Die Beliebigkeit von Treue, wenn die Leidenschaft ausbricht - in "La Dispute" optisch recht skurril ausgelegt.

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An der La-Monnaie-Oper in Brüssel steht die Übernahme von Michael Hanekes jüngster Così fan tutte-Version aus Madrid ins Haus. Davor hat der erfolgreiche Intendant Peter Caluwe die Uraufführung Benoît Merniers Oper La Dispute gesetzt. Was durchaus zusammenpasst.

Die nicht allzu überraschende Erkenntnis nach dieser jüngsten Uraufführung ist freilich: Weder Così fan tutte noch A Midsummer Night's Dream sind durch diesen Exkurs ins frühaufklärerische Frankreich mit den Mitteln einer moderaten Nachmoderne einzuholen oder gar zu überholen. Zudem müsste man den Werktitel La Dispute, der von Marivauxs Vorlage aus dem Jahre 1744 übernommen ist, hier eher mit Betrachtungen als mit Streit übersetzen. Denn seine hybride Komödie für Prosa und Musik ist sehr französisch und doch auch erstaunlich getragen geworden. Die tatsächlich vergehenden zwei Stunden fühlen sich deutlich länger an, man hätte also eigentlich gut auf ein Viertel des Werks verzichten könnte.

Die sprichwörtliche "Marivaudage" strahlt beim flotten Wechsel zwischen gesprochenen und gesungenen Passagen zwar auf und sorgt auch für französische Leichtigkeit. Dass die intensive musikalische Grundierung dabei überreichlich vom gesprochenen Dialog der Sänger oft allzu Musical-artig unterbrochen wird - das bekommt der emotionalen Treffsicherheit des Abends allerdings nicht wirklich. Marivaux hin, Marivaux her.

Wie in der Così von Mozart geht es hier um die Belastbarkeit von Treue, wenn Leidenschaft virulent ist. Wie in der Mittsommernacht gibt es Drahtzieher und Versuchskaninchen. Dem erfahrenen Paar aus Prinzen (Stéphane Degout) und Hermiane (Stéphanie d'Oustrac) haben Ursel Herrmann und Joël Lauwers im Libretto mit Cupido (Kateline Verbeke) und Amor (Dominique Visse) noch ein liebesgöttliches Duo (aus anderen Mariveaux-Texten) hinzugefügt, das die unterschiedlichen Seiten der Liebe personifiziert.

Isolierte Jugend

Sie stehen dem hohen Paar zu Diensten und ziehen bei den jungen Liebesnovizen Églé (Juli Mathevet), Adine (Albane Carrère), Azor (Cyrille Dubois) und Mesrin (Guillaume Andrieux) die Strippen. Nach einer Kindheit und frühen Jugend in der Isolation entdecken sie staunend sich selbst und die anderen Exemplare des gleichen und des anderen Geschlechts. Und das, was da so passieren kann.

Als eine der Frauen dann ihre Entscheidung ändert, gibt es zwar gehörigen Zoff, aber die Schuldfrage ist geklärt. Così fan tutte eben. Menschenexperimente sind per se zynisch. Was bei Mozart und Da Ponte heuer der kluge Interpretenblick hinter der Komödie zutage fördert, steht hier im Text. Das Altmeister-Inszenierungspaar Ursula und Karl-Ernst Herrmann bewegen sich bei ihrem ersten Versuch mit einer neuen Oper auf ihrem abgesicherten ästhetischen Terrain.

Opulente Räume

Der Raum ist klar und opulent; ein grünes Labyrinth, das an das Heckentheater im Salzburger Mirabellenpark erinnert. Rosafarbene Leuchtstoffröhren markieren alsbald einen Riesenwürfel. Der wird zum Käfig für das Experiment im Menschenzoo. Das führen sie virtuos und ästhetisch vor. Den Zynismus, der dabei waltet, stellen sie freilich nicht infrage. Wie sie eigentlich könnten und sollten.

Musikalisch enthält sich Mernier auch in seiner zweiten Oper nach Frühlings Erwachen jeden avantgardistischen Furors. Was die 30 Musiker und Dirigent Patrick Davin dann in den 17 ineinander übergehenden Szenen zelebrieren, beginnt mit gekonnt geraunter, gezirpter oder verhalten dräuender Atmosphärenmusik, die dann aber in einen eher milden, oft kontemplativen Rezitationsstil gleitet.

Dies alles geschieht im Tiefflug über die grünenden Auen der Musikgeschichte - mit Charme beim Changieren zwischen Gesang und Sprache. Und: Ein spielfreudiges und vokal viriles junges Ensemble ist hilfreich. (Joachim Lange aus Brüssel, DER STANDARD, 16./17.3.2013)