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Netrebko in "La bohème" Magnet der Festspiele

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Ein gleichwertiges Gesangspaar: Anna Netrebko als Mimì und Piotr Beczala als ihr Rodolfo.
Ein gleichwertiges Gesangspaar: Anna Netrebko als Mimì und Piotr Beczala als ihr Rodolfo. © dpa

Salzburg - Bei den Salzburger Festspielen triumphierte Anna Netrebko bei der Premiere von Puccinis "La bohème". Die Regie setzt auf Schaueffekte.

Fast zwei lange Salzburger Festspielwochen mussten vergehen, und nun ist er endlich da, der Gala-Ernstfall. Wobei: Politisch gesehen eine magere Ausbeute, das riecht eher nach Hinterbänklerglamour. Aber kulturell! Helmuth Lohner im Knipsfeuer, Sunnyi Melles, John Neumeier, Nikolaus Bachler, die Sponsoren-Armada um Roland Berger, Mariss Jansons steigt mit Frau Irina vergnügt (und erholt) die Treppe zum linken Parkett des Großen Festspielhauses hinauf. Und in Reihe elf sitzt Erwin Schrott, das Haar wieder frisch erschwarzt, und betätigt sich am Ende als Auslöser für Standing Ovations. Ging etwas daneben.

Egal, verdient gehabt hätte sie’s. Denn Lebensgefährtin Anna Netrebko als Mimì in Puccinis „La bohème“, das ist ihre Leib-Magen-Stimm-Partie, das ist vor allem der Magnet des diesjährigen Festivals. Und während sich Puristen die Zähne wundknirschen (Puccini in Salzburg?!), widerlegt das die russische Wienerin mit purer Singdarstellungskunst. Vor allem, weil sie in Damiano Michielettos dünner Inszenierung – wenigstens das – nicht die elegisch Umflorte ist, sondern ein Mädel von heute sein darf. Mit kurzem Rock, Lederjacke und häufigem Griff zur Zigarette. Aha: Mimì, die Lungenkrebskranke?

Jedenfalls weiß diese junge Frau längst, dass ihre Tage gezählt sind. Und im Todesliebeskampf ist sie die eigentlich Starke, während Rodolfo völlig überfordert ist. Die Netrebko singt das mit einer Leichtigkeit der Tonbildung in jeder Lage und auf jedem Lautstärkepegel, die entwaffnet. Dunkel ist ihre Stimme, aber nicht mehr so verschattet, auch fähig zu mehr Nuancen, etwa im Schlussbild, wenn sich Fahlfarben in den Gesang mischen. Locker trägt ihr Sopran in lyrischen Passagen, kann sich stufen- und bruchlos weiten, öffnen, Raum erobern, sodass die Netrebko am Ende des ersten Bildes auch erfolgreich das hohe C riskiert. Ein Triumph. Aber keine One-Woman-Show.

Denn da gibt es einen Tenor, der ihr mindestens auf Augenhöhe begegnet. Nicht Rolando Villazón, der hat sich im Salzburger Beiprogramm mit einer frühen Mozart-Oper andere Baustellen gesucht. Aber Piotr Beczala, der Muster-Stilist unter den Lyrikern. Ein Rodolfo zwischen Verkniffenheit und naiver Emphase, mit Bart, Koteletten und Zottelhaar, was den sonst zurückhaltenden Beczala glatt zum Spiel animiert.

Auch ihm gelingt alles. Eher weich ist sein Tenor, nicht unbedingt mit kompaktem Kern. Aber die Geschmeidigkeit und die Intelligenz, wie er gestaltet, wie er sich auch unangestrengt Extremlagen erobert, das führt bei jedem Ton zur Frage: Wer soll den Rodolfo zurzeit besser singen? Drum herum ein hochachtbares Ensemble, das den Stars den Vortritt lässt, aber nicht festspielwidrig dagegen abfällt. Nino Machaidze als Zicken-Musetta, Carlo Colombara als Colline mit großer vokaler Autorität in der „Mantel-Arie“, der sehr vielversprechende Alessio Arduini (Schaunard) und Massimo Cavalletti als tapsiger, grundsympathischer Marcello mit zerknautschtem Bariton, was der Rolle allerdings ganz gut steht.

In jeder Sekunde ist Daniele Gatti bei ihnen. Ein Sänger-Dirigent mit souveränem Schlag, der sich nie in die Partitur verkriecht, dessen Aufmerksamkeit der Bühne und den dankbaren Wiener Philharmonikern gleichermaßen gilt. Bei den Arien und lyrischen Ensembleszenen legt Gatti allerdings den Schalter um. Da zelebriert er Puccinis Pathos mit einer Hingabe und vernehmlichem Stöhnen, sodass man um die Sängerlungen fürchtet. Auch überfährt er Beczala ein-, zweimal mit seiner symphonischen Munterkeit. Doch dass Gatti den hochpräzisen Wienern ansonsten vermitteln kann, dass sie nicht immer die Hauptrolle spielen, das spricht für seine Könnerschaft.

Und die Inszenierung? Damiano Michieletto kommt entgegen, das die „Bohème“ immer funktioniert. Wie „Elektra“ oder „Wozzeck“ gehört sie zu den unkaputtbaren Stücken. Michieletto verfeinert die Zweierszenen mit ganz natürlichem Spiel. Das ist, gerade in seiner Selbstverständlichkeit und weil es die Sängertypen einbaut, schon glaubhaft und berührend. Der Rest ist Routine oder verlässt sich dank Bühnenbildner Paolo Fantin auf Schaueffekte, für die sich die Bregenzer Freiluft-Konkurrenz bedankt hätte. Ein riesiges Fenster ist die Rückwand der Künstlermansarde mit ihrem Matratzenlager. Laden auf und Blick frei auf die sinnfreie Weihnachtsshow mit tanzenden Elchen und Parpignol als Spiderman am Trapez (Bild zwei) oder einen Sandwichwagen im Schnee vor einer hochgebogenen Schnellstraße, die hölzern und ganz undramatisch rumpelt, wenn jemand darüberstöckelt (Bild drei).

Rodolfo ist der Autorenfilmer, der im Finale, wenn die Zwangsräumung droht, frustriert seine Videobänder vernichtet. Die todkranke Mimì wird ein letztes Mal auf die schon zusammengeräumten Matratzen gebettet, Fensterladen zu (Es zieht?). Zuvor sah man auf einem riesigen Paris-Stadtplan Arzt- und Apothekennotrufnummern. Da hätte mal jemand anrufen sollen.

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4., 7., 10., 13., 15. und 18.8.;

Telefon 0043/ 662/ 8045-500

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