Die
Krone für Tristan
Von Bernd Stopka
/ Fotos: Staatstheater Meiningen
Kaum
eine Stadt lebt in so enger Verbundenheit mit seinem
Theater wie das südthüringische Meiningen.
Themenbezogene Stadtführungen, Ausstellungen zu
Theater- und musikbezogenen Themen und viele Museen
bieten dem Theaterbesucher auch tagsüber
vielfältige und ausgesprochen reizvolle
Möglichkeiten, sich im Thema bleibend zu
beschäftigen.
Musikalische,
familiäre
und freundschaftliche Bindungen haben seit 1831 viele
Größen der Musik- und Theatergeschichte in
das kleine, aber reizvolle Städtchen gelockt –
insbesondere nachdem Herzog Georg II von
Sachsen-Meiningen das Theater 1866 übernahm und
dort, später zusammen mit seiner dritten Ehefrau
Ellen, Maßstäbe setzte. Zunächst nur
auf das Schauspiel beschränkt, dann jedoch auch
wieder mit grandiosen Opernaufführungen. Er
führte Regie und entwarf Bühnenbilder, die
die Gebrüder Brückner als führende
Theatermaler ihrer Zeit dann ausführten. Im
Meininger Theatermuseum hängen derzeit in einem
historischen Bühnenbild auch gemalte Prospekte,
die aus dem Jahr 1876 stammen, dem Jahr,
in dem Wagners Ring des Nibelungen in Bayreuth uraufgeführt
wurde – in Bühnenbildern, die auch von den
Gebrüdern Brückner gemalt worden waren.
Familiäre und freundschaftliche Verbindungen
hatten Wagner nach Meiningen geführt und daraus
entstand auch musikalisch eine enge Bindung zwischen
Meiningen und Bayreuth, so spielten bei den ersten
Bayreuther Festspielen 26 Musiker der Meininger
Hofkapelle im Festspielorchester.
Oben: Kurwenal
(Dae-Hee Shin), Unten: Tristan (Andreas
Schager), Isolde (Ursula Füri-Bernhard),
Brangäne (Christina Khosrowi), Chor
Auch
Meiningen legt zu Wagners 200. Geburtstag einen
Schwerpunkt auf dessen Werke, neben
zahlreichen Wagner-Konzerten finden sich Tannhäuser und das selten
gespielte Frühwerk Das
Liebesverbot auf dem
Spielplan. Mit Wahnfried
– Bilder einer Ehe von Reinhard Baumgart steht
dieses in den 80er-Jahren eindrucksvoll verfilmte
Stück erstmals als Schauspiel auf der
Bühne. Eine Produktion, die sich vor allem an
Wagner-Kenner richtet, die die Szenen aus seinem
Leben einordnen können und sich mit den hier
gezeigten Sichtweisen auseinandersetzen
möchten. Besonderes Augenmerk liegt auf der
Rolle Cosimas, ihr Beherrschtwerden von Wagner – und
ihr Beherrschen Wagners… Über weite Strecken
bleibt die Produktion eher spröde als
spannungsreich, doch durch die Doppelung der
Hauptfigur erreicht
Regisseur Jan Steinbach sehr eindrucksvolle Momente,
besonders, wenn die greise Cosima das Verhalten der
jungen Cosima altersweise, abgeklärt und
zuweilen auch verklärt kommentiert.
(Tristan (Andreas
Schager), Isolde (Ursula
Füri-Bernhard), Brangäne
(Christina Khosrowi), Marke (Ernst
Gartenauer)
Tristan und Isolde ist die
Neuinszenierung eines Wagnerwerkes dieser Spielzeit.
Regisseur Gerd Heinz, Bühnenbildner Rudolf
Rischer und Kostümbildnerin Gera Graf lassen in
realistischen, romantischen
Bildern
wilde Leidenschaften toben. Ein Schiffsbug auf der
Drehbühne bildet vor dem Hintergrundprospekt
eines weiten Meeres die Szene des ersten Aktes. Der
Beginn des zweiten Aktes zeigt eine verschleierte,
blau-pastellfarbene Waldschneise, die in einen
mondbeschienenen Meeresblick an einer Felsenküste
überblendet wird. Zu Brangänes Wacht-Rufen
schiebt sich langsam ein einfarbig blauer Vorhang vor
die romantische Szene und wird mittels Projektion zu
einem rasenden Sternenhimmel, in dem die Liebenden zu
schweben scheinen. Zum Auftritt König Markes und
seiner Jagdgesellschaft fällt der Vorhang brutal
herunter und die Szene steht in blendendem, die
Realität brutal ausleuchtendem Licht.
