Bild nicht mehr verfügbar.

Herr Rodolfo (Piotr Beczala) in einem unbeschwerten Moment mit seiner lieblichen Mimi (Anna Netrebko).

Foto: APA/BARBARA GINDL

Salzburg - Surreal verrückt sind hier die Raumdimensionen. Doch auf surrealen Märchenzauber legt diese im Grunde nüchterne Produktion keinen Wert. Paris ist ein toilettenpapierartig ausgerollter Ausschnitt eines Stadtplans, auf dem Gebäude in Minimundus-Format auch zu Bartischen werden. Auf dem Paris-Plan tänzelt auch die Massenszene, die zur weihnachtlichen Geschenkorgie an die (ihre Pakete raschelnd enthüllenden) Kleinen wird.

In diesem Auspacktumult des zweiten Bildes erspäht man dann aber auch jene jungen Pariser Feierkünstler, die sich mit Überschwang ins Leben stürzen. Sie steigen von hoch oben herab: Ihre Mansarde liegt vor einem übergroßen Regenfenster und ist eine desolate Bude mit minimaler Matratzenausstattung. Reichtum ist hier nur die Freude an Leichtsinn und juveniler Verspieltheit.

Jene junge Dame, die hier zufällig Feuer suchend hereinchaotelt, ist bei Regisseur Damiano Michieletto von Anbeginn an ein zerbrechliches Persönchen, das beim Erzählen schnell ein paar Taschentücher verbraucht. Die Liaison mit Rodolfo verleiht ihr zwar Unbeschwertheit. Umso tiefer ist jedoch der Fall in die Krise, deren Szenen sich um eine billige Imbissbude abspielen, welche an einer Pariser Vorortestraße (wieder wie Klopapier entrollt) steht.

Sopranistin Anna Netrebko kauert da hinter dem Gastro container und hört als frierendes Häufchen Elend Rodolfos wenig optimistische Beziehungsprognose, die an Marcellos entsetztes Ohr dringt (profund: Massimo Cavalletti). Doch, doch: Innerhalb recht flüssig organisierter Regiekonventionen stattet Netrebko Mimi mit ausreichend deutlichen Facetten aus, um in diesem (Szenenwechsel erschwerenden) Riesenraum (Bühnenbild: Paolo Fantin) nicht unterzugehen.

Ist auch nötig. Dieses Ambiente verdichtet die Emotionen weniger als es sie neutralisiert. Auch vokal kommt Netrebko allerdings damit klar: Da ist jene Pracht der hohen, samtigen Töne, denen, je nach Bedarf, romantische Größe oder delikate Intimität verliehen wird. Und wie es ans Sterben geht, vermag Netrebko auch jenen fahlen Klageton zu erzeugen, in dem die Ahnung vom langsam verlöschenden Leben mitschwingt.

Ein guter Partner

Neben einer solch souveränen Gesamtperformance muss man als Gegenüber einiges an Qualität mobilisieren, um nicht als Herr der Opernerschöpfung dazustehen. Tenor Piotr Beczala überrascht dann als Rodolfo mit dem leichtfüßigen Porträt eines nicht uneitlen Typen, der keine länglichen Umwege geht, um ans amouröse Ziel zu gelangen oder die daraus vielleicht erwachsende Verantwortung wegzuargumentieren. Bis es zu spät ist.

Wie Netrebko steht zwar auch Beczala bei ariosen Höhepunkten uninszeniert herum (an einer hohen Stelle reißt ihm ein Tönchen ab). Immerhin aber beinhalten seine Strahletöne jenen reizvollen Mix aus Vitalität und Edelsound, der Puccinis melodische Highlights der übergroßen Gefühle erst zu Ohrencharmeuren macht. Auch wenn man den Tenor früher noch stabiler gehört hat.

Dass in dieser Partitur weit mehr verborgen ist als Ansätze von Wunschkonzertkitsch, nämlich eine raffiniert durchkomponierte, schnelle Erzählung von dramatischer Wucht und ernster Poesie - diesen Beweis will Dirigent Daniele Gatti antreten. Er stürzt sich denn auch mit den Wiener Philharmonikern ein bisschen überambitioniert in die Beweisführung und vernachlässigt schließlich die intimen Aspekte. Es fehlt, trotz der vielen markanten Akzente, die nötige Balance zwischen Drama und Schwärmerei. Letztere wirkt etwas anämisch, obwohl die Wiener Wohlklangkünstler hier ihren Sommerdienst verrichten.

Auch Koordinationsprobleme

Klar: Es sind in diesem Riesenfestspielhaus mit solch üppiger Bühnenlösung große Distanzen zu überwinden. Die Koordination zwischen Orchester und Sänger erleichtert das nicht gerade. Und sicher raubt es der instrumentalen Sanftheit etwas von ihrer Aura.

Das Naserümpfen über die Anwesenheit dieser Oper darf dennoch in Salzburg zum Museumsstück werden - auch die Stimmen von Alessio Arduini (als Schaunard) und Carlo Colombara (als Colline) leisteten in diesem Sinne gute Dienste. Nino Machaidze (als Musetta) schafft hingegen nur bei Spitzentönen Klarheit, in den Tiefen klingt sie etwas rostig-verbraucht. Der Applaus umwehte indes alle Beteiligten dieser Koproduktion mit dem Opernhaus Schanghai. Auch die Regie bekam für ihren adretten Erzählstil Lob. (Ljubiša Tošic, DER STANDARD, 3.8.2012)