtenteils mit Videoprojektionen
gearbeitet. So werden im ersten Akt im Kloster große Kirchenfenster an die
Rückwand projiziert, die mit ihrer Unterteilung die Gitterstruktur der
Bühnenelemente übernehmen. Wenn Athanaël seine Visionen von Thaïs'
lasterhaftem Leben in Alexandria hat, verschwimmen die Fenster zu einen
blutroten Hintergrund, der die sinnlichen Ausschweifungen regelrecht plastisch
macht. Im Haus der Thaïs wird eine große Blüte an die Rückwand projiziert.
Mit ihrer Wandlung zur Heiligen wird diese zu einer weißen Lilie. Für das
ausschweifende Alexandria wird ein kahler, greller Hintergrund gewählt, der die
Leere und Kälte in dieser von purer Sinneslust geprägten Gesellschaft
symbolisiert. Für das Wüstenbild verdeckt ein schwarzer Prospekt einen Großteil
des Bühnenhintergrundes und lässt nur einen schmalen Strich gelb leuchten, den
man als Sand interpretieren kann, durch den sich Thaïs und Athanaël ihren beschwerlichen Weg
zum Kloster kämpfen, wobei dieser Weg hierbei immer um das kreisrunde Podest
herumführt.
Athanaël (Gerard Quinn, rechts) lehnt die
Sitten in Alexandria und den Lebenswandel seines Jugendfreundes Nicias (Garðar Thór Cortes, links mit Myrtale (Wioletta Hebrowska, links)
und Crobyle (Anne Ellersiek, rechts)) ab.
Für die diversen Visionen im Stück hat Regisseur Marc Adam die Figur der Thaïs gedoppelt
und mit der Balletttänzerin Michaela Meyer besetzt, die in lasziven Bewegungen
Athanaëls heimliches Verlangen ausdrückt und bis zu ihrem Tod die Kurtisane
bleibt, während Lea-ann Dunbar, die Sängerin der Titelpartie, längst schon in
einem langen weißen Gewand zur Heiligen geworden ist und nur ihre feuerroten
Haare noch eine Reminiszenz an vergangene Tage sind. Bewegend inszeniert ist die
berühmte "Méditation", die leitmotivisch Thaïs' Wandel von der Huren zur Heiligen beschreibt.
Hinter einem Prospekt, auf den zunächst eine weiße Lilienblüte projiziert wird,
sieht man Dunbar träumend auf dem Boden liegen. Meyer befindet sich dabei auf
dem kreisrunden Podest und lässt Erinnerungen an ihre Kindheit wach werden,
indem sie Püppchen aus ihrer Schmuckschatulle holt und mit ihnen spielt. Dann
sieht man auf dem Prospekt einen Strand und das Meer. Plötzlich bewegen sich die
Bilder. Ein rothaariges Mädchen in einem weißen Gewand geht langsam ins Wasser,
reinigt sich gewissermaßen von ihrer Vergangenheit. Nach der Pause sieht man das
Mädchen langsam wieder dem Wasser entsteigen. Dann wird der Prospekt gehoben und
aus dem Mädchen auf dem Prospekt wird Thaïs, die nun in langem weißem Gewand
auf dem kreisrunden Podest steht und bereit ist, Athanaël zu folgen und ihr altes Leben abzustreifen.
Athanaël (Gerard Quinn) bringt Thaïs (Lea-ann Dunbar, rechts)
zu Albine (Wioletta Hebrowska, links) und den Nonnen (Chor und
Extrachor im Hintergrund) im Kloster in der Wüste.
Neben diesen bewegenden Bildern kann auch die musikalische Umsetzung überzeugen.
Der von Joseph Feigl einstudierte Chor präsentiert sich stimmlich homogen und
verkörpert sowohl die Mönche und Nonnen, als auch das der Sinneslust frönende
Volk Alexandrias absolut glaubhaft. In den kleineren Partien lassen vor allem
Steinunn Soffia Skjenstad und Gianluca Buratto aufhorchen. Skjenstad stattet La
Charmeuse mit leicht geführten Koloraturen aus und begeistert als
männermordender Vamp. Buratto lässt als Palémon einen samtigen dunklen Bass
verströmen, der enorme Durchschlagskraft besitzt. Garðar Thór Cortes überzeugt
als Nicias in der Mittellage mit einem klangschönen Tenor. In den Höhen hat er
jedoch bisweilen leichte Probleme und kommt nicht gegen das fulminant
aufspielende Orchester an. Gerard Quinn begeistert als Athanaël mit großem
Bariton und bewegendem Spiel, dem man die innere Zerrissenheit zwischen Glauben
und Sinneslust in jedem Moment abnimmt. Star des Abends ist Lea-ann Dunbar, die
die Titelpartie mit wunderbar lyrischen Bögen ausstattet und es auch in den
Tutti-Passagen problemlos mit dem Orchester aufnehmen kann. Daniel Inbal lotet
mit dem Philharmonischen Orchester der Hansestadt Lübeck die vielschichtige
Partitur zwischen orientalischen und liturgischen Anklängen differenziert aus
und lässt es sich beim frenetischen Schlussapplaus nicht nehmen, auch die
Soloviolinistin, die eine bewegende Interpretation der "Méditation" bietet, mit
auf die Bühne zu holen.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung Inszenierung
Bühne
Kostüme Choreographie Licht Video Chor Dramaturgie
Chor und Extrachor des Statisterie Philharmonisches Orchester Solisten*rezensierte Aufführung Athanaël
Nicias Palémon Diener des Nicias Thaïs Crobyle Myrtale La Charmeuse Albine Vision der Thaïs
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- Fine -