Rauchen schadet der Gesundheit aber nicht der Stimme
Von Stefan Schmöe
/
Fotos von den Salzburger Festspielen, © Silvia Lelli
Mimi braucht Feuer nicht etwa für eine Kerze, sondern für die Zigarette. So gerät sie an die fidele Studenten-WG nebenan, deren Bewohner sich wohl eher als verarmte Bohèmiens inszenieren als tatsächlich an mangelndem BAföG leiden. Nein, mit dem Paris des späten 19. Jahrhunderts haben Damiano Michieletto (Regie), Paolo Fantin (Bühne) und Carla Teti (Kostüme) nichts im Sinn; Paris bleibt weitgehend Zitat etwa dann, wenn sich das überdimensionale Fenster, vor dem die Außenakte spielen, öffnet und ein riesiger Stadtplan von Paris ausgebreitet wird, auf dem auch als Sitzmöbel genutzte kleine Häuschen stehen (die auf Musettas Schnipsen auch noch niedlich leuchten), oder wenn im dritten Bild die Stadtautobahn wie ein Teppich ausgerollt wird (die Mautstation ist immerhin eine schlüssige Übertragung der im Original vorgesehenen Zollstation in die Gegenwart). La bohème wird zur flippigen Gegenwartsstudie, sieht aber leider über weite Strecken so aus, als wolle ein in Maßen talentiertes Nachwuchsregieteam ohne besonderen Mut oder Fantasie irgendwo an einem mittelprächtigen Stadttheater durch ein bisschen Gepolter auffallen. Der erste Verdacht, Mimi könne am übermäßigen Konsum verschiedenster Drogen krepieren, bestätigt sich nicht. Die eine Zigarette, die sich das Mädel angesichts seiner Atemprobleme aber wohl doch besser verkniffen hätte, bleibt die Ausnahme.
Erste Begegnung: Rodolfo (Piotr Beczala) und Mimi (Anna Netrebko)
Solches Mittelmaß kann Salzburgs neuer Festspielintendant Alexander Pereira eigentlich kaum im Sinn gehabt haben, als er mit der Bohème den an der Salzach in der Tat allzu lange verschmähten Puccini in den Festspielkosmos aufgenommen hat. Das zweite Bild, zur quitschbunten Revuenummer (bei der Parpignol wie Superman von der Decke einschwebt) degradiert, ist geradezu ein Ärgernis in seiner Oberflächlichkeit, die noch dazu die eigentliche Geschichte aus den Augen verliert, das dritte Bild bleibt zwar näher am Original, aber eben auch sehr konventionell. Bleibt die zentrale Idee, vier Berufsjugendliche (eigentlich fünf, denn Mimi gehört auch dazu) zu zeigen, die auf drastische Weise erwachsen werden. Um die Probleme Spätpubertierender mit einigem künstlerischen Wert auf dem Theater zu verhandeln, müssten, zumal sich allzu kleinteilige Gesten in den Weiten des Großen Festspielhauses schnell verlieren, allerdings schlagkräftigere Bilder her. Die gibt es, zumindest ansatzweise, im Schlussbild, wo das spärliche Mobiliar (immerhin Designerschlafsäcke) zusammengekarrt wird, weil offenbar die Zwangsräumung ansteht. Und Mimi stirbt, gekrümmt auf der Matratze und unbeobachtet von den mit sich beschäftigten Studenten, elend, aber herzergreifend.
Musetta (Nino Machaidze)
Wobei das Herz in erster Linie durch die Musik ergriffen wird, und das heißt eben auch: durch die Sängerin. Wie Anna Netrebko mit voller, leuchtender Stimme die Partie gestaltet, im Piano und Pianissimo ohne Klangverlust (eher noch mit gesteigerter Intensität) zaubert, die Ausbrüche kraftvoll, gleichzeitig mühelos und leicht gestaltet, die Figur sehr differenziert mit vielen Nuancen aussingt und sich bei allem immer darauf verlassen kann, das ihre Stimme das trägt, das in der Tat ein großes Festspielereignis. Angesichts dieser Fülle und Klangschönheit muss man wohl sagen: Auf die Stimme geschlagen ist der Mimi die Zigarette nicht, da scheint es sich um eine andere Krankheit zu handeln.
