Debussy (und Klimt) statt Psychoanalyse

(c) Opera de Paris: Charles Duprat
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Paris gedenkt des Ahnvaters der musikalischen Moderne, Claude Debussy: Die Opéra Bastille zeigt „Pelléas et Mélisande“ unter Philippe Jordan, die Orangerie eine aufschlussreiche Ausstellung.

Jubiläumszelebrationen sind manchmal nützlich. Weniger für den, der im eigenen Land zum ich weiß nicht wievielten Mal darauf hingewiesen wird, wie gut die Nennung der Namen Mozart, Mahler oder Klimt zur Politur des Selbstwertgefühls taugt. Eher für den Reisenden, der vergleichbare Bespiegelungen anderswo registriert.

Paris feiert gerade den 150. Geburtstag von Claude Debussy. Die Opéra Bastille zeigt noch einmal Robert Wilsons einst für Salzburg arrangierte Bilderfolge zur Musik von „Pelléas et Mélisande“ – und im Studio die fragmentarische Poe-Vertonung „Der Untergang des Hauses Usher“. Die Orangerie präsentiert (bis 11. Juni) „Debussy. La musique et les arts“, eine subtile Heranführung an die künstlerische Umgebung, in der die Kompositionen des Ahnvaters der französischen Moderne entstanden sind.

Fesselnde Parallelaktionen sind da möglich, ausgehend beispielsweise von der durchaus ungewöhnlichen Herangehensweise des Pariser Generalmusikdirektors (und künftigen Wiener Symphoniker-Chefdirigenten) Philippe Jordan an Debussys musikdramatisches Chef d'Œuvre.

Debussy, der Impressionist unserer Schulweisheit? Vielleicht stutzt schon, wer am Eingang der Ausstellung so nah an Henri-Edmond Cross' „Air du soir“ vorbeimuss, dass dessen pointillistische Struktur überdeutlich wird: Hier herrscht scharfe Trennung der Elemente, nicht sanfte Verschmelzung. Genau so dirigiert Philippe Jordan auch Debussy. Das Pariser Opernorchester modelliert die Klangfiguren klar und feinsäuberlich. Vor allem aufmerksame rhythmische Arbeit gliedert das Geschehen und treibt es voran.

Ein Moderner, kein Impressionist!

Da werden Prozesse deutlich, die in ihrer reißbrettartigen Organisation tatsächlich eher an sachliche Konzepte der Moderne, denn an geschmäcklerische Freiluftmalereien denken lassen. Die helle, glockenspielüberglänzte Stimmung, die Pelléas umfängt, wenn er aus dem Katakombengang an der Seite des eifersüchtigen Bruders an die Erdoberfläche zurückkehrt, mag an freundliche Landschaftsimpression erinnern, krönt aber in Wahrheit ein aus vielen albtraumartigen Finsternisvisionen gebildetes Klangkontinuum, das aus Subkontraregionen langsam in den Diskant aufsteigt.

Das reicht dank konstruktiver Kraft in Schichten, in denen jene Ahnungen schlummern, die einst im Pariser Salon einen Sturm auf Manets „Olympia“ ausgelöst haben mögen. Weil es dem Künstler gelungen war, „die Wirklichkeit der Dinge und der Geschöpfe“ zu fassen, wie Émile Zola schon anno 1865 hellsichtig zu analysieren wusste.

Die „Wirklichkeit der Dinge“ hat vielleicht auch Debussy unter den symbolistischen Verrätselungen im Drama Maurice Maeterlincks hörbar gemacht, weshalb das Schicksal des scheinbar so abgehobenen Rühr-mich-nicht-an-Wesens der Mélisande in der Opernfassung betroffen machen kann. Da werden doch Saiten zum Schwingen gebracht, die, kaum je beachtet, in uns allen aufgezogen sind.

Elena Tsallagova macht die langsame Verwandlung von der zunächst nur mit sich selbst kokettierenden Nymphe zur Liebenden vermittels immer reicher gefärbter, heller Soprantöne deutlich. Umgeben von einer exzellenten Kollegenschaft – mit Stéphane Degouts altvertrautem Pelléas, Vincent le Texiers Golaud und den luxuriösen herrschaftlichen Figuren Anne Sofie von Otter (Geneviève) und Franz Josef Selig (Arkel) führt uns die junge Russin, getragen vom pulsierenden Orchesterklang in Wilsons ästhetisierenden Bildern durchs Seelenspiegelkabinett einer Art Undine, die durch eine zerstörerische Psychoanalyse gegangen ist.

Musik, die in die Tiefe lotet

Es ist doch die Kunst, die in tiefere Schichten vorzudringen vermag. Die kundig gemachte Debussy-Ausstellung demonstriert das Umfeld, in dem es einem genialen musikalischen Kopf gelingen konnte, seinen Weg dorthin zu finden. Man lernt da, einige Meter unter dem Seerosenzauber, dass die Bilderwelten eines Turner, aber auch die fernöstliche Kunst des 19. Jahrhunderts weitaus deutlichere Spuren in Debussys Formensprache hinterlassen haben als jene der französischen Impressionisten. Man sieht Vasen und Leuchter jener Epoche, die im Besitz des Komponisten waren, dicht neben Kompositionsentwürfen, fein säuberlich kalligrafierten Partiturreinschriften und atemberaubend präzise gedachten choreografischen Entwürfen eines Vaslav Nijinski (für den „Nachmittag eines Fauns“).

Eine magische Welt, in der Degas, vor allem aber auch Burne-Jones oder Maurice Denis prägende Rollen spielen, Gauguin, aber doch auch Munch und – zuletzt, knapp vor dem Ausgang – Gustav Klimt! Dessen „Rosen unter Bäumen“ kamen als eine der vielen Leihgaben aus dem Musée d'Orsay über die Seine und schaffen hier eine völlig unerwartete Gedankenbrücke zwischen dem pointillistischen Landschaftswunder im Eingangsbereich der Schau und der Wiener Moderne.

Erhellend auch das. Ein gutes Mittel gegen die ästhetisierende wienerische Nabelschau? Zum Beispiel Debussy mitzudenken.

Jubiläum in Paris

Claude Debussy wurde 1862 in Saint-Germain-en-Laye (westlich von Paris) geboren, er starb 1918 in Paris.

Pelléas et Mélisande (Regie: Robert Wilson, Dirigent: Philippe Jordan) steht in der Opéra Bastille noch am 2., 5., 8., 11., 14. und 16. März auf dem Programm. „La chute de la Maison d'Usher“ läuft im Studio der Bastille am 1. und 3. März. Info: www.operadeparis.fr

„Debussy. La musique et les arts“, eine Ausstellung des Musée d'Orsay, ist bis zum 11.Juni in der Orangerie in den Tuilerien zu sehen. Info: www.musee-orsay.fr

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.03.2012)

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