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Große Party im Teatro Real: halb in Abendgarderobe von heute, halb im Outfit der Mozart-Zeit. Hinreißend Anette Fritsch als in jeder Hinsicht attraktive Fiordiligi im schicken roten Kleid. 

Foto: EPA/TEATRO REAL/HO

Michael Haneke war aus gutem Grund entschuldigt. Die Premiere seiner zweiten Operninszenierung ging in Madrid ohne ihn über die Bühne. Niemand nahm es ihm übel, dass er am Sonntag bei der Oscar-Verleihung in Los Angeles sein wollte. Umso mehr wurde von seinen Così-Wochen am Teatro Real Rekordverdächtiges berichtet. Von aufwändigen Castings. Von intensiven Proben. Alles abgeschirmt und mit der vollen Rückendeckung des Intendanten Gerard Mortier. Was kein Wunder ist, denn auf sein Konto geht auch dieser neuerliche Ausflug in die Oper des gerade wieder mit Preisen überhäuften österreichischen Filmregisseurs.

Als Mortier Intendant der Pariser Oper war, ließ Haneke 2006 einen Don Giovanni von heute aus einer Konzernzentrale abstürzen. Und jetzt, in Madrid, ist er für ein Beziehungsdesaster verantwortlich, das man erst einmal hinbekommen muss. Am Ende eines ziemlich langen Abends bleibt kaum eine Perspektive für die Paare. Auf den ersten Blick macht Haneke aus Mozarts vielleicht modernster und heutigster Oper eine aus dem Ruder laufende Kostümparty im Hause eines reichen Mannes. Bei Christoph Kanter ist das bühnenfüllender Villen-Luxus. Rechts mit Kamin und links mit reichlich genutzter Bar. Mit Säulen und Terrasse mit Superausblick hinter einer Glasfront.

Von den drei Quasipaaren ist bei Da Ponte niemand miteinander verheiratet. Im Verlaufe der beständigen Neubefragung dieser "Schule der Liebenden" und ihrer Interpretation als der vielbeschworenen "Operation am offenen Herzen" wird die Wahrscheinlichkeit, dass es mit den jungen Leuten noch etwas werden könnte, von den Regisseuren immer geringer veranschlagt.

Bei Haneke sind Don Alfonso und Despina nicht nur miteinander verheiratet, sondern schon im Stadium des Ehestellungskrieges angekommen. Wozu dann auch die große Party gehört, mit der man sich und einer halb in Abendgarderobe von heute, halb im Outfit der Mozart-Zeit (Kostümfest: Moidele Bickel) eingeladenen Gesellschaft vorführt, dass es gar nicht anders enden kann. Dieser Handlungsrahmen ist als Einstieg originell, schlingert zwischendrin in die Staffage, um dann vor allem das schlüssige Finale zu tragen. Da weicht nämlich die unverfrorene Mitspieler-Neugier der Gäste dem Befremden über das Experiment.

Verunsicherung der Frauen

Doch Haneke verschränkt, trotz der Kostümbehauptung, die Epochen nicht wirklich miteinander. Einerseits tauchen Guglielmo und Ferrando nach einer ersten Maskerade mit Schnauzbärten fortan ohne Maskierung auf. Was auf eine Deutung verweist, die erotische Anziehungskraft jenseits eines gegebenen Versprechens ausloten will. Auch die bewusste Entscheidung der Frauen für den Wechsel ihrer Partner, an dem sie gegen die dezenten Korrekturversuche von Despina bei der Pseudohochzeit festhalten, ist dafür ein Beispiel.

Doch bleibt diese Verunsicherung bei Haneke auf der Seite der Frauen. Così fan tutte (also alle Frauen machen es so) eben - und nicht "Così fan tutti" (wirklich alle Frauen und Männer sind gefährdet). Dass die Frauen sich am Ende wütend gegen das Experiment und die Rückkehr in die Ausgangskonstellation wehren, ist das eine. Sozusagen das heutige Minimum. Sie bleiben hier aber die unsicheren Beziehungskandidatinnen. Damit bleibt Haneke erstaunlich konventionell.

Ästhetisch ist er konsequent. Wenn eine so sternenklare wie rabenschwarze Nacht in den Salon dringt, der Kamin flackert und der riesige Hausbarkühlschrank offen steht, dann bringt das die Atmosphäre der Inszenierung auf den Punkt. Ein wirklich großer Così-Wurf würde den Beziehungspessimismus aufspüren. Haneke treibt dem Stück aber mit lähmender Konsequenz das Komödiantische aus. Erledigt damit aber auch das Erschrecken beim Entdecken der Unsicherheit der Herzen.

Melancholisches Dunkel

Der Hauptverbündete für diese Lesart steht am Pult. Es ist wieder Sylvain Cambreling. Der unterläuft jeden pointierten Anflug der Komödie, bremst aus, dunkelt melancholisch nach. Obendrein hat Despina ihren verordneten sozialen Aufstieg von der kessen Putzfee zur frustrierten Ehefrau nicht verkraftet. Kerstin Avemo retuschiert die Rolle (leider auch vokal) fast völlig weg. Der Alfonso von William Shimell bleibt trotz seiner stimmlichen Qualitäten eher zweidimensionaler Pappkamerad mit Perücke als zynischer Spielmacher. Immerhin gelingt es den beiden jungen Paaren, ihren Figuren Profil zu verleihen.

Hinreißend ist Anette Fritsch als in jeder Hinsicht attraktive Fiordiligi im schicken roten Kleid. Paola Gardina ist eine lebenslustig pragmatische Dorabella im etwas herben Hosenanzug. Juan Francisco Gatell liefert einen temperamentvollen und dann herzzerreißend leidenden Ferrando. Und Andreas Wolf nutzt als Guglielmo die Möglichkeit überzeugend, von seinem Verführungserfolg in der Wette eher angewidert als erfreut zu sein. Das sind die szenischen Lichtblicke im Dunkeln.

Und dann ist da ja auch noch das eiskalte Licht aus dem Kühlschrank. Freundlicher Applaus. (Joachim Lange, DER STANDARD, 25.2.2013)