Distanz durch Ästhetisierung

Eher konventionell hat Christof Loy Verdis Oper in Genf auf die Bühne gebracht; die üppige Ausstattung verdrängt weitgehend, was in der Regie an interpretatorischen Ansätzen auszumachen war. Das Orchester hingegen bietet eine hochdifferenzierte Leistung.

Thomas Schacher
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Obwohl «Macbeth» unter den bedeutenden Opern Verdis die am seltensten gespielte ist, haben sich fast alle grossen Regisseure des Musiktheaters an das Stück herangewagt. Christof Loy, der am Grand Théâtre de Genève eine Neuinszenierung herausgebracht hat, begibt sich damit also gewissermassen in die Höhle des Löwen. Um das Resultat vorwegzunehmen: Seine Deutung bringt keine neuen Sichtweisen ans Tageslicht, sie steht in ihrem Wagemut weit hinter dem zurück, was andere Regisseure gezeigt haben.

Zu schön, um Wirkung zu entfalten

Das von Shakespeare geliehene Lehrstück über Machtbesessenheit, die über Leichen geht, um zu ihrem Ziel zu gelangen, böte einen idealen Ansatzpunkt für eine politische Deutung. Doch Christof Loy ist mehr an der psychologischen Ebene interessiert. Dem Gelingen eines solchen Vorhabens steht allerdings eine Ästhetisierung auf allen Ebenen entgegen. Einfach gesagt: Weil alles so schön, geschmackvoll, ästhetisch daherkommt, geht es nicht unmittelbar unter die Haut.

Mitverantwortlich für diesen Ansatz ist der schwedische Künstler Jonas Dahlberg. Seine Bühne zeigt in allen vier Akten Macbeths Burg als postmodern eingerichtetes Interieur mit massiven Wänden, die ans 11. Jahrhundert anspielen, mit einer barocken Treppe im Hintergrund und einem modern wirkenden Gewölbe. Ursula Renzenbrink steckt alle Figuren des Stücks in Gewänder, die ausschliesslich in den Farben Schwarz, Grau und Weiss gehalten sind. Nicht einmal die Hexen nimmt sie davon aus, auch das Blut hat keine rote Farbe. Thomas Wilhelm hat das Ballett und die zahlreichen Massenszenen geschmackvoll choreografiert, die Bewegungen der Gruppen gerinnen immer wieder zu starren Bildern. Und der Beleuchter Bernd Purkrabek wirkt hauptsächlich als Verdunkler. Die Welt der Designer nimmt uns in Beschlag.

Einer erfolgreichen psychologischen Deutung steht auch das Protagonistenpaar entgegen. Davide Damiani, der erstmals am Grand Théâtre auftritt, verkörpert den Titelhelden Macbeth mit schöner, fast zu schöner Baritonstimme. Als Charakter kann er aber seine Zerrissenheit zwischen Machtgier und hemmenden Skrupeln zu wenig zeigen, als Mörder wirkt er zu sympathisch.

Und Jennifer Larmore, die in Genf schon einige Belcanto-Rollen gesungen hat, gibt eine Lady Macbeth, die vor allem musikalisch überzeugt: mit grosser dramatischer Kraft wie auch mit gestochenem Parlando. Aber als Drahtzieherin, die Macbeths Ambitionen in tödliche Bahnen lenkt, agiert sie zu wenig diabolisch. In der Wahnsinnsszene des vierten Akts gelingt ihr dann allerdings ein unerwarteter Charakterwechsel. Der Banco von Christian van Horn wirkt trotz Stiefeln und Militärmantel für einen General viel zu nett. Szenisch aufgewertet ist die Rolle von Macbeths Gegenspieler Macduff, der dann im Schlussakt auch musikalisch überzeugt. Eine unnahbare Figur ist der Malcolm von Emilio Pons, dessen Tenor stets leicht gepresst klingt.

Kontrastreiche Gestaltung

Das unmittelbar Ansprechende, das man bei der Inszenierung vermisst, ist dafür in der musikalischen Schicht umso mehr vorhanden. Mit Ingo Metzmacher gibt an der Genfer Oper ein Dirigent sein Debüt, der seine Deutung wirkungsvoll umzusetzen weiss. Sie lebt vom Gegensatz des scharf Herausgestellten und des angstvoll Zurückgenommenen. Bedrohlich lassen die Blechbläser des Orchestre de la Suisse Romande in der Ouvertüre ihre Akkorde ertönen, Schrilles steuern Flöte und Piccolo bei, gedämpft erklingen dagegen die melancholischen Melodien der Streicher. Unheimlich leise spielt das Orchester, wenn Macbeth, für die Zuhörer unsichtbar, König Duncan ermordet. Ergreifend auch, wie in der grossen Bankettszene anlässlich der Inthronisation des Usurpators das grölende Trinklied der Gäste jäh einbricht, wenn Macbeth seine Angstvisionen herausschreit, und wie es danach mit Verstörung wieder aufgegriffen wird. Der Chor des Grand Théâtre leistet hier ganze Arbeit. Und die Musik verkündet ganz unverblümt: Dieser Herrscher wird ein schreckliches Ende nehmen.