Wien - Seit dieser Spielzeit ist die Kammeroper dem Theater an der Wien angegliedert - als Beiboot, Singschule und Spielwiese für den Nachwuchs. Der künstlerische Leiter Sebastian F. Schwarz stellte das junge Ensemble im Oktober in einem frühen Rossini-Einakter vor, die Uraufführung eines Kammer-Musiktheaters von Hans-Jürgen von Bose folgte.

Den Kategorien "Rarität" und "Neuheit" ließ Schwarz nun einen Kracher folgen: Puccinis La Bohème. Die Kammeroper spielt die Oper raumgemäß in einer Kammerfassung: Jonathan Dove hat diese fast ohne Verlust an Farb- und Stimmungsreichtum erarbeitet, das Wiener Kammerorchester interpretierte sie unter der Leitung von Claire Levacher mit einer Intensität, die beeindruckte.

Inszeniert wurde die auf 100 Minuten konzentrierte, mit Interludien vom Band (Sinem Altan) verbundene Rumpf-Bohème von Lotte de Beer, und die hatte da so eine Idee: Da de Beer wirkliche Armut in Künstlerkreisen im Erste-Welt-Heute als quasi inexistent empfindet, hat sie die Protagonisten in ein glattes Luxus-Penthouse (Ausstattung: Clement & Sanôu) verpflanzt. Deren Armut soll eine innere sein: Rodolfo & Co sind seelisch wohlstandsverwahrlost.

Irritierend nicht nur, dass manches inhaltlich keinen Sinn macht, sondern auch, dass de Beer die (angeblich) jungen Leut' von heut' halt doch wie Opernfiguren von schablonenhafter Gestrigkeit in die moderne Szene setzt (etwa den kraftvoll singenden Ben Connor als überdrehten Marcello). Andrew Owens spielte den Rodolfo natürlich, differenziert, berührend; sein klassisch italienischer, direkter Tenor fand ab dem dritten Bild zu seinem Schmelz.

Stimmstark und artikulationsschwach Gast Oleg Loza (Schaunard), solide Igor Bakan (Colline). Anna Maria Sarra war eine energische Musette, Cigdem Soyarslan präsentierte als Mimi einen starken Sopran. Sie stirbt einsam und weggesperrt im Krankenhausbett, wie sich das heute so gehört. Begeisterung. (Stefan Ender, DER STANDARD, 23.1.2013)