Vor einem Himmel, dessen Sonne eine große Wolke
verdeckt, steht im dritten Akt ein riesiger
archetypischer Baumstamm. Herbstlich gefärbtes
Laub fällt zuweilen auf Tristans Krankenlager.
Mit stufenartigen Absätzen des Bühnenbodens
und einem stilisierten Brunnen im zweiten Akt mischen
sich abstrahierende mit romantisch-realistischen
Elementen. Es entstehen zuweilen wunderschöne
Bilder, so etwa die vor dem Waldprospekt brennende
Fackel, die Isolde - in wallendem Gewand - im Brunnen
löscht und die Liebeszene, in der es für
einen Moment ganz dunkel wird, so dass man sich
durchaus vorstellen kann, dass hier Liebe nicht nur
besungen, sondern auch vollzogen wird.
Isolde (Ursula
Füri-Bernhard)
Doch
irgendwie will sich ein harmonischer Gesamteindruck
nicht einstellen. Das mag daran liegen, dass manches
Stilmittel wie ein Fremdkörper wirkt (z. B.
Tristans dämonischer erster Auftritt in Isoldes
Schiffsgemach, wenn er von hinten mit deutlich
sichtbaren, stark blendenden Scheinwerfern beleuchtet
wird), vielleicht aber auch daran, dass manches
einfach übertrieben wirkt. Der Mond scheint viel
zu hell und die Sternenfahrt erinnert zu deutlich an
die Reisen eines Fernsehserien-Raumschiffs in
unendliche Weiten. Ähnliches gilt für die
Personenregie. Einerseits ist man dankbar für
ästhetische Bilder und ein Liebespaar, das sich
mit wirklicher, wilder Leidenschaft begegnet, umarmt,
küsst, neckt usw., andererseits wirkt die
Personenführung – vor allem der Nebenfiguren –
oft hölzern und unfertig. Zum Teil erscheinen die
üppigen Kostüme archaisch, zum Teil
archetypisch, gelegentlich befremdlich und
manchmal auch sprechend: wenn Isolde im ersten Akt ein
Kleid, nein, ein Gewand trägt, das der
bevorzugten Mode der greisen Cosima entspricht und
wenn Brangäne im zweiten Akt aussieht wie eine
korsische Gouvernante.
Isolde ist im ersten Akt viel zu deutlich als wilde
Furie gezeichnet, der das stilvoll Erhabene fehlt. Das
raubt dieser wütenden Königstochter eine
wichtige Dimension. Ganz konkrete Stellung bezieht der
Regisseur zur Frage des versehentlichen oder
absichtlichen Vertauschens von Liebes- und Todestrank:
Brangäne lässt den Todestrank in ihrer
Umhängetasche verschwinden und gießt den
beiden… Wasser ein! Wer mit dem Tod vor Augen nichts
mehr zu verlieren hat, kann sich für die
(scheinbar) letzten Minuten seines Lebens ganz seinen
urehrlichsten Gefühlen hingeben. Der Trank selbst
enthemmt nicht, sondern allein die Vorstellung.
König Marke könnte sich die eine und andere
künstlich wirkende Operngeste sparen und dann
ergreifender seine Klage singen. Viel bewegender ist
da seine stille Geste im dritten Akt: Erschüttert
sitzt er neben Tristans leerem Siechenbett, nimmt
seine Krone ab und legt sie auf das Lager des soeben
Verstorbenen. Mehr davon und eine durchweg intensive
Personenregie hätten dieser Inszenierung gut
getan.
Tristan (Andreas
Schager)
Andreas
Schager zählt zu den Hoffnungsträgern der
Wagner-Tenöre dieser Tage. Und das mit allem
Recht. Die Stimme hat jugendlich leuchtendes,
strahlendes Metall in der Höhe und geht bruchlos
in eine sichere Mittellage über. Besonders
ausdrucksstark und vielfarbig klingt sein Tenor im
Mezzoforte und Piano. Im ersten und zweiten Akt setzt
er etwas zu oft auf seine Stimmkraft, was für
größere Häuser sicher ein Vorteil ist,
für das akustisch ganz exzellente Meininger Haus
jedoch gar nicht nötig. Seine Gestaltung des
dritten Aktes, mit sehr
subtilem Einsatz der Stimmkraft ließ keine
Wünsche offen. Ein toller Tristan!
Ursula Füri-Bernhard hinterlässt als Isolde
einen zwiespältigen Eindruck. Sie ist mit vollem
Körpereinsatz eine leidenschaftliche
Darstellerin, die ihre Prioritäten
unüberhörbar auf Ausdruck und Darstellung
legt. Das wirkt zuweilen stark übertrieben und
gleichfalls mutet sie ihrer Stimme oft mehr zu, als
sie leisten kann, so dass ein unausgewogener
Klangeindruck entsteht, mit immer wieder
gestoßenen, übertrieben gebundenen,
verschluckten oder wegbrechenden Tönen und
scharfen Höhen. Mit viel Freiheit bezüglich
Partitur und Intonation gestaltet sie die Partie vor
allem im ersten Akt, erinnert sich im zweiten
glücklicherweise daran, dass die Isolde nicht
deklamiert, sondern gesungen sein will und lässt
dann auch Phrasen und zuweilen recht schöne
Töne hören.
Mit eher hellem Mezzosopran singt Christina Koshrowi
die Brangäne tadellos, wirkt aber etwas
hölzern, was jedoch der Sichtweise des Regisseurs
geschuldet sein mag, der in der Brangäne eher die
ordnende Gesellschafterin als die liebende, umsorgende
Vertraute sieht. Dae-Hee Shin lässt als Kurwenal
seinen markanten Bariton üppig strömen,
Ernst Garstenauer singt eindrucksvoll einen
greisen König Marke. Rodrigo Porras Garulo
lässt als Steuermann und Hirt aufhorchen.
Meiningens
GMD Philippe Bach verblüfft gleich zu Anfang mit
einem eher verhaltenen, sehr langsamen, die Partitur
geradezu buchstabierenden Beginn des Vorspiels,
steigert sich dann fast unmerklich zu großer
Intensität und zieht so den Hörer in den
Bann dieser hochemotionalen Musik. Kongenial zum
Liebesduett als szenischem Höhepunkt
beschwört er aus dem Orchestergraben die
musikalischen Wogen der Leidenschaft. Und immer wieder gelingt es ihm,
Klänge höchst subtil zu gestalten ohne
manieriert zu wirken. Das Orchester folgt ihm willig,
wenn auch, besonders im ersten Akt, mit einigen
deutlich hörbaren Ungenauigkeiten. Der
Matrosen-Herrenchor wurde nicht nur seemännisch
exakt navigiert.
FAZIT
Eine
Produktion, die einen zwiespältigen Eindruck
hinterlässt. Das überzeugende Dirigat von
Philippe Bach und Andreas Schager als Tristan sind die
herausragenden Ereignisse des Abends.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Philippe Bach
Inszenierung
Gerd Heinz
Bühnenbild
Rudolf Rischer
Kostüme
Gera Graf
Choreinstudierung
Sierd Quarré
Dramaturgie
Diane Ackerman
Meininger Hofkapelle
Herrenchor
und
Extrachor
des Meininger Theaters
Solisten
Tristan
Andreas Schager
König Marke
Ernst Garstenauer
Isolde
Ursula Füri-Bernhard
Kurwenal
Dae-Hee Shin
Brangäne
Christina Khosrowi
Melot
Stan Meus
Ein junger Seemann/
Ein Hirt
Rodrigo Porras Garulo
Ein junger Seemann
Martin Platz
Ein Steuermann
Lars Kretzer
Weitere Informationen
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Südthüringisches
Staatstheater
(Homepage)
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