„Titus“ mit der Garanča: Solchen Wohllauts wegen geht man in die Oper

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Einer völlig inadäquaten Regiearbeit zum Trotz, erlebt Mozarts letztes Musiktheater-Werk eine Renaissance.

Elina Garanča singt den Sextus. Das Wort „Singen“ umfasst in diesem Fall, was es nur umfassen kann: Schönklang verströmen, Seelenregungen vermitteln, Geschichten erzählen, ein Schicksal erahnen lassen. Wenn eine Künstlerin dieses Formats eine Rolle gestaltet, dann entfaltet das Genre Oper seinen Zauber in allen Facetten. Denn die Garanča versteht es auch, den musikalischen Reichtum ihres Singens in theatralische Qualität umzumünzen, die Expressivität einer musikalischen Phrase in Mienenspiel und Gebärde zu spiegeln.

In Michael Schade hat sie einen Titelhelden als Partner, der vom Komponisten eine heikle Zusatzaufgabe mitbekommen hat: Mozart schrieb den „Titus“ aus Anlass der Königskrönung Leopolds II. in Böhmen in bewusstem Rückgriff auf ein Jahrzehnte altes Metastasio-Libretto, das Caterino Mazzola „zu einer wahren Oper reduziert“ hat, wie der Komponist bewundernd anmerkt. „Wahre Oper“, das hieß bei ihm: Psychologisierung, Subjektivierung. Die Marionetten der Opera seria werden zu Menschen aus Fleisch und Blut.

Die Milde des Kaisers Titus, der selbst dann, wenn er sich vom besten Freund verraten sieht, nicht von seiner Großmut lässt, ist schwer aus der Schablonenhaftigkeit der Barock-Oper in die vielschichtigen Gefilde des modernen psychologischen Dramas zu retten. Als wär's ein Lehrstück, zwingt Mozart den Moment der Entscheidung in die Formen einer altmodischen Da-Capo-Arie, lädt aber alle Koloraturen, Riesensprüngen und was für den veritablen primo uomo des Settecento noch zum Showdown gehört mit ungemein differenzierter Innenspanung auf.

Michael Schades Showdown

Da kommen Wut, Selbstzweifel und Ritterlichkeit gehörig durcheinander. Doch müssen das hohe B und die einzelnen Töne der Koloraturen präzis an ihren Plätzen sitzen. Die kompositorische Meisterschaft, neue Ausdruckskraft aus alten Formen zu schöpfen, fordert adäquates Können vom Interpreten. Ich glaube kaum, dass Michael Schade in der kraftvollen Bewältigung dieser Herausforderung heutzutage irgend eine Konkurrenz fürchten müsste. Exquisit auch viele der kaiserlichen Vasallen: Die junge Debütantin Serena Malfi Annio, sogleich ein bühnenbeherrschender Charakter, kernig-vital in der F-Dur-Arie, wenn es gilt, dem Herrscher mutig entgegenzutreten.

Ebenso jung, im Wiener Ensemble mittlerweile bewährt: Adam Plachetka als Publius und Chen Reis, die Servilia, wunderbar hell und klar in der Stimmführung, sehr prägnant in den Momenten, da sich diese Lichtgestalt gegen das Schicksal aufzubäumen oder – wie im Fall der letzten Begegnung mit der intriganten Vitellia – zu empören hat. Diese wiederum gibt Juliane Banse. Sie hat die schwierigste Aufgabe übernommen.

Mozart fordert von seiner Primadonna enormen Stimm-Umfang, Schönklang und Attacke in allen Registern. Das Wort „rollendeckend“ war daher für kaum eine Interpretin in unserem Äon je anzuwenden. Die Banse sichert der Figur über weite Strecken jedenfalls ausdrucksstarke Deklamation. Sie hat sich auch die furiosen Ausbrüche des gefürchteten Terzetts mit dem hohen D raffiniert zurechtgelegt. „Non piu di fiori“, die Bravour-Arie vor dem Finale, singt sie achtbar. Die tiefsten Tiefen, in die sie da hinabsteigen muss, werden nur allzu leicht vom Orchester überdeckt.

Zu wenig Geigen für Mozart

Obwohl dieses in zu kleiner Spielstärke antritt. Zehn erste Geigen für ein Werk dieses Zuschnitts in einem großen Haus, das ist wohl zu viel Zugeständnis an eine missverständliche „historische Aufführungspraxis“. Die Holzschlägel des Paukisten hätten gereicht. Auch weiß man nicht ganz, warum man – wenn schon historische Wahrhaftigkeit – nicht wie einst bei der Uraufführung ein und denselben Musiker mit den beiden großen Soli (für Klarinette und Bassetthorn) betraut. Mozart hat sie für seinen Freund Stadler komponiert – und im Wien des Jahres 2012 gibt Ernst Ottensamer bei „Parto, parto“ ein Musterbeispiel für sensible kammermusikalische Abstimmung eines Instrumentalparts mit der so reich und vollblütig phrasierenden Elina Garanča.

Im Übrigen agiert das Orchester unter Louis Langrée behutsam differenzierend, lässt es aber in den triumphalen Momenten an überwältigender Größe fehlen. Das liegt wohl nicht nur an der zu kleinen Besetzung. Vielleicht ist es auch Widerhall der lachhaften Bilderfolge, die Jürgen Flimm in die Abbruchhaus-Dekors von George Tsypin montiert hat. Dieser Regisseur arbeitet hart daran, dass man aus dem Satz, er sei vielleicht unter den notorischen Regietheater-Pfründnern unserer Zeit der unmusikalischste, das „vielleicht“ streicht. Mozarts subtilen Pointen begegnet er mit der Berserkergewalt des teutonischen Belehrungstheaters. Es ist, als würde man während einer Hofmannsthal-Komödie nach jeder Pointe von einer Mainzer Karnevals-Kapelle einen Tusch spielen lassen. Wiens Publikum buhte Flimm hernach förmlich von der Bühne, wohl als Signal, dass man solcher Hilfestellung nicht bedarf. Man will sich nicht für blöd verkaufen lassen – hoffentlich begreifen das auch die Intendanten irgendwann. Vor allem solche, die „Titus“ mit Sängern besetzen, die – wie das aktuelle Wiener Ensemble – die „Pointen“ musikalisch servieren können.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.05.2012)

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