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Im Müll eines Römerdramas

Die Premiere von "La clemenza di Tito" in der Wiener Staatsoper wurde musikalisch gefeiert, die Szene ausgebuht.

Im Müll eines Römerdramas
Im Müll eines Römerdramas


In der Wiener Staatsoper spielt man wieder einmal Mozart. Die gute Nachricht: Es funktioniert, weil man fabelhafte Singstimmen hat. Die schlechte Nachricht: Auch "La clemenza di Tito" brauchte mehr auf Anhieb überzeugende Qualitäten für die Bühne. Dass Regisseur Jürgen Flimm und mit ihm auch sein Bühnenbildner George Tsypin heftig ausgebuht wurden, ist durchaus nachvollziehbar. Optisch und szenisch war Mozarts letzte Oper eine herbe Enttäuschung, ja, ein verwunderliches Ärgernis. Dabei sollte man Jürgen Flimm nicht absprechen, dass er sich viele Gedanken gemacht und den notorisch "milden" Titus von neuen Standpunkten aus beleuchtet hat.

Ein Blick auf den Programmzettel birgt die Überraschung, da gibt es eine bisher ausgeklammerte Rolle, Berenice. Der auserkorene Kaiser der Römer hat eine jüdische Geliebte, auf die er aus Staatsräson verzichtet. Dass er nun lieblos andere Frauen auswählt, gehört zur Politik. Er verzichtet leichten, "milden" Herzens auf Servilia, die wegen ihrer Liebe zu Annio nicht will. Die nächste der Reihe, Vitellia, Tochter des gestürzten Kaisers, ist eine tickende Zeitbombe. Auf ihr Betreiben hat ihr Liebhaber Sesto einen Umsturz vorangetrieben, der sich nicht mehr stoppen lässt, als Titus plötzlich Vitellia zur Frau wählt.

Jürgen Flimm hat scharf nachgedacht, lässt Berenice stumm anschmiegsam im Spiel, und wie der explosiv-gefährliche Titus um seine viel beschworene Milde ringen muss, das ist selten so eindringlich zu erleben. Die tragische Figur in der losgetretenen Katastrophe ist Sesto, des Kaisers Freund und verführbarer jugendlicher Liebhaber der Vitellia. Er wird zwischen den Machtinteressen zermalmt. Es geht gerade noch gut aus, leicht fällt das nicht.

Wie Jürgen Flimm auf das Bühnenambiente kam, das Bühnenbildner George Tsypin mit dekonstruktivistisch bemalten Holzplanken von ausnehmender Hässlichkeit und dem Charme eines Sowjetbahnhofs gestaltete, ist ein Rätsel. Das Römerdrama ins Heute zu heben gelingt dergestalt, dass man auf Anhieb in Titus den Besitzer eines anrüchigen Roma-clubs vermutet, mit einer Bar samt Tresen für verlorene Seelen inklusive. Heidi Klums Castinggeschmack schien den Ausschlag zu geben. Die miniberockten Playmates wie aus einer Altmännerfantasie sind zwar supersexy, als Bühnenarbeiter, dekorative Revolutionsopfer und gar als orange Müllmänner aber nur lächerlich. Wegzuräumen gibt es eine ganze Menge, Titus’ Club ist spätestens im zweiten Akt so devastiert, dass im Publikum Gelächter ausbricht. Der Aufstand bringt Leichen mit sich, und Sesto legt gleich noch ein paar dazu. Dass die Aufräumarbeiten in dieser Müllhalde in den schönsten Arien stören, hätte den Widerspruch eines musikalischen Menschen dringend erfordert.

Zum Erfreulichen, dem Mozartgesang: Michael Schade ist ein wunderbarer Singdarsteller und als Titus eine fast neurotische, wohl auch traumatisierte Erscheinung, die vor Abgründen steht und sich nur mit Mühe zur "clemenz" durchringt. Elina Garanca singt Sesto, die Intensität ihrer wunderbaren Arien mit glühendem Herzen ist phänomenal, auch wenn sie in der Bekenntnisszene von Titus mit lächerlichen "Verräter"-Zetteln zugeklebt wird und zum Kreisel mutiert. Juliane Banse ist Vitellia, ein frauliches, extravagantes Wesen zwischen zielgerichtetem Ehrgeiz und beschwipster Verzweiflung. Eine Entdeckung ob ihres eindrucksvollen Mezzos ist Serena Malfi als Annio, Chen Reiss ist eine süße, klare Servilia. Ein grauslicher Bilderbuchscherge ist der Publio von Adam Plachetka. Souveräner DirigentIn den Duetten entspinnt sich mitunter eine traumhafte Harmonie der Stimmen. Dass der Chor, also das Volk, mit Notenpulten Aufstellung nimmt, irritiert weniger, wenn man Christof Loys Ideen zur "Frau ohne Schatten" im vergangenen Salzburger Festspielsommer gesehen hat. Wobei es wohl bei genauerem Vergleich ohnehin so ist, dass Jürgen Flimm seinen inszenatorischen Höhepunkt längst hinter sich hat.

Im Orchestergraben dirigiert Louis Langrée sehr sorgsam und souverän, bei Bedarf zurückhaltend und sensitiv das superkultivierte Staatsopernorchester, immer am Ton der Bühne und sängerfreundlich, in vielen Passagen mit wohlüberlegter Ausgewogenheit. Die philharmonischen Soloeinsätze (Klarinette) gelingen mustergültig. Musikalisch bleiben wenigstens keine Wünsche offen. Das wurde anhaltend gefeiert.

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