WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Print
  3. DIE WELT
  4. Kultur
  5. Cecilia und ihre drei Tenöre

Kultur

Cecilia und ihre drei Tenöre

Freier Feuilletonmitarbeiter
Weiter voller Entdeckerfreude: Die Bartoli rehabilitiert in Zürich Rossinis "Otello"

Dann sage noch einer, Alexander Pereira, Zürichs Noch-Opernintendant und baldiger Salzburger Festspiel-Gewaltiger, habe keinen Plan und kein Konzept. In seinem gewiss kunterbunten, in seiner Vielfalt von 17 (!) Premieren weltweit unerreichten Schweizer Saisonnovitätenstrauß finden sich nicht nur für sich prunkende Opernblüten, sondern auch diverse strategisch platzierte Bouquets. Da werden zum Beispiel mit "Meistersinger", Palestrina" und "Mathis der Maler" gleich drei der schwergewichtigsten Künstleropern auf die Bühne gewuchtet. Und "Otello" gibt es ebenfalls zweimal, in der bewährten "Verdi"-Variante von 1887 und dem einst viel berühmteren Rossini-Vorläufer von 1816. Bei beiden Produktionen wären sogar berühmte Debütanten am Start gewesen. Doch Peter Seifferts erster Mohr von Venedig kam dann doch krankheitshalber in einer späteren Wiener Repertoirevorstellung zur Welt; dafür trat die stets verlässliche Mezzokönigin Cecilia Bartoli jetzt in ihrem erklärten Lieblingshaus mit ihren Leibregisseuren Patrice Caurier und Moshe Leiser sowie dem gut vertrauten Dirigenten Muhai Tang als Desdemona an.

Als Desdemona? Ist das nicht eine Sopranrolle, fagt sich der eingeladene Jounalist? Erstens existieren solche Fachgrenzen für La Bartoli schon lange nicht mehr. Und zweitens war auch Isabella Colbran, Rossinis spätere Frau, die die Rolle in Neapel erstmals sang, wohl ein Koloratursopran mit kurzer Höhe, vulgo: ein Mezzo. Wie überhaupt der immer noch erst 24-jährige Tonsetzer seine 19. Oper den hervorragenden Sängerprotagonisten am königlichen Hoftheater San Carlo quasi in die virtuose Kehle komponierte. Weswegen hier auch gleich drei, von der Stimmfärbung höchst unterschiedliche Tenöre dankbar bedacht wurden.

Heute ist das freilich einer der Gründe, warum diese extrem schwer zu besetzende Oper so selten gespielt wird. Ein anderer ist natürlich die uns inzwischen seltsam anmutende romantische Freizügigkeit, die sich das Textbuch gegenüber Shakespeare nimmt - der freilich nur eine von mehreren Quellen war. Das legendäre verflixte Taschentuch als banaler Auslöser der bis zum Gattinnenmord gesteigerten Eifersuchtsintrige Jagos ist hier nur ein konventionell irrlaufender Liebesbrief. Dafür ist der Rassismus gegenüber dem siegreichen, aber schwarzen Feldherren Otello, der hier nicht im fernen Zypern, sondern inmitten seiner venezianischen Auftraggeber gezeigt wird, weit ausgeprägter. Und so wie Jagos nihilistische Rolle als Drahtzieher in dieser Opernvariante verharmlost ist, so wird die sich aufbäumende, sich den Konventionen und dem eigenen Vater widersetzende und auch sich ihrem heimlich angetrauten Mann nicht willenlos unterwerfende Desdemona vom gerne gezeigten, passiv liebenden und leidenden Opferlämmchen zur kämpfenden, trotzigen Gefährtin und Tochter aufgewertet.

Was Cecilia Bartoli, im Tragischen immer etwas unter Überdruck, natürlich voll ausspielt und vor allem wirkungsmächtig zu steigern weiß. Zwar taucht sie erst spät zwischen den Politchargen im schmucklosen Palazzosalon Christian Fenouillats auf, wo einzig ein monströser Murano-Lüster Lokalbezug schafft. Sie steht in ihrem schlichten schwarzen Kleid ein wenig hilflos herum, während man bereits die farbigen Kellner erniedrigt, weil man gegen den siegreichen Krieger nur hinter vorgehaltener Hand loslästern darf. Immer mehr geht sie in Führung, ätzt von einem Billardtisch aus über den intoleranten Vater, von dem sie sich lossagt, muss aber auch erkennen, dass ihr Gatte ihr immer fremder wird. Unter dem Dante-Motto, das im genial atmosphärischen, die dramatische Opernentwicklung Italiens um Jahre vorwegnehmenden dritten Akt als klanglicher Lokalkolorit von einem anonymen Gondolieri gesungen wird und das sie an die Wand ihres kahlen Schlafzimmers geschrieben hat, steht sie schließlich in der Pose des gekreuzigten Christus: bewusst die Schuld auf sich nehmend und bereit für den Mordstoß eines rasenden Mannes, der keiner Vernunft mehr zugänglich ist.

Wo die ersten zwei Akte noch stärker der Musiktheaterkonvention ihrer Zeit verhaftet sind, gelingt es dem Regieduo trotzdem, mit wenigen, kräftigen Maßnahmen, die in die Sixties verlegte Geschichte spannend und heutig zu deuten. Im Hinterzimmer hört man Partygeräusche der männerbündischen Machthaber, wo Frauen höchstens als Zierde zugelassen sind. Im zweiten Akt zieht sich der gedemütigte Otello in eine windige Immigrantenkneipe zurück, wo auch mal afrikanische Rhythmen röhren. Und als die insgeheim ihr Schicksal schon vorausahnende Desdemona in der Intimität ihres Schlafzimmers das vielsagende Lied von der Weide anstimmt, dann kommt das lange Harfenvorspiel aus einem tragbaren Plattenspieler. Erst langsam wird die Erinnerung wieder konkreter Orchesterton. Das mischt sich gut, weil Muhai Tang mit dem "La Scintilla"-Originalklangorchester sowieso einen aufgerauten, nachdrücklichen, dramatisch gestauchten Ansatz sucht. So werden selbst Begleitfloskeln, sonst die Brisanz des Geschehens abstrahierend und in musikalische Struktur verwandelnd, zu akustischen Geschmacksverstärkern.

Das passt gut zum hervorragenden Singquartett der Cecilia und ihrer drei Tenöre. Die Bartoli schert sich nicht um Nebengeräusche, Japsen und Prusten, sie sucht Wahrhaftigkeit und schleudert jede Koloratur als Kampfpartikel heraus; kann aber nach wie vor das Weiche, Schmiegsame, sich Verlierende, weiblich Durchscheinende der immer wieder verletzlichen Desdemona. Auf Augenhöhe: John Osborns pracht- und jammervoller Otello, emotional zerrissen, aber vokal wunderbar ausbalanciert zwischen Vehemenz und sehnigen Höhen. Edgardo Rochas Iago ist da greller, charaktervoller. Und der technisch so sattelsichere Javier Camarena als Rodrigo, den Desdemona partout nicht heiraten will, der ist für Tenorsüße und sehr hoch gelagerten Wohlklang zuständig.

Natürlich ist Verdis "Otello" das vollkommene Musikdrama. Aber wie wichtig auf dem Weg dorthin der Rossini-Vorläufer war, das macht diese gelungene Züricher Premiere überdeutlich.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant