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Achten Sie auf den Kammerdiener!
Von Joachim Lange
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Fotos vom GTG / Monika Rittershaus
Schon das Vorspiel setzt auf schaurige Opulenz. Eine Frau in Weiß wandelt gedankenverloren durchs Bild. Ein Mann sitzt zusammengesunken in einem Lehnstuhl. Alles hinter einer geheimnisvoll wehenden Gardine. Diese Wahnsinnsszene, die sich gegen Ende noch einmal wiederholen wird, ist einem durch zwei Pausen ziemlich langen Opernabend vorangestellt. Doch der hat es in sich! In der Neuproduktion von Verdis Macbeth im Grand Théâtre de Genève sollte man auf jeden Fall den Kammerdiener von Anfang an im Auge behalten. Diese dezente Dauerpräsenz und das diskrete und präzise Eingreifen im Dienste seines Herrn und seiner eigenen Sache stehen exemplarisch für die Qualität dieser Inszenierung. Er ist der Lauscher und Mitwisser, derjenige, dessen Wegsehen das Grauen mit ermöglicht. Er ist derjenige, der die Drecksarbeit für den Thronräuber, Königs-, Freundes- und Kindermörder an der Spitze des Staates übernimmt. Und sich dann auch noch von ihm fast erwürgen lassen muss, als dem Usurpator die Reste seines Gewissens das Erscheinen des ermordeten Banco beim Festmahl vorgaukeln. Er ist aber auch derjenige, der den Rächern den entscheidenden Tipp gibt, als sie das Schloss stürmen. Am Ende, punktgenau zum Regimewechsel, steht dieser Kammerdiener wieder, dienstbereit wie eh und je, an der Seite des neuen Herrn. Macbeth (Davide Damiani)
Es gibt aber nicht nur solche faszinierenden kammerspielartigen Ausflüge in die (zeitlose) Psyche der Menschen. Die Szene, in der die gedungenen Mörder Banco aus dem Weg räumen, wird bei Christof Loy zu einem Tableau, bei dem die Herren der feinen Gesellschaft in einem Dresscode, der beim britischen Adel immer noch gilt, allesamt das Messer zücken und ein Tänzchen riskieren. Wegsehen und Opportunismus sind eben seit jeher der Kitt, der die Gesellschaft in der Nähe der Macht und zusammen hält. Und Loy beweist bei der Gelegenheit, dass Tableau eben nicht gleich Tableau ist. Seine Chorformationen haben nämlich rein gar nichts mit Rampenverlegenheit zu tun, sondern sind mit atemberaubender Feinjustierung durchdacht und durch choreografiert. Das gilt nicht nur für die große Klage über das geplagte Vaterland zu Beginn des vierten Aktes, sondern für alle Massenauftritt: für die Turbulenzen während der Hexen-Prophezeiungen (irgendwo zwischen Alptraumfantasie und Themen-Gaudi des Schloss-Personals), für die Staatsaktionen oder für den regelrechten Einbruch des Krieges in dieses schottische Schloss. Lady Macbeth (Jennifer Larmore)
Überhaupt die Bühne von Jonas Dahlberg! Die bei Loy auch in seinen kargen Inszenierungen nie fehlende, oft aber nur zitierte Opulenz des Raumes kommt diesmal mit einer dunkel schattenspielerischen, cineastischen Wucht zu ihrem Recht. Der Einheitsraum, von Alfred Hitchkocks Rebecca inspiriert, ist die Halle eines düsteren Schlosses mit riesiger Freitreppe. Von den Säulen mit den fahlen Blumengestecken befinden sich zwei XXL-Exemplare schon vor dem Vorhang an der Rampe. Mit zwei Gardinen-Vorhängen und der kongenialen Lichtregie von Bernd Purkrabek finden die intimen Momente einen ebenso glaubwürdigen Rahmen wie die großen Auftritte der Lady im Festkleid über die Freitreppe und das Bankett. Dann wieder werden Banalitäten zum Auslöser für Wahnvorstellungen. So hatte Banco etwa, eher beiläufig, sein Jackett über einem Stuhl an der prachtvoll bedeckten Tafel hängen lassen. Es ist dann nur dieses vergessene Kleidungsstück, das bei Macbeth seinen Fauxpas beim Empfang auslöst. Für diesen so beklemmenden wie nachvollziehbaren Ausraster braucht Loy keine blutverschmierte Geistererscheinung. Choreograph Thomas Wilhelms lotet zur (nicht gestrichenen) Ballettmusik wiederum ins Innere. Da küsst ein Macbeth-alter-ego den Freund zu Tode und verlässt dann im doppelten Wortsinn entblößt langsam die Bühne. Der grandiose szenische Rahmen entfaltet seine Wirkung natürlich nur, weil das gesamte Personal mitspielt. Allen voran die Lady, die mal im schwarzen, mal im weißen Abendkleid von Ursula Renzenbrink Eindruck macht. Jennifer Larmore hat vielleicht nicht die letzte hochdramatische Wucht und die von Verdi in dem Falle gewünschte Hässlichkeit der Stimme, aber sie wird mit ihrer atemberaubenden, genau im richtigen Maß die Intrigantin ausstellenden Präsenz und ihrer technischen Perfektion gleichwohl als Lady zum darstellerischen und vokalen Kraftzentrum. Davide Damiani hat da schon mehr Mühe mit seinem Macbeth. Er vermochte aber auch ohne die Legitimation einer Komponisten-Empfehlung, stimmlich Grenzfälliges darstellerisch umzumünzen. Christian Van Horn hingegen ist ein kraftvoller Banco und Andrea Carè ein Macduff, der seiner Verzweiflung und Wut mit Strahlkraft Glaubwürdigkeit verleiht. Ingo Metzmacher enthält sich am Pult des l'Orchestre de la Suisse Romande jeder auftrumpfenden Effekthascherei und richtete sich klug an den vokalen Vorgaben, die von der Bühne kamen, aus. So sichert er ebenso einschmeichelnd und unheimlich, wie die kongenialen Schattenspiele, einer rundum gelungenen Macbeth- Produktion ihr musikalisches Fundament.
Eine vor allem szenisch faszinierende Produktion. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Choreographie
Chor
Dramaturgie
Solisten
Duncan
Macbeth
Banco
Lady Macbeth
Dame der Lady Macbeth
Macduff
Malcolm, Sohn von Duncan
Fleanze, Sohn von Banco
Arzt
Diener
Drei Erscheinungen
Tänzerinnen und Tänzer
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