Wien - "Bitte, was passiert jetzt da?" Bei manchen ist die Irritation noch immer groß, wenn sich mitten in Verdis Don Carlos die Szene in die Gänge der Staatsoper verlagert, Gefolterte zum Autodafé getrieben werden und die königliche Familie über die Feststiege einzieht, begleitet von TV-Übertragung, Paparazzi und Schaulustigen, mit denen sich die Besucher unweigerlich vermischen.

Die Ausarbeitung dieser Tumulte durch die Regisseurin Vera Nemirova hat seit 2004 nichts an Drastik und Verunsicherungspotenzial verloren. Das Wunder der Inszenierung von Peter Konwitschny, der seiner Schülerin damals das Grobe und Multimediale überließ, ist es aber, dass sie unmittelbar danach wieder zu hochkonzentrierter Personenführung zurückfindet, zutiefst glaubwürdige psychologische Konstellationen schafft - und dies alles in hochgradiger Sparsamkeit. Dass Konwitschny für die Wiederaufnahme nochmals selbst Hand angelegt hat, ist deutlich zu spüren.

Mit einer fast gänzlich neuen Besetzung wurde manches szenische Detail erneuert, auch die böse Ballettpantomime klappt auf köstliche Weise. Diese Spießbürgerpersiflage war vor acht Jahren einem Gros des Publikums sauer aufgestoßen, am Dienstag erntete sie nun freundliche Zustimmung.

Überzeugende Figurenstudien gelangen praktisch bei sämtlichen Rollendebüts, die alle viel Persönlichkeit jenseits der Stimmfachklischees nach außen kehrten: Kwangchul Youn als hintergründiger, verletzlicher Philippe II, Ludovic Tézier als markanter Rodrigue, Alexandru Moisiuc als auch stimmlich tiefschwarzer Großinquisitor. Auch auf vokaler Ebene war die Spannung zwischen den beiden Frauenfiguren deutlich: Der noblen, ausgewogenen Elisabeth von Adrianne Pieczonka stand mit Béatrice Uria-Monzon eine Eboli intensivster Dramatik gegenüber. Der energische Yonghoon Lee dosierte als Don Carlos seine Kräfte klug, hätte aber hinsichtlich lyrischer Zurücknahme und im Anschleifen der Töne eleganter sein können.

Wie schon bei der Premiere sorgte Dirigent Bertrand de Billy mit dem homogenen Chor und dem fulminanten Orchester für Eleganz und Transparenz. Irritationen in dieser Hinsicht ließen sich in fünf langen Akten an einer Hand abzählen. (Daniel Ender, DER STANDARD, 26.4.2012)