Wohl selten wurde eine Absage vom Publikum so bejubelt wie die von Piotr Beczala (also keineswegs ein x-beliebiger Sänger) - denn kurzfristig sprang in der hier besprochenen zweiten Aufführung, zwischen zwei kraftraubenden Abenden als Bacchus in der Ariadne auf Naxos, Publikumsliebling Jonas Kaufmann ein. Der sang, während Beczala den Rodolfo auf der Bühne spielte, die Partie mit fast provokativer Lässigkeit im Freizeitlook am Bühnenrand (und zog, den Pausengesprächen nach zu urteilen, mehr Blicke auf sich als die gerade im ersten Teil belanglose Inszenierung). Kaufmanns dunkler, dadurch sehr maskuliner Tenor ist natürlich ein exzellenter Widerpart für die Netrebko (um den Preis, dass dem Männerquartett eine helle Klangfarbe fehlt) da war also das momentane Traumpaar der Oper vereint. Wobei Kaufmann, bei allen stimmlichen Meriten mit kraftvollen, weitgehend unangestrengt klingenden Höhen nicht ganz makellos sang: Über ein schönes Piano verfügt er nicht, sondern verknödelt manche Passage; das schränkt seine Möglichkeiten schon ein. Dennoch war dies schon ein gesanglich großer Opernabend.
Weihnachten in Paris
Die weiteren Protagonisten standen naturgemäß ein wenig im Schatten dieses Star-Duos, tragen aber durch ausnahmslos hohes Niveau zum musikalisch glänzenden Gesamteindruck bei. Nino Machaidze als tadellose Musetta muss sich durch einen anderen, eher spitzen Klang gegen die volltönende Mimi absetzen, was ihr recht gut gelingt. Nicht ganz so schwer haben es die Männer: Massimo Cavalletti ist ein kraftvoller, in Timbre und Gestaltung italienischer und weder zu leichter noch zu schwerer Marcello, Carlo Colombara ein eher schlanker, mit hintergründiger Doppeldeutigkeit singender Colline, Alessio Arduini ein mehr als zuverlässiger Schaunard. Chor und Kinderchor sangen zuverlässig.
Das Ende: Rodolfo (Piotr Beczala), Mimi (Anna Netrebko), Marcello (Massimo Cavalletti), Colline (Carlo Colombara), Schaunard (Alessio Arduini)
Ganz spurlos ging die fast einstündige, der Umbesetzung geschuldete Verzögerung offenbar nicht an den Wiener Philharmonikern vorbei, die sich gerade zu Beginn kleinere Ungenauigkeiten erlaubten, aber schnell ihren fabelhaften Klang entfalten konnten. Dirigent Daniele Gatti tat ganz hervorragend das, was man in einer solchen Aufführung erwartet: Delikat die Starsänger begleiten, diesen aber im Zweifelsfall geschmeidig den Vorrang zu lassen. Er baut Entwicklungen bedachtsam auf, ist nie auf Effekt aus, nie klingt die Musik schwer oder gar schwülstig. Puccinis raffinierte Klangfarben, gerade im dritten Bild, kommen ebenso zur Geltung wie die großen melodischen Bögen. Da hat er dann doch Recht, der Herr Intendant: Es ist höchste Zeit, auch in Salzburg mehr Puccini zu spielen.
FAZIT
Tolle Sänger mit einer grandiosen Anna Netrebko an der Spitze, tolle Orchesterbegleitung trotz der etwas nervigen, erst am Ende einigermaßen schlüssigen Regie ein großer Festspielabend.
Ihre Meinung ?
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
|
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Daniele Gatti
Inszenierung
Damiano Michieletto
Bühne
Paolo Fantin
Kostüme
Carla Teti
Licht
Martin Gebhardt
Chor
Ernst Raffelsberger
Kinderchor
Wolfgang Götz
Dramaturgie
Kathrin Brunner
Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor
Salzburger Festspiele und Theater Kinderchor
Wiener Philharmoniker
Solisten
Rodolfo
Piotr Beczala (spielt) Jonas Kaufmann (singt)
Mimi
Anna Netrebko
Marcello
Massimo Cavalletti
Musetta
Nino Machaidze
Schaunard
Alessio Arduini
Colline
Carlo Colombara
Benoît
Davide Fersini
Alcindoro
Peter Kálmán
Parpignol
Steven Forster
Sergeant der Zollwache
Livio Gheorghe Burz
Ein Zöllner
Michael Wilder
Ein Straßenhändler
Martin Müller
weitere Berichte von den Salzburger Festspielen 2012
Zur Homepage der
Salzburger Festspiele
|