SN.AT / Kultur / Kunst

Eine "Carmen" zwischen den Stühlen

Zum letzten Mal also die Berliner Philharmoniker als Opernorchester in Salzburg: Am Samstag begannen die Osterfestspiele mit Bizets "Carmen" im Großen Festspielhaus.

Eine "Carmen" zwischen den Stühlen
Eine "Carmen" zwischen den Stühlen
Eine "Carmen" zwischen den Stühlen
Eine "Carmen" zwischen den Stühlen
Eine "Carmen" zwischen den Stühlen
Eine "Carmen" zwischen den Stühlen
Eine "Carmen" zwischen den Stühlen
Eine "Carmen" zwischen den Stühlen
Eine "Carmen" zwischen den Stühlen
Eine "Carmen" zwischen den Stühlen
Eine "Carmen" zwischen den Stühlen
Eine "Carmen" zwischen den Stühlen
Eine "Carmen" zwischen den Stühlen
Eine "Carmen" zwischen den Stühlen


Es schien, als würde sich das Premierenpublikum erst nach und nach erwärmen für diese Interpretation einer der populärsten, aber unter künstlerischen Prämissen auch heikelsten Opern des klassischen Repertoires. Am Ende jedenfalls gab es ungeteilten Beifall für das Regieteam (Aletta Collins, Inszenierung und Choreographie; Miriam Buether, Bühnenbild; Gabrielle Dalton, Kostüme). Den größten Sängerapplaus erhielt - zu Recht - Genia Kühmeier als berührende, mit lyrischer Wärme unangestrengt überzeugende Micaela. Ihr am nächsten kam Jonas Kaufmann, der für eine untadelige, routinierte Leistung als Don José belohnt wurde. Sehr wohlwollend aufgenommen schließlich: Magdalena Kozena, die als Carmen ihr Rollendebüt gab.

Auf dieses blickte man besonders gespannt, entspricht doch die tschechische Mezzosopranistin so gar nicht dem Typ, der mit Carmen verbunden wird. Die Zigeunerin, die ihr Leben in freier Willensentscheidung ganz aus dem Augenblick lebt, aus unmittelbarer Intuition und Empfindung und furchtlos vor dem und bis in den Tod, braucht eigentlich eine vielschichtige, charaktervolle Singdarstellerin. In ihr vereinen sich Erotik und Laszivität, Sinnlichkeit und Tragik, Leichtlebigkeit und Tiefe, Triebhaftigkeit und Sensitivität.

Man spürt durchaus, dass sich Magdalena Kozena intensiv auf diese Rolle vorbereitet haben muss. Sie versucht das Profil einer unabhängigen Frau zu entwerfen. Sie will nicht vorschnell oder gar direkt den Siedepunkt der Emotionen erreichen und dann in großen, leidenschaftlichen Posen mit sich, ihren Mitmenschen und dem Publikum spielen. Sie bleibt kühl, zuweilen sogar bis zur Teilnahmslosigkeit. Sie lässt dem Schicksal ihren Lauf, lässt geschehen, was Laster und Liebe aus ihr machen.

Das könnte ein interessant gegenläufiges, unangepasstes Porträt werden, wäre es stimmdarstellerisch auch beglaubigt. Doch hier stößt Kozena rasch an allzu deutliche Grenzen: in der fehlenden Raffinesse und vor allem Mischung der Farben, in der mangelnden Strahlkraft einer Stimme, die zwar das Chansonhafte, das die Partie erfordert, angemessen zur Geltung bringt, auch das Element des Erzählerischen (in der Kartenszene des 3. Akts), die aber an kräftiger Attacke und Volumen kaum das Nötige zu bieten hat. So wirkt das dramatische Flair der Rolle seltsam neutral, steigert sich auch nicht wirklich in der finalen Todesszene, auch wenn Kozena dafür die Reserven ordentlich dosiert. Diese Carmen landet letztlich irgendwie zwischen den Stühlen.

Dort sitzt bemerkenswerterweise auch ihr dirigierender Gatte, Sir Simon Rattle. Zwar hat er, so weit das überhaupt festlegbar ist, auf die originale Version der opéra comique (mit gesprochenen Dialogen) zurückgegriffen, ohne aber idiomatisch überzeugend dem Ideal des Leichten, Pointierten, flüssig Beredten entsprechen zu können. In zurückhaltender Dynamik werden durch die Spielkultur der Berliner Philharmoniker viele Details und Valeurs hörbar, aber sie gewinnen keine erzählerische Qualität fürs Ganze. Da spielt der Riesenraum des Festspielhauses wohl auch akustisch nicht richtig mit. Er ist nicht geeignet, um die nötige Intimität und Direktheit einer opéra comique zu erhalten. Und so wirkt auch der Kontrast zu den Massenszenen nicht organisch, sondern oft allzu aufgesetzt, explosiv.

Um eine größere Nähe zum Auditorium herzustellen, wurde vor dem Orchestergraben ein Laufsteg platziert, der freilich nicht wirklich mitspielt, eher bloß eine erweiterte Auftrittsfläche schafft. Fürs pittoreske Arrangement der Hundertschaften an Chören und Tänzern hat Regisseurin Aletta Collins das nötige Feeling. Auch Atmosphäre (etwa in der schummrigen, verruchten Schenke des Lilas Pastia) kann sie schaffen. Dass die Schmuggler durch einen Kanal müssen und nicht mehr durch eine "wilde Felsengegend", ist Geschmacksache. In der Personenführung der Protagonisten, aber auch der individuelleren Charaktersierung der Massen bleibt die Handschrift der Regisseurin jedoch konventionell, pauschal und ungefähr. Wenn man so will: ein weiterer Platz zwischen den Stühlen.

KULTUR-NEWSLETTER

Jetzt anmelden und wöchentlich die wichtigsten Kulturmeldungen kompakt per E-Mail erhalten.

*) Eine Abbestellung ist jederzeit möglich, weitere Informationen dazu finden Sie hier.

KOMMENTARE (0)

SN Karriere